Aussprache

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Ich schluckte und drückte mich an Joe vorbei in den Raum. James Bridger stand mit dem Rücken zu mir. Als er sich umdrehte, erstarrte er, mitten in der Bewegung.

Ein paar Sekunden starrten wir uns einfach an. Dann räusperte James sich nervös.

„Leni", sagte er leise. Ich schüttelte den Kopf.

„Nein, James, Leni heiße ich schon lange nicht mehr", sagte ich rau. Immer wieder kamen bei dem Namen unangenehme Erinnerungen, nicht nur an den Tag, an dem ich abgehauen war, sondern auch, an den Tag an dem ich Sie getroffen hatte.

James merkte anscheindend, dass das ein empfindliches Thema für mich war, denn er hakte nicht nach.

Einen Moment schwiegen wir wieder, aber da war diese Anspannung in der Luft, weil James nicht wusste, was er nicht ansprechen sollte und ich nicht wusste, was er jetzt erwartete.

„Warum bist du hier?", fragte James schließlich. Ich biss mir auf die Unterlippe und spannte unbewusst meine Schultern an.

„Ich wollte zur Schule gehen. Hab davon gehört und dachte, ich komme mal her", sagte ich. Ich hoffte, dass er mir das einfach abnahm. Owohl das nicht der einzige Grund und schon lange nicht der wichtigste war.

James nickte nur. „Warum bist du...", James brach ab. „Warum bist du damals abgehauen?" James fuhr sich angespannt über die Stirn.

Ich schaute in Richtung Fenster, sodass ich James nicht mehr ansehen musste.

„Ich habe es nicht mehr ausgehalten. Das ständige Gestreite, die Vorwürfe, ihr hattet keine Zeit, keinen Platz mehr für mich, nachdem Joe weg war."

Ich spürte eine Bewegung, nicht weit entfernt von mir. James hatte sich neben mich gestellt.

„Hast du das wirklich gedacht? Hat es sich für dich wirklich so angefühlt?", fragte er dann mit brüchiger Stimme. „Dachtest du wirklich, dass du störst?"

Ich nickte leicht. Es war so schlimm gewesen. Als ich mich entschieden hatte, dass ich abhaue, hatte ich es bei den Bridgers keine Sekunde mehr ausgehalten.

„Linnea, du hast uns nie gestört. Dass wir gestritten haben, das war doch nicht deine Schuld. Wir hätten es merken müssen, dass es dir nicht gut geht, aber es war nie, wirklich nie deine Schuld Linnea."

Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich hatte schon lange nicht mehr über meine Gefühle geredet. Viel zu Lange.

„Ich glaube, ich sollte langsam mal wieder zum Unterricht", flüsterte ich. Meine Augen waren ein wenig feucht und ich wollte weg, einfach weg.

Als James einen Schritt in meine Richtung machte, wich ich ihm aus. Ich hatte plötzlich ein drückendes Gefühl auf der Brust, als wäre keine Luft mehr zum Atmen im Raum.

James hatte Recht, warum war ich hier? War das nur ein weiterer Schritt auf meiner Flucht? Immer weiter weg, bis ich auch noch das letzte Bisschen von mir selbst verlor, bis nicht einmal die Flucht selbst noch einen Sinn hatte?

James stand neben mir, schwieg. Dann räusperte er sich. „Ja, du hast Recht, vielleicht solltest du wirklich wieder in den Unterricht gehen."

Kurz war es wieder still. Dann sprach James plötzlich weiter: „Linnea, wo warst du die ganze Zeit? Ich habe dich gesucht, so lange habe ich gesucht. Ich war so verzweifelt, weil ich wusste, dass ich dich nie finden würde."

„Wenn man lange genug sucht, findet man, was man sucht", antwortete ich leise und blickte auf.

„Ich hatte dir versprochen, dass wir deine Familie suchen. Es tut mir leid, dass es nie etwas geworden ist", sagte James, als hätte ich ihm einen Vorwurf gemacht.

Da war es wieder, das Wort Familie, das mein Herz zum Stolpern brachte. „Ich habe sie schon längst gefunden. Meine Mutter."

Meine Stimme brach und Tränen liefen mir über das Gesicht. Es war das erste Mal, dass ich weinte. Dass ich ein Mensch war und es fühlte sich in diesem Moment so falsch an, ein Mensch zu sein.

„Wie?", fragte James, „Wie hast du sie gefunden?" Ich schüttelte den Kopf und schluchzte leise. „Was ist passiert?"

„Ich kann nicht...", ich brach ab, „Ich will wirklich nicht darüber reden", murmelte ich.

James nickte und zum ersten Mal an diesem Tag sah ich ihm in die Augen. Es lag so viel darin, dass ich es kaum alles beschreiben konnte. Wut, Erleichterung, Sorge.

Mein Körper zitterte und ich konnte nicht länger in meine Menschengestalt bleiben. Fast ohne es zu wollen, verwandelte ich mich und rollte mich als Fuchs auf dem Boden zusammen.

Mein Brustkorb war wie zugeschnürt, ich konnte kaum mehr atmen. Doch ich war nicht allein, James legte seine Hand auf meinen Rücken und hielt mich fest.

Langsam ließ das Zittern wieder nach. Ich war nicht allein. Und ich würde nicht wieder weglaufen.

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Da wären wir wieder. Ich weiß es ist schon spät, aber ich bin gerade erst nach Hause gekommen und ich konnte das Kapitel nicht früher hochladen.

Linnea hat also jetzt mit James geredet. Aber was ist passiert, dass sie es ihm nicht erzählen kann? Wir sie es überhaupt jemandem erzählen? Was denkt ihr, was passiert ist?

Woodwalkers, neue GesichterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt