"Ich"

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Mit einem Stöhnen rieb ich mir übers Gesicht, geblendet von der schneehellen Morgensonne. Ich hatte einen Muskelkater am ganzen Körper und meine eingerissenen Fingernägel zeugten ebenfalls von meinem einseitigen Kampf mit Jarvis. Die Schmerzen von gestern steckten mir noch deutlich in den Knochen.

Vorsichtig bewegte ich probeweise meine rechte Schulter. Es zog unangenehm, aber solang ich vorsichtig war mit meinen Bewegungen, hielt es sich Grenzen.
Ich tastete ein wenig an dem Pflaster in meinem Nacken herum. Ein dumpfer Schmerz strahlte von meiner Schulter aus bis in die Fingerspitzen, sobald ich Druck auf die Wunde brachte. Auf mich wirkte das jedoch alles harmlos im Vergleich zu gestern.
Alles in allem ging es mir mit der Wunde besser, als ich es für möglich gehalten hatte. Vor allem, wenn ich bedachte, wie tief der Biss gewesen war.

Ein Klopfen in der Tür ließ mich zusammenzucken, was mir gleichzeitig ein schmerzhaftes Zischen entlockte.
„Guten Morgen, Sonnenschein."

In der Morgensonne wirkte seine Haut frisch, sein Blick war klar, die leichten Schatten unter seinen Augen waren verschwunden. Als hätte er ein vampirisches Glow-Up hinter sich.
Ich dagegen wirkte vermutlich komplett zerstört mit Haaren wie ein Vogelnest und einem fetten Pflaster im Nacken.
„Morgen", nuschelte ich zurück.

Jarvis schenkte mir breites Grinsen. Ich blickte stumm auf die Waffen, die er mir gestern noch eiskalt unter die Haut geschlagen hatte. Wenigstens machte er nicht den Eindruck, als würde er mir drohen. Die Geste wirkte eher angeberisch. Er schien heute ehrlich gut gelaunt zu sein. Ich war mir sehr sicher, dass er es dieses Mal nicht spielte.

Der Blick in seinen Augen wirkte wie der eines stolzen Vaters, als er zu mir ans Bett schlenderte.
„Wie fühlt sich die Schulter an?"
„Es ist weniger schlimm, als ich dachte."
Jarvis setzte sich zu mir und begutachtete das Pflaster. Vielleicht war ich durch das Erlebnis gestern abgestumpft, denn als er sich daran zu schaffen machte, blieb mein Herzschlag erstaunlich ruhig.

„Die Wunde sieht ganz gut aus. Trotzdem solltest du heute beim Duschen noch damit aufpassen."
„Wie lange wird es dauern, bis das geheilt ist?", fragte ich ihn.
Wie lange, würde der Biss wohl sichtbar sein? Würde ich für immer Narben haben?

„Das heilt dank Tetrasamin innerhalb weniger Tage restlos. Im Grunde ist es bereits jetzt nur noch eine oberflächliche Wunde, aber versuch trotzdem, noch nicht dranzufassen."
Ich nickte zustimmend. Immerhin, das waren gute Neuigkeiten für mich. Ich war nicht für den Rest meines Lebens entstellt.

„Du wirkst entspannter, als ich dachte. Dein Puls ist ruhiger als die letzten Tage." Jarvis lächelte leicht schief. „Nur mittlerweile weiß ich, dass der Eindruck bei dir leicht täuschen kann. Wie geht es dir wirklich, Bea?"

Ich atmete tief durch. „Ganz Ehrlich? Ich weiß es nicht... Ich fühle mich seltsam, wenn ich daran denke."
Es war schwer zu beschreiben. Es hatte verdammt weh getan, aber die Katze war damit jetzt auch endlich aus dem Sack. 
„Mir ist allerdings ein wenig flau", fügte ich hinzu.
Lag es daran, dass meinem Kopf das Blut fehlte? „Wie viel Blut hast du... von mir getrunken?"

„Nicht genug, dass du davon stark beeinträchtigt sein wirst", sagte er. „Dein Körper wird allerdings die Blutproduktion anpassen, das passiert sogar ziemlich schnell. Mach dir um den Blutverlust keine Gedanken. Ich weiß, was ich tue."

Mit anderen Worten, mein Körper würde zur Blutfabrik werden? Der Gedanke hatte etwas Abstoßendes an sich. Irgendwie ekelte es mir jetzt vor mir selbst.
„Wie oft musst du trinken?", fragte ich schließlich nervös.
Jarvis wich meiner Frage aus. Wie immer, wenn er genau wusste, dass mir die Antwort nicht gefallen würde.
Ich hasste das. Ich wollte wissen, was um mich herum los war und was mit mir passieren würde.

In seinen FängenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt