10. Kapitel: Das zweite Aufwecken

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Ein Schluchzen durchdrang Bailins Kopf, das nicht aufhören wollte. Schniefen, undeutliche Worte, dann wieder ein Schluchzen. Stöhnend warf er sich auf die andere Seite, aber es half nicht. Müde von der Reise nach Yunnan, wollte er eigentlich früh sich Schlafen legen, aber er musste natürlich anfangen, eins der Bücher zu lesen. So schlief er erst gegen Mitternacht ein. Nun war es ... sieben Uhr? Acht? Ehrlich, dieses Mädchen besaß die das Talent, müde Long-Drachen aufzuwecken.

„Jetzt weckst du mich schon zum zweiten Mal auf", knurrte er, „wenn ich diesmal keine Entschuldigung höre, dann..." Eine passende Strafe musste er sich noch überlegen.

Die Antwort kam einige Sekunden später.

„Entschuldige, Bailin, ich saß wohl zu nah an der Haarspange", antwortete Ja-s-min leise. „Es ist schon okay. Schlaf weiter."

„Dein Weinen klang aber nicht gespielt. Ist etwas passiert?" Wieder brauchte sie einen Moment, bevor sie antwortete. Bailins Schwanz peitschte unruhig im Wasser. Ihm kam der Gedanke auf, dass er vielleicht der Grund dafür war. Sofort fühlte er sich schuldig und überlegte fieberhaft, was gestern sie denn erzürnt haben könnte. Die Sache mit der alten Frau vielleicht? Dann wurde er wütend auf sich, weil er sich schuldig gefühlt hatte. Ja-s-min antwortete nicht. Da fiel ihm etwas anderes ein.

„Marke. Ist es wegen ihm?"

„Marc heißt es ", korrigierte sie, sagte aber nichts weiter. Bailin vermutete, dass er richtig lag. Sofort bohrten seine Krallen sich in den Sand. Der soll ihm bloß nicht zu nahe kommen. Wer einem Mädchen wie sie verletzt, der verdiente einen Krallenschlag. Oder einen Biss.

„Marc kommt nach China", erzählte sie nun doch, „er sucht mich. Er ist noch in Hangzhou. Morgen dürfte er in Shanghai ankommen." Das überraschte ihn.

„Was will er denn hier?", fragte er. Sie schniefte schon wieder.

„Ich glaube, er will sich entschuldigen. Papa wird ihn abholen. Er will mich bestimmt sehen und wenn nicht wird er sogar bei uns unterkommen. Wie soll ich das aushalten? Und wenn er mir um Verzeihung bittet, was soll ich dann machen? Ich will ihn nicht verzeihen, aber er ist meinetwegen um den halben Erdball gereist, wer könnte ihm denn dann nicht verzeihen?" Sie weinte. Obwohl Bailin nicht viel von dem Kram zwischen zwei Geschlechtern verstand, ahnte er, dass Marke Ja-s-min doch etwas bedeuten musste. Sonst wäre sie nicht so verwirrt.

„Kann ich dir helfen?", rutschte es aus Bailin heraus. Hilfsbereitschaft für die Menschen? Jederzeit. Hilfsbereitschaft für hübsche Mädchen? Warum nicht. Hübsche Mädchen sind doch auch Menschen.

„Vielleicht, hm, können wir uns noch mal sehen? Das könnte mich ablenken", sagte sie zaghaft. Bailin dachte an Pfannkuchen, den Rochen. Der Schleimer war bereits auf ihn aufmerksam geworden. Noch ein außerdienstliches Entfernen gab ihm die Chance, ihn bei seinem Vater zu verpetzen. Er würde sich eine Ausrede einfallen müssen.

„Heute Nachmittag, gegen zwei Uhr?", schlug sie vor. Bailin bejahte.

„Am Strand? Oder lieber am Fluss?", wollte er wissen.

„Am Fluss", antwortete sie. „Wir sehen uns dann. Tschüss. Und Dankeschön." Bailin brauchte eine Weile, um zu realisieren, dass sie aufgelegt hatte. Seine Müdigkeit war verflogen. Er stand auf, streckte sich, und schwamm aus dem Zimmer. Er suchte das Arbeitszimmer des Wetterdienstes auf, das das gesamte oberste Stockwerk einnahm.

An der Decke war eine Karte eingezeichnet. Wenn Molli hier wäre, so würde sie ohne Mühe Ostasien, Pazifik und sogar die Westküste Amerikas benennen. Bailin war, wie wir festgestellt haben, in Geographie nicht sehr gut, aber es war eben so, dass er sich nicht die Mühe gemacht hatte, alle menschliche Namen für die Orte zu merken. Es gab Drachenworte dafür. Außerdem kannte er China sowieso so gut wie seinen eigenen Schuppen. Was die Länder außerhalb Chinas betraf – es waren nicht seine Einsatzgebiete.

Die Long-DrachenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt