Eine Stunde später war Gabe wieder verschwunden, ich saß immer noch auf dem Schaukelstuhl und schaute auf den See hinaus. Ich dachte an den letzten Traum, indem Kiro und ich hier am Ufer standen. Es fühlte sich so echt an.
Jetzt, wo ich wusste, dass Kiro noch am Leben war, warum kam er nicht zu mir? Im Traum sagte er, ich wäre noch nicht bereit. Aber jetzt wusste ich es, ich wusste, dass er noch lebte.
Ich war bereit ihn zu sehen.
Für ihn sind 1000 Jahre vergangen.
Wenn ich daran denke, wie er sich in dieser ganzen Zeit gefühlt haben muss zerspringt mein Herz in tausend kleine Scherben.
Ich bemerkte wie ich weinte, die Tränen rannen über meine Wangen. Vor lauter Tränen konnte ich kaum noch etwas sehen.
Mein Vater hatte alles kaputt gemacht.
Warum musste er sich einmischen?
Was war sein Plan?
Wieso hasste er mich sosehr?
Ich musste mich bewegen und lief die Treppe der Veranda runter. ich begann in den angrenzenden Wald zu laufen. Ich musste meinen Kopf frei bekommen um wieder klar denken zu können. Das einzige was mir dabei helfen konnte war laufen.
Ich rannte über die Wiese und in den Wald hinein. Der Weg war schmal und ich musste mich konzentrieren um nicht zu stolpern. Die Vögel zwitscherten und die Luft roch bereits nach Regen. Ich blieb kurz stehen und schaute in den Himmel, noch war er strahlendblau.
Weiter querfeldein konnte ich langsam wieder normale Gedanken fassen. Ich rannte nicht mehr, sondern marschierte stramm voran. Den normalen Wanderweg habe ich schon längst verlassen.
Der Waldboden federte meine Schritte.
Ich schritt über die Wurzeln und bückte mich durch tiefhängende Äste hindurch. Bald gelang ich auf eine große, weite Lichtung. Von hier aus konnte ich den Mount Twin bereits erkennen der immer näher kam.
Die Lichtung war wunderschön.
Die Bäume umrandeten sie, das Gras war saftig grün und die Blumen blühten in den schönsten Farben die die Natur zu bieten hatte. Ich beschloss, hier eine Pause einzulegen und ging in die Mitte der Lichtung um mich dort hinzulegen. Mitten im Gras ließ ich mich auf den Rücken fallen und schloss die Augen. Ich genoss die Sonnenstrahlen auf meiner Haut. Ich atmete tief ein und entspannte mich.
Als ich eine Minute später die Augen öffnete schien es, als würde die Welt um mich herum den Atem anhalten. Die Tiere waren still, alles was ich hörte war ein Specht der munter an einem Baum hämmerte. Der Himmel war jetzt wolkenverhangen, aber das machte mir nichts. Ich stand auf und lief in Richtung des Mount Twin. Der Berg hatte seinen Namen zurecht, denn es gab einen identischen Berg in Europa. Sie waren wie Zwillinge, sahen gleich aus und trotz der Zeitunterschiede und der zwei Kontinente waren sie noch immer verbunden. Stürzte ein Fels von dem einen, stürzte ein Fels vom anderen. Schneite es auf dem einen Gipfel, schneite es auch auf dem anderen. Egal welche Jahreszeit herrschte.
Der Mount Twin war unter den magischen Wesen ein heiliger Ort. Der europäische Berg war das Tor in den Himmel, dieser hier war das Tor zur Unterwelt. Zu meinem Vater. Wir Engel konnten immer in den Himmel gelangen, aber alle anderen mussten die Portale benutzen um hinein und hinaus zu gelangen.
Diese Berge waren voller Energie und zogen magische Wesen aus allen Welten an. Es war wie ein Magnet, wir konnten nicht anders. Wenn der Berg uns rief mussten wir dort hin. Egal wie und egal wann.
Also beschloss ich meine Wanderung fortzusetzen und zum Berg zu gehen. Ich ging wieder in den Wald und setzte meinen Weg fort, als ich in den Wald eintrat hörte ich plötzlich eine Stimme nicht weit von mir entfernt die mir nachrief: >> Claire, was machst du hier draußen? Siehst du nicht, dass ein Sturm kommt? <<, ich erschrak obwohl ich die Stimme erkannte.
Es war Luke.
