Kapitel 50

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Kaum war ich eingeschlafen, hatte Harry mich auch schonwieder geweckt. Ich vermute, dass ich maximal eine halbe Stunde Pause hatte. Er ließ sich auch nicht erweichen; wir mussten weiter. Wir liefen fast die ganze Nacht hindurch ohne mal kurz zu Verschnaufen. Immer wieder drückte ich mich eng an Harry, wenn etwas Unheimliches im Laub direkt neben mir raschelte. Der Alpha amüsierte sich jedes mal. Und dass ich ihn daraufhin immer wütend anknurrte, fand er wohl auch mehr als lustig.

Jedenfalls sind einige Stunden vergangen. Inzwischen kündigt sich der Morgen langsam an. Die ersten Vögel über uns in den Bäumen beginnen zu zwitschern und immer mal wieder erblicken wir ein Reh oder einen Fuchs. Diese nehmen jedoch gleich Reißaus, sobald sie uns bemerken. Auch der kalte Nebel verschwindet mehr und mehr und die Sonne, die leicht durch die Baumkronen hindurch kommt, trocknet mein nasses Fell allmählich. Wurde auch Zeit. Ich hasse es. Erstens riecht man wie ein nasser Straßenköter und zweitens verfärbt sich mein Fell dann von schneeweiß zu einem schmutzigen Grau. Einfach nur hässlich.

Wir sind bald da. Schaffst du den Rest noch?

Seufzend nicke ich. Auf der einen Seite bin ich mir zwar sicher, jeden Moment zusammenzubrechen, doch auf der anderen Seite möchte ich endlich unser Ziel erreichen. Auch wenn ich wirklich Angst vor diesem Arzt habe und unfassbar nervös bin, so hoffe ich trotzdem, dass es dort wenigstens ein Bett und leckeres Essen gibt. Auch wenn dies nicht der Grund für unseren Besuch ist.

Nach gefühlten Ewigkeiten taucht ein kleines Häuschen vor uns auf. Es liegt relativ versteckt zwischen dicht gewachsenen Bäumen. An der Hauswand wachsen Efeu und Moos und die Fenster sind so schmutzig, dass man nicht das Gefühl hat, es würde noch jemand dort wohnen.

"Sicher, dass wir hier richtig sind?", flüstere ich, nachdem wir uns gewandelt haben. Harry streift sich die Gurte des Rucksacks über die Schultern und nickt. "Ethan ist sogar Zuhause." - "Woher weißt du das?", frage ich im selben Flüsterton wie eben. Stumm deutet Harry auf den Rauch, der aus dem Kamin des Häuschens emporsteigt. "Komm mit." Als er losläuft, schnappe ich mir seine Hand und klammere mich daran fest. Harrys Schmunzeln ignoriere ich gekonnt. Er weiß genau, dass ich mir gleich vor Angst in die Hose mache, immerhin bin ich nicht der Einzige, der meinen schnellen Herzschlag spürt.
"Können wir nicht wieder umkehren?"

"Lou, nun warte doch einfach mal ab." Als er an die Holztür klopft, zucke ich zusammen. Das Geräusch hallt laut durch den Wald. "Ist dieser Ethan überhaupt nett?

"Das hoffe ich doch!" Ein erschrockenes Fiepen entkommt mir, als plötzlich eine fremde Stimme ertönt. Harry drückt beruhigend meine Hand und lässt zu, dass ich mich hinter ihm verstecke. Ein älterer Mann mit grauen Haaren steht vor uns und betrachtet uns mit einem strahlenden Lächeln. "Hallo Harry! Wie schön, dich mal wieder zu sehen!" Er schließt seine Arme um meinen Alpha und ich verspüre einen kleinen Hauch von Eifersucht in mir, als die beiden sich so nahe kommen. "Hallo Ethan. Wie geht es dir?" Harry drückt den Mann fest an sich, bevor er sich wieder von ihm löst. Meine Hand hat er die ganze Zeit nicht losgelassen. "Man schlägt sich so durch. Manchmal ist es ein wenig einsam, aber ich bin es ja gewohnt", erzählt der Mann und schielt kurz zu mir. Schnell verstecke ich mich wieder hinter Harry. "Du bist nicht allein hier, wie ich sehe", stellt Ethan fest, "hast du also endlich jemanden gefunden?" - "Habe ich, ja. Er heißt Louis." Sanft zieht er mich etwas zur Seite, sodass Ethan mich sehen kann. Ich komme mir vor wie auf einem Viehmarkt. "Hallo Louis. Freut mich, dich kennenzulernen." Der Ältere streckt mir seine Hand entgegen, die ich kurz beäuge und erst nach längerem Zögern meine hineinlege. "Hallo", sage ich leise und starre auf den Boden. Schnell nehme ich meine Hand wieder zu mir und verschränke sie mit Harrys, der den Druck sogleich erwidert. Es beruhigt mich. "Du hast es also noch rechtzeitig geschafft. Robin hatte immer die Hoffnung, dass du einen passenden Omega findest." Verwirrt hebe ich meinen Kopf und sehe Harry an, der seine Lippen zu einem traurigen Lächeln verzieht. Wie lange kennen er und Ethan sich schon, wenn der Ältere sogar Harrys Vater kannte? "Dad wollte immer nur das Beste für mich."

Secret white lies - L.S.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt