L U N A
Voller Angst blieben wir zurück und sahen uns an.
Schließlich hörte wir nichts mehr außer dem Rascheln der Blätter um uns herum.
„Ihr denkt nicht etwa, dass ihnen etwas zugestoßen ist, oder?", fragte ich leise.
„Das wär mir bei Malfoy egal, aber wenn Neville ... Es ist nämlich unsere Schuld, dass er überhaupt hier ist."
Die Minuten schleppten sich dahin.
Unsere Ohren schienen schärfer, als normal zu sein.
Mir kam es vor, als könnte ich jeden Seufzer des Windes, jeden knackenden Zweig hören.
Was war eigentlich los und wo waren die andern?
Endlich kündete ein lautes Knacken Hagrid's Rückkehr an.
Draco, Neville und Fang waren hinter ihm.
Hagrid rauchte vor Zorn.
Draco, so schien es, hatte sich zum Scherz von hinten an Neville herangeschlichen und ihn gepackt.
In panischem Schreck hatte Neville die Funken versprüht.
„Wir können von Glück reden, wenn wir jetzt noch irgendwas fangen, bei dem Aufruhr den ihr veranstaltet habt. Und jetzt bilden wir neue Gruppen - Neville, du bleibst bei mir und Hermine. Harry, Luna, ihr geht mit Fang und diesem Idioten. Tut mir Leid.", fügte er zu Harry und mir Gewand hinzu. „Aber euch wird er nicht so schnell erschrecken und wir müssen es jetzt schaffen."
Und so machten sich Harry, Draco, Fang und ich ins Herz des Waldes auf.
Wir gingen fast eine halbe Stunde lang tiefer und tiefer hinein, bis der Pfad sich fast verlor, so dicht standen die Bäume.
Ich hatte den Eindruck, dass das Einhornblut allmählich dicker wurde.
Auf den Wurzeln eines Baumes waren Spritzer, als ob sich das arme Tier hier in der Nähe voll Schmerzen herumgewälzt hätte.
Weiter vorn, durch die verschlungen Äste einer alten Eiche hindurch, konnte ich eine Lichtung erkennen.
„Seht mal.", murmelte Harry plötzlich und streckte den Arm aus, damit Draco und ich stehen blieben.
Etwas hellweißes schimmerte auf dem Boden.
Vorsichtig traten wir näher.
Es war das Einhorn und es war tot.
Ich hatte nie etwas so schönes und so trauriges gesehen.
Seine langen, schlanken Beine ragten quer in die Luft und seine perlweiße Mähne lag ausgebreitet auf den dunklen Blättern.
Harry trat noch einen Schritt näher, als ein schleifendes Geräusch ihn wie angefroren innehalten ließ.
Ein Busch am Rande der Lichtung erzitterte... Dann kam eine vermummte Gestalt aus dem Schatten und kroch über den Boden auf uns zu, wie ein staksendes Untier.
Harry, Draco, Fang und ich standen da wie erstarrt.
Die vermummte Gestalt erreichte das Einhorn, senkte den Kopf über die Wunde an der Seite des Tieres und begann sein Blut zu trinken.
„AAAAAAAAAAAARRRH!"
Ich zuckte zusammen.
Draco stieß einen fürchterlichen Schrei aus und machte sich auf und davon - mit Fang an seinen Fersen.
Die vermummte Gestalt hob den Kopf und sah zu Harry und mir herüber - von ihrem Mund tropfte Einhornblut.
Das Wesen stand auf und kam rasch auf Harry und mich zu - wir waren vor Angst wie gelähmt.
Plötzlich stolperte Harry rückwärts.
Ich ging langsam auch rückwärts.
Hinter uns hörte ich Hufe, Pferdegalopp, und etwas sprang einfach über uns hinweg und stürzte sich auf die Gestalt.
Harry fiel auf die Knie.
Ich setzte mich neben ihm und lehnte ihn an mich.
Was hat er? Geht es ihm gut?
Nach ein oder zwei Minuten hob er den Kopf.
Ich sah mich um und die vermummte Gestalt war verschwunden.
Ein Zentaur stand vor uns, nicht Ronan oder Bane; dieser sah jünger aus; er hatte weißblondes Haar und den Körper eines Palominos.
„Geht es Ihnen gut?", fragte der Zentaur und half Harry und mir auf die Beine.
„Ja - danke - was war das?"
Der Zentaur antwortete nicht.
Er hatte eindrucksvolle Augen, wie blasse Saphire.
Er musterte Harry sorgfältig und seine Augen verweilten auf seiner Narbe, die sich nun bläulich von Harry's Stirn abhob.
„Sie sind der junge Potter.", stellte er fest. „Besser, Sie beide gehen zurück zu Hagrid. Der Wald ist nicht sicher - besonders für Sie. Können Sie reiten? Dann geht es schneller. Mein Name ist Firenze.", fügte er hinzu und ließ sie auf die Vorderbeine sinken, damit Harry und ich ihm auf den Rücke klettern konnten.
Plötzlich hörte ich von anderen Seite der Lichtung noch mehr galoppierende Hufe.
Mit wogenden, schweißnassen Flanken brachen Ronan und Bane durch die Bäume.
„Firenze!", donnerte Bane. „Was tust du da? Du hast zwei Menschen auf dem Rücken! Kennst du keine Scham? Bist du ein gewöhnliches Maultier?"
„Ist dir klar, wer das ist?", entgegnete Firenze. „Das ist der junge Potter. Je schneller er den Wald verlässt, desto besser."
„Was hast du ihm erzählt?", brummte Bane. „Ich musst dich nicht daran erinnern, Firenze. Wir haben einen Eid abgelegt, uns nicht gehen den Himmel zu stellen. Haben wir nicht in den Bewegungen der Planeten gelesen, was kommen wird?"
Ronan scharrte nervös mit den Hufen.
„Ich bin sicher, Firenze hat nur das beste im Sinn gehabt.", sagte er in seiner späteren Stimme.
Bane schlug wütend mit seinen Hinterbeinen aus.
„Das Beste! Was hat das mit uns zu tun? Zentauren kümmern sich um das, was in den Sternen steht! Es ist nicht unsere Aufgabe, wie Esel herumstreunenden Menschen nachzulaufen!"
Firenze stellte sich plötzlich zornig auf die Hinterbeine, so dass Harry sich an seinen Schultern festklammern musste und ich mich an Harry, um nicht abzurutschen.
„Siehst du nicht dieses Einhorn?", brüllte Firenze Bane an. „Verstehst du nicht, warum es getötet wurde? Oder haben dir die Planeten dieses Geheimnis verraten? Ich stelle mich gegen das, was in diesem Wald lauert, ja, Bane, mit Menschen an meiner Seite, wenn es sein muss."
Und Firenze wirbelte herum; ich klammerte mich an Harry, so gut ich konnte, und wir stürzten zwischen die Bäume, Ronan und Bane hinter uns lassend.
Ich hatte keine Ahnung, was das vor sich ging.
„Warum ist Bane so wütend?", fragte Harry. „Was war eigentlich dieses Wesen, vor dem du uns gerettet hast?"
Firenze ging nun im Schritt und ermahnte Harry und mich, wegen der tiefen Äste den Kopf gesenkt zu halten, doch er antwortete nicht auf Harry's Fragen.
Ohne ein Wort zu sagen schlugen wir durch die Bäume, so lange schweigend, dass ich dachte, Firenze wollte nicht mehr mit uns sprechen.
Wir drangen nun jedoch durch ein besonders dichtes Stück Wald und Firenze hielt plötzlich inne.
„Harry Potter, wissen Sie, wozu Einhornblut gebraucht wird?"
„Nein.", antwortete Harry verdutzt. „Wir haben für Zaubertränke nur das Horn und die Schweifhaare benutzt."
„Das ist so, weil es etwas grauenhaftes ist ein Einhorn abzuschlachten.", sagte Firenze. „Nur jemand, der nichts zu verlieren und alles zu gewinnen hat, könnte ein solches Verbrechen begehen. Das Blut eines Einhorns wird ihn am Leben halten, selbst wenn er eine Handbreit vom Tod entfernt ist - doch zu einem schrecklichen Preis. Er hat etwas reines und schutzloses gemeuchelt, um sich selbst zu retten, aber nun hat er nur noch ein halbes Leben, ein verfluchtes, von dem Augenblick an, da das Blut seine Lippen berührt."
Harry blickte starr auf Firenze's Hinterkopf, der im Mondlicht silbern gesprenkelt war.
„Aber wer könnte so verzweifelt sein?", fragte ich mich laut. „Wenn man für immer verflucht ist, dann ist der Tod doch besser, oder?"
„Das ist wahr.", stimmte mir Firenze zu. „Außer wenn man nur lange genug leben muss, um noch etwas anderes zu trinken - etwas, das einem alle Stärke und Macht zurückbringt - etwas, das bewirkt, dass man nie sterben wird. Mr. Potter, wissen Sie, was in diesem Augenblick in der Schule versteckt ist."
„Der Stein der Weisen! Natürlich - das Lebenselixier! Aber ich verstehe nicht, wer -"
„Können Sie sich niemanden denken, der seit Jahren darauf wartet, an die Macht zurückzukehren, der sich ans Leben klammert und auf seine Chance lauert?"
Wie konnte ich daran nicht denken?!
Natürlich, es war Voldemort!
„Meinen Sie", begann Harry mit krächzender Stimme, „das war Vol-"
„Harry! Luna! Geht es euch gut?"
Mine rannte den Pfad entlang auf uns zu, Hagrid keuchte hinterher.
„Uns geht's gut.", antwortete Harry. „Das Einhorn ist tot, Hagrid. Es liegt dort hinten auf der Lichtung."
Ich glitt von Firenze's Rücken runter und warf mich in Mine's Arme.
„Ich werde Sie nun verlassen.", murmelte Firenze, als Hagrid davoneilte, um das Einhorn zu untersuchen. „Sie sind jetzt sicher."
Auch Harry glitt von seinem Rücken herunter.
„Viel Glück, Harry Potter.", sagte Firenze. „Die Planeten wurden schon einige Male falsch gedeutet, selbst von Zentauren. Ich hoffe, diesmal ist es genauso."
Er wandte sich um und verschwand im leichten Galopp in den Tiefen des Waldes.Ron, der auf unsere Rückkehr hatte warten wollen, war im Gemeinschaftsraum eingenickt.
Während Harry ihn unsanft wachrüttelte, rief er etwas über Quidditch-Fouls.
Nach wenigen Augenblicken freilich war er hellwach, als Harry, Mine und ich ihn zu erzählen begannen, was im Wald geschehen war.
Harry konnte nicht ruhig sitzen.
Er schritt vor dem Fenster auf und ab.
Noch immer zitterte er.
„Snape will den Stein für Voldemort... und Voldemort wartet draußen im Wald... und die ganze Zeit über haben wir geglaubt, Snape wollte nur reich werden..."
„Hör auf, den Namen zu nennen!", sagte Ron in einem angstdurchtränkten Flüstern, als glaubte er, Voldemort könnte sie belauschen.
Harry hörte ihn nicht.
„Firenze hatte mich und Luna gerettet, aber er hätte es eigentlich nicht tun dürfen... Bane war wütend deswegen... er hat etwas gesagt von Einmischung in die Offenbarung der Planeten... Sie müssen wohl zeigen, dass Voldemort zurückkommt... Bane denkt, Firenze hätte Voldemort nicht daran hindern dürfen, mich zu töten... Ich glaube, das steht auch in den Sternen."
„Hörst du endlich auf, diesen Namen zu nennen!", zischte Ron.
„Wir müssen also nur darauf warten, dass Snape den Stein stiehlt.", fuhr Harry in fieberhafter Aufregung fort, „Dann kann Voldemort kommen und mich erledigen... Nun, ich denke, Bane würde glücklich darüber sein."
Mine sah verängstigt aus, doch sie hatte ein Wort des Trosts.
„Harry, alle sagen, Dumbledore sei der Einzige, vor dem Du-weißt-schon-wer je Angst hatte. Mit Dumbledore in der Nähe wird dich Du-weißt-schon-wer nicht anrühren. Und außerdem, wer sagt eigentlich, dass die Zentauren Recht haben? Das klingt für mich wie Wahrsagerei und Professor McGonagall sagt, das sei ein sehr ungenauer Ableger der Zauberei."
Der Himmel war schon hell, als unser Gespräch verstummte.
Erschöpft gingen wir zu Bett, der Hals tat uns weh.
Ich nahm mir noch meine Zeichnung raus und zeichnete die letzten Schattierungen.
Jetzt war ich fertig!
Kurz betrachtete ich noch die Zeichnung von Draco.
Müde klappte ich meine Mappe zu und kuschelte mich dann in meine Decke.
DU LIEST GERADE
Luna Black 1 - Harry Potter
FanficIn einem Leben voller Geheimnisse und Ungewissheit ist Luna Black keine gewöhnliche Hexe. Seit ihrem 15. Lebensmonat lebt sie unter der Obhut ihres Patenonkels, während ihr Vater, Sirius Black, in Askaban gefangen ist. Luna hat stets an die Unschuld...