Ich holte tief Luft und drehte mich in die Richtung aus der die Stimme kam >> ich musste einfach mal raus... <<, sagte ich entschuldigend. Jetzt stand er vor mir mit seinen zerzausten Haaren und dem schiefen Grinsen. >> Aber doch nicht wenn ein Sturm kommt <<, er schien besorgt und blickte nach oben >> komm, ich nehme dich mit nach Hause. Es wird jeden Moment anfangen zu regnen! <<
Eigentlich wollte ich weiterlaufen zum Berg, befürchtete aber dass Luke mich nicht einfach gehen lassen würde. Also nickte ich und beschloss, dass ich Morgen wieder herkommen würde.
Ich stieg in seinen großen schwarzen Pick-Up und schnallte mich an. Sobald wir losgefahren sind begann der Sturm zu wüten. Die Wolken sammelten sich in Sekundenschnelle und verfinsterten den Wald, der Regen toste und wir hatten Probleme vor lauter Wassermassen den Weg zu sehen. Luke kannte sich gut aus und fuhr ohne weitere Probleme auf den steinigen Wegen aus dem Wald heraus.
>> Lass mich doch hier einfach raus, sonst bleibst du noch stecken <<, sagte ich bevor er auf den Feldweg zu meinem Haus abbiegen konnte >> bist du sicher? Es schüttet wie aus Eimern... << ich schaute lachend zu ihm rüber >> na, ich bin ja nicht aus Zucker. Die 500 Meter schaffe ich schon alleine. <<
Er blieb stehen, wenn auch nicht besonders glücklich darüber mich bei diesem Regen aus dem Auto steigen zu lassen.
>> Okay, aber dann begleite ich dich noch zur Tür <<, er wollte sich gerade abschnallen aber ich hielt ihn in der Bewegung auf indem ich meine Hand auf seine legte und sagte: >> Das brauchst du wirklich nicht, Luke. Ich bin schon froh, dass du mich mit zurückgenommen hast <<, ich schenkte ihm ein Lächeln.
Er sah so unglücklich aus, dass ich mich einfach zu ihm rüber beugen und ihm einen Kuss auf die Wange geben musste.
Er wurde rot und fasste sich an die Wange, dann nickte er kurz und sagte unsicher: >> Gut, dann warte ich aber hier im Auto bis du im Haus bist <<, ich wusste, dass es nichts brachte mit ihm zu diskutieren also nickte ich kurz und verabschiedete mich. Ich sprang aus dem Auto, schlug die Türe hinter mir ins Schloss und rannte über den matschigen Weg zu meinem Haus zurück. Ich musste mich einige Male fangen da ich mit meinen Turnschuhen auf dem Matsch hin und her rutschte. Meine Jacke hielt ich über meinem Kopf wie einen Schirm. Unter dem Vordach der Veranda angekommen drehte ich mich noch mal kurz um und winkte Luke zu. Er startete sein Auto, hupte noch mal zum Abschied und bog dann in Richtung Stadt ab.
Die Treppen zur Veranda hoch schaute ich auf meine Schuhe die einst weiß waren. Jetzt waren sie voller Schlamm und ich spürte bereits das Wasser in ihnen. Ich zog sie vor der Haustüre aus und ließ sie neben dem Eingang stehen. Normalerweise mochte ich leichte Sommerregen, aber das war viel mehr. Der Regen schien nicht mehr aufhören zu wollen und der Wind peitsche unaufhörlich durch die dichten Bäume hindurch. Ich drehte mich noch mal zum See um, um zu sehen wie der Regen auf die sonst so ruhige Wasseroberfläche schlug.
Im Haus angekommen ging ich zuerst in die Küche und schaute zum Mount Twin empor. Über dem Gipfel zogen sich die Gewitterwolken zusammen. Ich hatte beinahe das Gefühl als wäre der Berg sauer. Sauer, dass ich ihn nicht besucht hatte. Ich konnte meinen Blick nicht von ihm abwenden. Die Blitze schossen auf die Felsen herab. Er zog mich immer noch an, ich konnte nicht gegen das Bedürfnis ankämpfen. Der Berg rief mich...
Ich schloss die Augen und versuchte mich auf die Stimme des Berges zu konzentrieren. Er wollte, dass ich zu ihm kam. Konnte ich ihn ignorieren?
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Truly Love
FantasyClaire ist ein Halbengel und wird auf die Erde geschickt um die Prophezeiung zu erfüllen. Sie verliebt sich dabei unsterblich in Kiro, den König des Sillakönigreiches und fällt in einen tausendjährigen Schlaf. Als sie wieder aufwachte waren ihr Kr...