Molli war sich sicher, dass Marc, während er auf dem Sofa lag, seinen Unterwasserbesuch ausgemalt hatte, so wie sie es getan hatte. Aber ihre Gedanken kreisten in dieser Nacht ganz woanders.
Sie war Bailins Angebetete?
So ein Quatsch, sagte sie sich. Es war schon ein Wunder, dass er sie überhaupt gerne hatte. Sie wüsste nicht, welche Qualitäten sie auszeichneten, um sie für einen Drachen attraktiv erscheinen zu lassen. Drache und Mensch. Das ging doch gar nicht.
Aber warum grinste sie dann so blöd gegen die Decke?
Sie konnte nicht leugnen, dass sie Bailin mochte, der Long-Drache, der sie zu Beginn fast getötet hätte, aber sie so schnell ins Vertrauen gezogen hatte. Der zu ihr geeilt ist, als sie Trost brauchte. Der gewillt war, die Welt der Menschen kennenzulernen. Aber war da etwas mehr als die Freundschaft, die sich in den letzten Tagen aufgebaut hatte?
Sie lag sehr lange wach und grübelte vor sich her, ohne wirklich zu einem Ergebnis zu kommen, wie es bei gemischten Gefühlen oft der Fall ist. Zumindest hatte sie den Entschluss gefasst, nach dem Unterwasserbesuch mit Marc zu reden. Einen Tag wollte sie sich noch gönnen.Gestern Abend hatten die Geschwister bereits vor Mollis Eltern die Einladung zu einer U-Boot-Besichtigung ausgesprochen. Tiefbeeindruckt waren sie natürlich und hatten ohne zu Zögern zugesagt. Selbstverständlich wurde Molli von ihrer Mutter eingeschärft, nicht an Knöpfen herumzudrücken (also bitte), nicht an Tauchaktivitäten teilzunehmen (das wird sich nicht vermeiden lassen) und nicht an Türen zu lauschen (im Falle, dass die Marine eine geheime Invasion gegen Japan plante o.Ä.). Sie tat so, als würde sie Frau Weiß gut zuhören, und nickte mit großen Augen. Ihr Vater hingegen sagte, dass sie die Zeit einfach genießen sollte. Dafür liebte sie ihn.
Der Morgen kam, und Molli und Marc machten sich fertig. Bailin und Bilian wollten sie abholen.
"Sag mal", fragte Marc leise, während Molli sich im Bad die Wimpern tuschte, "muss ich irgendwas beachten, wenn wir dort unten sind?" Molli überlegte kurz.
"Den Anweisungen von den beiden Folge leisten, sich nicht von anderen Long-Drachen sehen lassen, nichts anfassen... so was in der Art."
"Was würde passieren, wenn andere Long-Drachen uns sähen?", wollte er wissen.
"Sie haben alle unterschiedliche Einstellungen. Manche sind menschenfreundlich, manche feindlich. Manche wollen uns fressen."
"Fressen?" Marc sah nun doch nicht so glücklich aus.
"Keine Sorge, die Geschwister werden auf uns aufpassen.", tröstete sie und legte noch etwas rosa Lippenstift auf die Lippen.
"Du machst dich ja chic", bemerkte Marc.
"Wir besuchen ein U-Boot mit Soldaten, Wissenschaftlern und anderen kleinen Genies darauf, vergessen?"
"Rosa steht dir." Plötzlich erinnerte sich Molli an einen anderen, nicht sehr angenehmen Fall, welcher auch mit einem Lippenstift zusammenhing. Sie vergaß ihren Vorsatz von gestern Nacht, und sagte:
"Rebeccas Lippenstift stand ihr bestimmt auch gut." Marc schaute kurz verwirrt. Dann schien er sich zu erinnern.
"Du bist immer noch sauer wegen der Sache mit Rebecca? Wirklich, Molli, ich war so blau an dem Abend..."
"Das erklärt also auch, weshalb du ihr eigenhändig Lippenstift aufgetragen hast, nur damit sie dir hinterher tausend Knutschflecken plus Lippenstiftflecken auf dem Hals hinterlässt?"
"Molli..."
"Jasmin."
"Molli. Ich hatte einen Filmriss an dem Abend, ich erinnere mich an absolut nichts mehr. Alles, was passiert ist, haben meine Kumpels mir am nächsten Tag erzählt. Ich habe mich doch schon hundert Mal bei dir entschuldigt."
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Die Long-Drachen
FantasíaAls Molli in den Sommerferien nach Shanghai flog, hatte sie keine Ahnung, dass sie schon bald hinter einem Geheimnis kommen würde: chinesische Drachen, sog. Long-Drachen, existieren wirklich. Doch sie wusste nicht recht, was sie von dem stolzen, mäc...