15. Kapitel: Besuch

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Als Molli auf die Uhr schaute, merkte sie, dass sie fast drei Stunden geschlafen hatte. Kein Wunder, letzte Nacht hatte sie kaum die Augen zugetan. Der Schlaf tat ihr gut und sie freute sich aufs Abendessen.

Ihr entging  ein Seufzer, wenn sie daran dachte, wie viel sie in diesem Sommer wohl zu tun haben würde. Sie musste sowohl mit den Long-Drachen als auch mit Marc fertig werden. Nachdem sie Bailin die Welt der Menschen präsentiert hatte, war sie sehr stolz auf sich gewesen. Insgeheim hatte sie gehofft, noch einmal die faszinierende Unterwasserwelt besuchen zu können. Aber nun kam Marc ins Spiel und brachte alles durcheinander. Ein dermaßen wichtiges Geheimnis gemeinsam mit ihm zu teilen kreierte eine Intimsphäre, von der sie nicht wusste, was sie damit anfangen sollte.

Wie wäre es, wenn sie Marc einfach verzieh?

Was für einen Mut muss man haben, um allein in ein exotisches Land zu reisen, nur um nach der Freundin zu suchen?, flüsterte eine Stimme in ihr. Aber Molli bereute nicht gerne Entscheidungen, die sie bereits getroffen hatte.

Zum Glück nahm ihr knurrender Magen ihre Entscheidung ab. Sie stand auf, öffnete die Zimmertür ein Spalt und lugte hinaus. Aus der Küche war en Brutzeln zu hören, ihre Mutter kochte also bereits. Marc saß am Küchentisch und schälte brav Kartoffeln. Eins auf Musterschwiegersohn machen sah ihm eigentlich nicht ähnlich. Vorsichtig trat Molli hinaus, schlich sich zu Marc und flüsterte ihm ins Ohr: "Hast rdu irgendwas von deinem Koffer gehört?" Marc zuckte kurz zusammen, weil Molli ihn erschreckt hatte, fasste sich aber wieder: "Noch nicht. Bilian meldet sich nicht." "Hm, komisch", sagte sie, aber bevor sie sich zurückziehen konnte, hatte Marc sie schon auf die Wange geküsst. Wütend starrte sie ihn an.

"Hab ich gesagt, dass du das darfst?"
"Nö, aber du kamst mir sehr nah. Da konnte ich der Versuchung nicht widerstehen." Mit dem frechen, süßen Grinsen sah er ganz wie der alte Marc aus. Molli verlor sich kurz in diesem Anblick; sie vergaß gänzlich, böse auf ihn zu sein. Auch Marc schaute ihr tief in die Augen. Seine von den Kartoffeln noch feuchten Finger griffen nach ihre. Er zog sie näher an sich heran. Sie wehrte sich nicht.

"Molli, warum immer du auch meinst, von mir trennen zu müssen, ich will es nicht. Darum bin ich hierher gekommen", er schluckte, "lasst uns es nochmal versuchen." Es waren einfache Worte, es gab keine Erklärungen, keine Entschuldigungen seinerseits. Die Taten sprachen allerdings mehr als Worte, dessen war sich Molli bewusst. Er war nach China gereist, um ihr um eine zweite Chance zu bitten.

"Was, wenn ich nein sage? Dann wäre deine Reise umsonst gewesen.", wollte sie wissen. Marc lächelte.

"Dann hätte ich China wenigstens einmal besucht." Diesmal musste Molli schlucken.

Die Versuchung, ja zu sagen, war groß. Marc war wieder bei ihr und spielte nicht mehr den verschwundenen, verantwortungslosen Freund. Vielleicht könnten sie sorgenlos die Sommerferien hier gemeinsam verbringen. Sie hatten noch nie so viel Zeit auf einmal gehabt für sich selbst. Die Themen mit Konfliktpotenzial, über welche sie hatten reden wollen, liefen in Mollis Kopf wie eine umbedeutsame Hintergrundmusik. Wie zum Beispiel das Nicht-Antworten auf Nachrichten. Die Raufereien. Das Partyknutschen-Gerücht.

Warum sagte sie nicht einfach ja? Was hielt sie davon ab?


Später konnte Molli nur schlecht einschätzen, wie sie womöglich geantwortet hätte. Wer weiß, vielleicht hätte sie ja gesagt. Sie wusste nur, dass die Versuchung nie wieder so groß war wie in diesem Augenblick.

Plötzlich klopfte es. Molli und Marc zuckten zusammen. Das Geräusch kam nicht von der Haustür. Es klang verdächtig nach dem Klopfen ... der Fensterscheibe. Ungläubig drehten sie sich um.

Bilian schwebte vor dem Fenster und hob triumphierend einen großen, schwarzen Koffer in die Höhe.


Molli erholte sich zuerst. Sie sprintete zum Fenster, riss es so leise wie möglich auf und flüsterte: "Was machst du denn hier?!" Bilian zog eine Grimasse.

Die Long-DrachenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt