Ein Schritt für mich, ein Schritt für dich

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Jarvis nannte es "eine entspannte Zeit".

Für mich hingegen bedeutete es einfach nur Stress, wenn er den Kontakt zu mir suchte. Vielleicht, weil ich unterbewusst auf etwas wartete, das nicht eintrat.
Objektiv gesehen passierte dabei nicht viel. Meist kam er zu mir, legte den Arm um mich und fing ein Gespräch an.
Manchmal fläzte er sich auch einfach nur neben mich aufs Sofa und döste ein wenig, während er mir zusah, wie ich Seite um Seite in meinem Buch umblätterte.

Jarvis sammelte nicht nur Filme, sondern auch Literatur aller Art. Im ersten Stock gab es nicht nur ein Büro und ein weiteres Schlafzimmer mit Bad, sondern auch eine kleine Bibliothek. Ich hatte mir ein paar der Bücher mit ins Wohnzimmer genommen. Lesen war ein guter Zeitvertreib und es lenkte mich ab. Ich konnte einfach in eine andere Welt eintauchen und mein eigenes Leben für ein paar Stunden vergessen.
Für heute hatte ich mir einen Science Fiction Roman ausgesucht, den ich mittlerweile schon fast zur Hälfte verschlungen hatte.

„Was liest du?", riss mich seine Stimme plötzlich aus meinem Lesefluss.

Ich sah auf. Jarvis stand hinter mir und beugte sich neugierig über die Couchlehne.
Ich drehte das Buch um, sodass er den Titel lesen konnte.
„Do Adroids Dream of Electric Sheep? von Philip K. Dick. Das ist eine gute Wahl", sagte er.
Er schlenderte ums Sofa herum und setze sich neben mich. „Lass uns ein wenig Zeit miteinander verbringen."

Er schlang seinen Arm um mich und zog mich mühelos in seinen Schoß. Mein Atem stockte kurz. Ich umklammerte unwillkürlich den Roman in meiner Hand, bis meine Fingerkuppen leicht weiß wurden.
Obwohl ich versuchte, mir meine Anspannung nicht anmerken zu lassen, ertappte er mich natürlich sofort dabei.

Jarvis nahm mir prompt das Buch aus der Hand und legte es zur Seite.
Er war eindeutig nicht begeistert von meiner Reaktion auf ihn und hatte jetzt anscheinend jetzt genug davon.
„Dein Körper reagiert mittlerweile kaum mehr auf mich als Vampir und du weißt, dass ich dich nicht einfach aus dem Blauen heraus überfallartig beiße. Also was ist los? Warum plötzlich wieder diese ganze Anspannung, wenn ich dich nur anfasse?"

Ich schluckte. Es lag nicht daran, dass er ein Vampir war...
Wie immer, wenn ich mir unsicher war, schwieg ich.

„Ich will eine Antwort auf die Frage, Beatrice", sagte er. Ich wand mich innerlich, während ich angestrengt auf meine Finger starrte.
„Willst du, dass ich dich thralle oder rückst du freiwillig damit raus?"
Seine Stimme bekam langsam einen kalten Unterton. Mir war klar, dass er es ernst meinte. Das hieß auch, dass er nicht locker lassen würde, bis er eine Antwort von mir bekam.

Ich fummelte nervös an meinem Nagelbett herum. Die letzten Tage hatte er mich ziemlich gut behandelt. Nachdem wir vom Einkaufszentrum zurückgekehrt waren, hatte er eine wesentlich lockerere Haltung mir gegenüber eingenommen. Seither waren keine deine Drohungen mehr von ihm gekommen und manchmal ließ er mich sogar unbeobachtet mit meinen Freundinnen schreiben. Obwohl er vermutlich später den Verlauf las.

„Das ist es nicht..", druckste ich herum.
„Was dann?"

Mir waren dank der zahllosen Fragen meiner Freundinnen ein paar der Dinge wieder eingefallen, die ich vor längerer Zeit mal über die Beziehung zwischen Vampiren und Prey gelesen hatte. Beziehungen, die sich nicht allein auf Blut beschränkten...
Ich betrachtete den Arm, welchen er um meine Taille gelegt hatte.
Wenn er es sich in den Kopf setzen würde, mich noch zu ganz anderen Dingen zu zwingen, als ihm nur mein Blut zu geben, dann hätte ich überhaupt keine Chance. Und dieser Gedanke machte mir die letzten Tage manchmal richtig Angst.
Wenn er mich so in den Arm nahm, welche Hintergedanken hatte er dann wirklich?

„Was machst du, wenn dir die Antwort nicht gefällt?", fragte ich ihn schließlich. Jarvis zog die Augenbrauen hoch.
„Nur weil mir die Antwort nicht gefällt, heißt das nicht, dass ich sie nicht hören will. Wenn du mir nicht sagst, wo das Problem liegt, kann ich es nicht beheben."
Das klang zwar sehr vernünftig, aber was, wenn er selbst das Problem war? Ich biss mir auf die Lippen.
„Letzte Chance, Bea."
Es half nichts. Ich stählte mich innerlich und atmete tief durch. „Die Umarmung..", begann ich.
„Was ist damit?"
„Es verunsichert mich. Gegenüber dir. Als Frau, verstehst du?"

In seinen FängenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt