Kapitel 7

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Ich rede nicht mehr.

Liam versucht seit Tagen alles, mich dazuzubewegen, mit ihm zu sprechen, doch es ist zwecklos.

Die Erinnerung hat mich schlichtweg eingeholt. Erinnerung, die einfach nur schmerzt.

Auch wenn ich nicht daran denken möchte... es passiert automatisch.  Je mehr ich versuche, mich abzulenken, desto mehr halten meine Gedanken mich fest. Und ich hasse es.
Genau das war sein Ziel. Ich würde für immer daran zurückerinnert werden. Mein ganzes Leben werde ich nun diesen Ballast mit mir herumschleppen.

"Louis? Ich habe dir einen Tee gemacht. Vielleicht kannst du dadurch besser einschlafen".

Ich sehe nicht einmal auf, als Liam nach meinen Händen greift und die Tasse dazwischenklemmt. "Bitte trink' das", sagt er leise. Wie ein Roboter setze ich die Tasse an meine Lippen und lasse die heiße Flüssigkeit meine Kehle hinunterlaufen. Sobald der Tee leer ist, nimmt Liam das Gefäß zurück und streicht mir kurz über die Wange. "Leg dich etwas hin und versuche, zu schlafen. Heute Nacht hast du dich auch nur wieder herumgewälzt", sagt er. Ich lege mich stumm zurück auf die Matratze und schließe meine Augen. Liam zupft die Bettdecke zurecht und pustet die Kerze auf dem kleinen Tisch neben mir aus. Dann verlässt er den Raum. Sofort öffne ich wieder meine Augen und starre an die Decke.

Minuten vergehen.

Aus Minuten werden Stunden und anschließend Tage.

Liam verzweifelt immer mehr, während mich mein schlechtes Gewissen auffrisst. Doch es geht nicht. Ich kann einfach nicht mit ihm sprechen.

~*~

Es ist gerade Nacht, als ich laute Stimmen höre. Sehr laute Stimmen. Ich seufze und setze mich auf. Unter der Bettdecke ist es gerade viel zu warm. Die Stimmen kommen näher. Ich schließe meine Augen, um besser herauszufiltern, von wem sie stammen. Es müssten drei Personen sein, wenn ich mich nicht täusche. Eine davon ist Liam. Die andere ist weiblich. Ich überlege fieberhaft, woher ich ihre Stimme kenne, doch dann fällt es mir plötzlich ein. Es ist die junge Frau vom Lagerfeuer, die den anderen eine Geschichte erzählt hat. Sie erschien so... herzlich. Doch nun klingt sie aufgebracht und ängstlich. Genau wie Liam. Doch wer ist die andere Person?
Erneut schließe ich meine Augen. Die Stimmen sind weg. Stattdessen ertönt plötzlich ein fürchterliches Wolfsheulen. Es gehört zu Liam. Er hat Schmerzen und Angst. Ich atme tief durch, dann stehe ich vom Bett auf und setze einen Schritt vor den anderen. Als ich an der Tür angelangt bin, drücke ich die Klinke langsam herunter und öffne sie. Augenblicklich werden auch die Geräusche lauter. Ich verlasse die Hütte leise und blinzle ein paar mal, um meine Augen an die Dunkelheit zu gewöhnen. Würde ich mich verwandeln, könnte ich jede Fliege sehen, doch in der menschlichen Form geht das nicht. Trotzdem sträube ich mich gegen den Drang. Ich bleibe ein Mensch.

Ich gehe etwas näher zu dem Spektakel. Viele Frauen, Männer und Kinder stehen im Kreis. Sie sind leise. Niemand von ihnen spricht etwas. Lediglich die drei Stimmen von vorhin sind zu hören. Niemand scheint mich zu bemerken, als ich mich direkt hinter den Rudelangehörigen hinkauere, um durch das Beingewusel das Geschehen verfolgen zu können. Es sind drei Wölfe. Liam- der graue Wolf, die junge Frau- der braune und schließlich noch die letzte Person, die ich vorhin hörte. Pechschwarzes Fell. Riesig. Hochgezogenen Lefzen. Grüne Augen, die jedoch dunkel erscheinen.
Der Wolf knurrt bedrohlich. Liam senkt seinen Kopf und klemmt seine Rute zwischen die Hinterbeine. Er winselt kläglich. In seinem Fell klebt Blut. Vor allem seine rechte Vorderpfote sieht schlimm aus. Die braune Wölfin tänzelt aufgedreht um die beiden herum. Es scheint, als wolle sie den schwarzen Wolf von dem grauen ablenken. Der größte von ihnen knurrt erneut. Nun senkt auch die Wölfin ihren Kopf und weicht langsam zurück. Sie wirft Liam einen entschuldigenden Blick zu.
Dieser gibt ein paar mal ein Art Bellen in die Richtung des schwarzen Wolfes ab. Mir ist klar, dass sie miteinander reden. Genauso, wie mir klar ist, dass der schwarze Wolf der Alpha ist. Harry.

Secret white lies - L.S.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt