9. Kapitel: Städtetour mit einem Long-Drachen II

17 1 10
                                    


Mollis Hormone konnten nicht recht entscheiden, ob sie nun lachen oder ihre Hände über den Kopf schlagen sollte.

Am helllichten Tage auf dem Wasser in Shanghais neustes Zentrum zu marschieren, dazu noch in einem todschicken Anzug. Sie musste ihm wirklich beibringen, wie man sich angemessen kleidet. Allerdings, als Bailin nur noch wenige Meter von ihr entfernt war, bewunderte sie, mit welcher Geschmeidigkeit er den Anzug trug, mit welcher Eleganz sich der Stoff sich an ihn schmiegte. Anscheinend waren die Europäer nicht die Einzigen, denen Anzüge standen.

Bailin sah also aus wie ein Millionärssohn, und Molli fühlte sich wie ein Aschenputtel, das gedatet wird. Dabei hatte sie sich auch hübsch gemacht: sie trug ein leichtes, geblümtes Sommerkleid und einen dazu passenden Hut.

„Der Anzug steht dir gut", lobte sie, als er vor ihr stand. Da setze er eine Ich-wusste-doch-dass-es-richtig-ist-Miene auf, und Molli unterdrückte ein Kichern. Sie konnte nicht anders, als kokett zu fragen: „Und wie findest du mein Kleid?"

Bailin musterte sie einige Sekunden lang, als er antwortete: „Farblich passt es gut zu deiner Haut und deinen Haaren. Aber im stehenden Zustand sieht es an dir seltsam aus"

Molli runzelte die Stirn. Was heißt denn das bitteschön?

„Das liegt daran, dass die Kleider bei uns von Strömungen getragen werden. Deswegen finde ich es im trockenen Zustand ungewohnt." Molli schloss daraus, dass es nicht klug war, einem Long-Drachen nach Menschenmode zu fragen. Außerdem war es schier unmöglich, aus seinem Mund ein einziges Kompliment zu hören.

Dezent verärgert fragte sie, was er denn von Shanghai bereits kannte.

„Von oben kenne ich Shanghais Umrisse ganz gut. Aber ich weiß nicht, wo was ist." , antwortete er wahrheitsgetreu.

„Also kennst du gar nichts, kann man sagen."

„Ja." Molli kratzte sich kurz.

„Hast du eine vage Vorstellung davon, was du gerne sehen möchtest?"

„Aber du wolltest mir doch einiges zeigen."

„Ja schon, aber ich weiß nicht, ob touristisches Sightseeing auch für einen Long-Drachen geeignet ist. Vielleicht willst du dir die Lebensweisen der Menschen anschauen? Oder die Kultur erleben? Oder das politische System der Menschen kennenlernen?" Bailin sah etwas ratlos aus.

„Sag mal, lernt ihr da im Meer gar nichts über uns Menschen?", Molli lehnte sich gegen das Geländer. Bailin machte ihr das nach und sah dabei so lässig wie ein Model aus.

„Wir lernen über die Geschichte und Politik der Menschen. Kultur auch. Gesellschaft der Menschen habe ich übersprungen, das war mir zu langweilig. Deswegen weiß ich nicht viel vom Alltag der Menschen. Ich bin im Wetterdienst unterwegs", fügte er hinzu, „nicht im Human-Außendienst. Deswegen kann ich auch nicht so viel von den Menschen wissen."

„Du bist wie ein Zauberer, der nichts über Muggeln weiß."

„Wie bitte?"

„Ich habe Bezug zu einem Buch genommen." Sie ersparte sich, ihm Harry Potter zu erklären. Molli überlegte. Sie hatte vor gehabt, einfach Bailin ein bisschen durch die Stadt zu führen, falls er nichts Spezifisches sehen wollte. Da dies der Fall war, wollte sie nicht vom Plan abweichen. Außerdem wusste er nichts von den Menschen, da konnte sie ihm quasi zeigen, was sie wollte.

„Komm, wir fahren jetzt U-Bahn." Molli deutete auf das U-Bahn-Zeichen. Selbstverständlich hatte es kein großes „U" – vielmehr war es ein roter Kreis mit einem gezackten Balken in der Mitte, welches aussah wie ein „M". Molli erinnerte es an einer Pokémon-Kugel. „Folge mir einfach, okay? Bleibe mir an den Fersen."

Die Long-DrachenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt