Kapitel 2

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Ich wische mir schweratmend den Schweiß aus dem Gesicht. Ich fühle mich gerade wirklich widerlich. Meine Kleidung ist nass und klebrig und überall an mir hängen Dreck und Staub.
Aber ich bin stolz auf mein Werk. Die Hütte sieht nun ganz anders aus als vorher. Ich habe sämtliche Räume renoviert, farbig angepinselt und gestaltet. Nur die Haustür fehlt noch. Allerdings bin ich leider ziemlich klein, was zur Folge hat, dass ich die Tür nicht allein aus der Angel heben kann. Und schon gar nicht mit meiner Verletzung.

Ich weiß jedoch nicht, ob es Zufall ist oder nicht. Jedenfalls bin ich gerade an der Tür zugange, als ich Schritte höre. Augenblicklich fahre ich herum und gehe in Angriffsstellung. Ich sehe einen Kerl, der etwas älter ist als ich. Und ich kenne ihn.

"Liam?", frage ich skeptisch. Der Brünette strahlt mir entgegen und kommt auf mich zu. "Hey Kleiner. Lange nicht gesehen", sagt er. Ich runzle die Stirn. "Gestern?", entgegne ich ironisch.
Liam nickt und wirft einen Blick an mir vorbei zu meiner Hütte. "Wohnst du hier?", fragt er. - "Ich wüsste nicht, was dich das angeht."
"Nichts, aber es interessiert mich", entgegnet Liam. Kann dem vielleicht mal jemand sein dummes Grinsen untersagen??
"Und warum? Du kennst nicht mal meinen Namen".

Bevor ich reagieren kann, geht Liam an mir vorbei in meine Hütte. "Ey, was soll das?!" So schnell ich kann haste ich ihm hinterher, nur um zu sehen, dass er sich an meinem Tee bedient. "Kannst du das mal lassen?!", fauche ich wütend. Liam mustert mich einen Moment. "Sorry", sagt er und reicht mir die leere Tasse.
"Soll ich dir helfen?", fragt er und zeigt auf die Eingangstür, die ziemlich schief hängt. "Nein!" - "Du siehst aber nicht aus, als würdest du das allein hinbekommen", lacht er. Ich kneife die Augen etwas zusammen und blicke ihn finster an. Ja, ich bin nicht sonderlich groß... aber ich bin auch erst achtzehn Jahre alt, also vielleicht wachse ich ja auch noch! "Ich brauche deine Hilfe nicht", murre ich grimmig. Liam seufzt und zeigt auf mein Bein. "Bist du dir da sicher?", fragt er. - "Absolut".

"Okay, na dann... dann werde ich mal wieder gehen. War schön, dich wiederzusehen, Kleiner". Liam winkt ein letztes mal und verlässt fröhlich pfeifend meine Hütte. Ich pfeffere wütend die Teetasse in die Ecke und humple zur Tür. Vor lauter Wut packe ich die Ecken davon und zerre sie mit Wucht aus den Angeln. Bevor ich mich jedoch über meinen Erfolg freuen kann, liege ich unter der schweren Holztür begraben. Ich stöhne schmerzerfüllt auf und versuche, das Ding irgendwie von mir herunterzubekommen. Ohne Erfolg.
"So eine verfluchte Scheiße", zische ich mit zusammengebissenen Zähnen. Plötzlich höre ich erneut Schritte. Bevor ich überhaupt Zeit habe, zu reagieren, sehe ich wieder das Tageslicht und Liam sieht von oben auf mich herab. "Na Kleiner, lange nicht gesehen", sagt er lachend und reicht mir seine Hand, womit er mir hochhilft. Ich halte mich ächzend am Türrahmen fest und versuche, kein Gewicht auf mein rechtes Bein zu belasten. "Kann ich dir jetzt vielleicht helfen?", fragt Liam und betritt erneut mein Zuhause. - "Vielleicht", murmle ich zögerlich. Liam schnappt mich, hängt mich über seine Schulter und läuft in mein Schlafzimmer, wo er mich sanft auf dem Bett ablegt. "Hast du Schmerzen?", fragt er und mustert mich. Ich nicke langsam. Liam zeigt auf meine Hüfte. "Hier?" Wieder nicke ich. "Ich kenne mich mit Medizin aus... wie gesagt, ich kann dir helfen. Du musst es nur zulassen", schlägt er freundlich lächelnd vor. Bitte? Wo ist plötzlich sein überhebliches Grinsen abgeblieben?!

"Also?"

- "I-ich.. ich brauche deine Hilfe", nuschle ich kaum verständlich. Liam nickt und hilft mir dabei, meine Hose bis zu den Knien herunterzuziehen. Als er nach dem Bund meiner Boxershorts greift, schiebe ich seine Hände hektisch weg. "Lass das", keuche ich. Er mustert mich erneut, dann schnappt er sich eine Decke, hebt sie über meinen Schritt und zieht mir dann die Shorts runter. Oh Gott, ist das unangenehm...
"Ach du scheiße", entfährt es Liam. Als ich es wage, einen Blick auf meine Leistengegend zu werfen, weiß ich, wovon er spricht. Der Verband, den ich gestern notdürftig um meine Hüfte gewickelt habe, ist blutdurchtränkt. Kein Wunder, dass ich solche Schmerzen habe. Die Wunde muss wieder aufgerissen sein, als die Tür auf mich fiel. Liam bekommt seinen -vor Schock offen stehenden- Mund gar nicht mehr zu, als er den Verband Schicht für Schicht abwickelt. Als er die Wunde sieht, zieht er scharf die Luft ein. "D-das... was hast du denn da gemacht?!", fragt er entsetzt. - "Das ist nichts", murmle ich leise. "Nichts?!", wiederholt Liam geschockt. Ich nicke.

Der Brünette geht kurz ins Bad, um einen nassen Waschlappen zu holen. Dann beginnt er damit, vorsichtig die tiefe Wunde zu säubern. Bei jeder Berührung zucke ich zusammen. Inzwischen schwitze ich nicht mehr vor Anstrengung und Hitze, sondern vor Schmerz. Kalter Schweiß läuft an meiner Stirn herunter. Tränen haben sich in meinen Augen gebildet. Als Liam die Wunde ein weiteres Mal berührt, schluchze ich laut auf. Sofort streicht er mich beruhigend durch die Haare und flüstert mir Worte zu, die ich jedoch nicht verstehen kann. "...Verbandszeug...?"
Da dies das einzige ist, was ich heraushören kann, nicke ich. Liam steht auf und geht aus dem Zimmer. Nebenbei höre ich ein paar Flüche und ein wenig Gepolter, doch schließlich kommt Liam mit einem kleinen gelben Koffer unter dem Arm zurück. Er wühlt ein wenig darin herum. Dann rutscht er etwas näher zu mir, hebt meinen Kopf etwas an und gibt mir ein paar Schlucke Wasser aus einem Glas. "Bitte hasse mich jetzt nicht", flüstert er.

Plötzlich werde ich von einem scharfen, stechenden Schmerz so wachgerüttelt, dass ich einen lauten Schrei loslasse. Während Liam weiterhin versucht, mich zu beruhigen, näht er die tiefe Wunde mit einigen Stichen zusammen.

Dann verlässt mich das Bewusstsein.
Während der Schwärze, die in mir drin ist, höre ich immer wieder einige Sätze, die in meinen Gedanken herumschwirren.

Ich liebe dich, Louis.

Warum willst du das Bündnis nicht?

Ich bin erst siebzehn Jahre alt.

Ich möchte mit dir schlafen.

Nein, hör auf, ich will das nicht! Bitte!

Du bist noch zu jung dafür, es kann nichts passieren.

Du wirst aus unserem Kreis verstoßen. Verschwinde!

Schweratmend setze ich mich auf und blicke mit aufgerissenen Augen um mich. Liam starrt mich erschrocken an und hält abwehrend seine Hände in die Luft. "Hey, es ist alles gut, Kleiner. Du warst bewusstlos. Aber vielleicht war das ganz gut, ich habe die Wunde fertig versorgt. So hast du nichts davon mitbekommen." Ich betrachte einen Moment meine frische Hose, die Liam mir angezogen hat. Dann nehme ich das Handtuch entgegen und trockne meine nassgeschwitzten Haare etwas ab. "Ähm Kleiner, ich-"

- "Louis".

Liam runzelt kurz die Stirn, dann erhellt sich seine Miene. "Oh, du heißt Louis?", fragt er begeistert. Ich nicke. "Schön, jetzt weiß ich endlich deinen Namen", stellt er zufrieden fest. Dann seufzt er jedoch und sieht mir wieder in die Augen. "Louis, wie ist das passiert?", fragt er, "das ist kein einfacher Kratzer oder eine harmlose Schramme. Das ist ein tiefer Biss. Hattest du... mit irgendwelchen Tieren Kontakt? Mit... einem Hund? Oder... einem Wolf?", fragt er. Sofort lache ich. Ich hoffe zumindest, dass er nicht merkt, wie gekünstelt das ist. "Ein Wolf? Liam, bitte. Mach dich nicht lächerlich". Plötzlich ertönt ein leises Knurren. Als ich jedoch erschrocken zu Liam sehe, schluckt er und setzt dann wieder sein Lächeln auf. "Hat... hat deine Verletzung mit deinem Traum zu tun?"
- "Ähm Traum? Welcher Traum?", frage ich langsam. Liam blickt mich unsicher an. "Du... du hast gerade ziemlich heftig geweint... und geschrien... und du hast merkwürdige Sätze gemurmelt".

Ich winke gespielt ab. "Ach das.. das war nichts. Ich habe manchmal ein paar Albträume, aber die sind harmlos. Danke auf jeden Fall für deine Hilfe, ich würde mich dann ganz gerne ausruhen".

Liam nickt und steht vom Bett auf. "Ich komme morgen nochmal vorbei und versorge die Wunde". Sofort schüttle ich den Kopf und setze ein Lächeln auf. "Nein nein, das ist nicht nötig. Mir geht es schon viel besser", versichere ich.

Der Brünette räuspert sich unbehaglich, dann nickt er langsam. "Aber du solltest in ein paar Tagen dringend die Fäden ziehen lassen. Und pass auf, dass sich das ganze nicht entzündet", erklärt er. Ich nicke geduldig. Als er fertig mit seinem Vortrag ist, verabschiedet er sich noch von mir, dann verlässt er die Hütte, wobei er vorher noch die Tür gerade einhängt und hinter sich schließt.

Ich lasse mich beunruhigt zurück in die Kissen fallen.

Ich muss mich in Zukunft dringend von Liam fernhalten.

Er darf mir nicht zu nahe kommen. Niemals.

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Es freut mich, dass die Story bereits von Lesern entdeckt wurde😊

Bis zum nächsten Kapitel✌

Secret white lies - L.S.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt