Die Wahrheit tut weh

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"Wieso tust du mir das an?" Meine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.

"Dir das antun? Nein, du siehst das vollkommen falsch. Ich hab dir einen Gefallen getan."

"Du hast mich manipuliert, um mit mir zu schlafen! Das ist.." Ich atmete tief durch. "Das hier ist nicht richtig."

"Das hier ist Erlösung", verbesserte er mich, seine Stimme kaum mehr als ein Zischen. "Du brauchst mich, Beatrice. Das solltest du dir endlich eingestehen." 

Wie konnte er das nur sagen? Seit ich ihn kennengelernt hatte, war mein Leben eine einzige Abwärtsspirale! 

"Ist das dein Ernst?", fragte ich. "Du hast mich entführt, Jarvis. Mich einfach aus meinem Leben gerissen, schon vergessen?"

Er schnaubte, ein höhnisches Grinsen auf den Lippen. "Oh, ja ich erinner mich, keine Sorge. Kommt mir beinah vor, als wär es ne Ewigkeit her. Du hattest gute 40 Grad Fieber, als ich dich mitgenommen hab. Du hattest Glück. Ich meine, deiner wunderbaren Familie und deinen tollen Freunden wäre es wahrscheinlich nicht mal aufgefallen, wenn du elendig in deiner Wohnung verreckt wärst."

Er nahm mir beiläufig das Wasserglas ab, aus dem ich eben noch getrunken hatte und stellte es zur Seite. Ich blickte auf meine nun leeren Hände, zu vor den Kopf gestoßen, um etwas darauf zu erwidern. 

"Aber ich versteh, was du meinst. Es hätte elegantere Lösungen gegeben, das geb ich zu. Ich hätte dich noch ne Weile länger preystalken können, damit der Start nicht ganz so holprig wird. Oder ich hätte dich einfach eine Weile fake daten können, vielleicht wärst du dann sogar freiwillig zu mir gezogen, wer weiß?" 

Abgesehen davon, wie krank sich das anhörte, konnte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass ich Jarvis jemals freiwillig gedatet hätte. Er legte den Kopf schief, als er meinen zweifelnden Blick sah.  

"Oh, glaub mir, es hätte funktioniert. Du bist wie ein offenes Buch für mich. Ich hab dich lang genug beobachtet, um einen Blick hinter deine bröckelnde Fassade zu werfen."

"Weißt du, was ich dahinter gesehen hab?" Seine Augen funkelten provokativ. "Hinter all den Mauern, die du um dich herum errichtest?"

"Welche Mauern?"

Er beugte sich zu mir und flüsterte mir ins Ohr. "Die Wände, die dich vor der bösen Welt da draußen schützen sollen. Alles nur, aus Angst, dass dir wieder jemand wehtun könnte. Weil es dir unerträglich wäre, noch mal den Boden unter den Füßen zu verlieren. Noch mal von der Person im Stich gelassen zu werden, die dir so enorm viel bedeutet hat." 

Seine Worte schmerzten, als hätte er Salz in eine offene Wunde gestreut. Ich biss die Zähne zusammen, für einen Moment halb gelähmt von den Dingen, die er mir ins Gesicht spuckte. Ich merkte, wie mir übel wurde.

Er lachte leise. "Weil du Angst hast, dass man dich verlassen könnte, wie es dein Vater damals getan hat."

Ich schüttelte den Kopf, wies alles von mir. "Das ist nicht wahr!"

"Nein? Da bin ich ganz anderer Ansicht. Hinter all den Mauern sieht es nicht gut aus, Bea. Da gibt es nicht viel, für das ich dich beneiden würde. Allenfalls findet man dort bittere Einsamkeit." 

Ich wollte das nicht hören, doch meine Kehle war wie zugeschnürt und Jarvis sprach weiter, als würde er nicht bemerken, was seine Worte in mir anrichteten. Am liebsten hätte ich mir die Ohren zugehalten.

"Du lebst erst seit so kurzer Zeit auf dieser Welt, aber du gehst durch dieses Leben, als wärst du schon ein paar Jahrhunderte auf Wanderschaft. Es wird Zeit, dieses ganze Drama zu beenden."

In seinen FängenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt