"Habt ihr über mich geredet?", fragt Harry und bleibt einige Meter von der Haustür entfernt stehen. Anne ist inzwischen wieder auf dem Weg zurück zum Rudel. Immerhin kann sie ihnen jetzt Gewissheit vermitteln, was mit Harry los ist. Und mit mir. Wobei das wohl die Wenigsten interessieren wird. Sie sehen mich vermutlich als Monster, weil ich ihren Alpha ablehne. "Du spielst nicht immer die erste Rolle, Harry", entgegne ich mit zusammengekniffenen Augen, woraufhin er nachdenklich seine Lippen verzieht. "Was beschäftigt dich denn dann so?", hakt er weiter nach. - "Gegenfrage: Warum interessiert dich das überhaupt?" Harry legt seinen Kopf etwas schief und schmunzelt dann leicht. "Ganz einfach. Ich mag dich. Mir ist klar, dass das noch nicht auf Gegenseitigkeit beruht, aber vielleicht ändert es sich ja irgendwann", erklärt er und steckt seine Hände in die Hosentaschen. "Wer sagt das? Und was sollte der Grund dafür sein? Etwa dass wir zusammen im Sterbebett liegen werden?" Ein bitteres Lachen entkommt mir.
"Ich glaube kaum, dass das ein Grund für dich wäre, mich zu mögen". Harrys Stimme klingt kalt. Von einer Sekunde auf die andere scheint seine Stimmung sich geändert zu haben. Ein herzhaftes Gähnen überkommt ihn. "Ich gehe jetzt eine Runde schlafen. Mir wäre es recht, wenn du in dieser Zeit auf dich selbst aufpassen könntest", sagt er und dreht sich dann um. - "Das kann ich immer!", rufe ich störrisch zurück. Es nervt, dass Harry mich immer für so verletzlich hinstellt. Ich bin alt genug, um allein leben zu können. "Warum gehst du überhaupt jetzt schon schlafen?", füge ich hinzu. Harry dreht sich kurz zu mir um und deutet dann auf eine imaginäre Uhr am Handgelenk. "Die Zeit läuft. Noch zwei Wochen. Komisch dass du nicht merkst", sagt er und setzt sich dann auf den Boden. Er möchte sich wandeln. Normalerweise geschieht das in zwei Sekunden, doch jetzt dauert es mehr als doppelt so lange. Es scheint, als hätte Harry einfach nicht genug Kraft dazu. Als er schließlich in seiner Wolfsform ist, legt er sich schwerfällig auf den Boden und legt den Kopf zwischen den Vorderbeinen ab. Sein Atem geht langsam. Mir fällt außerdem plötzlich auf, dass sein Fell sich verändert hat. Es glänzt nicht mehr in der Sonne, sondern erscheint matt und stumpf.
Ich blicke zurück in meinen Wohnbereich, wo noch immer der Korb mit dem Kuchen von Anne steht. Langsam gehe ich darauf zu und nehme ein Stück davon. Dann setze ich einen Schritt vor den anderen und gehe langsam zu Harry. Er öffnet müde blinzelnd ein Auge, als er mich hört. Schließlich bleibe ich vor ihm stehen. "Hast du Hunger?", frage ich vorsichtig. Harrys Blick ist undeutbar. Emotionslos und leer. Gerade als ich damit beginne, mir einzureden dass es ein Fehler war, zu ihm zu gehen, da nickt er kaum merklich.
Ich atme tief durch und setze mich dann umständlich zu ihm auf den Boden. Harry richtet sich etwas auf, sodass er nun auf der gleichen Höhe ist wie ich. Seine Nase zuckt leicht, als er den Kuchen riecht. Ich breche ein Stück ab und reiche es Harry. Er schnüffelt kurz daran, dann blitzen kurz seine Wolfszähne auf, als er es vorsichtig aus meiner Hand nimmt und genüsslich kaut. Stückchen für Stückchen verschwindet in seinem Mund, bis schließlich die Hälfte leer ist. Harrys Zunge leckt kurz über seine Lefzen. Dann stupst er mit seiner Nase gegen meine Hand. "Nimm ruhig den Rest", sage ich und reiche ihm den Kuchen, doch er lehnt wild kopfschüttelnd ab. Erneut berührt seine kalte Nase meine Haut. Er drückt mit Nachdruck gegen meinen Arm und führt ihn so leicht zu mir hin. "Ich soll es essen?", frage ich zögerlich. Sofort nickt er. "Ich weiß nicht... Anne meinte, der Kuchen sei für dich... sie würde es sicherlich nicht gerne sehen, wenn ich etwas davon esse." Harry brummt kurz und verdreht doch allen Ernstes die Augen. "Na gut", murmle ich und beginne dann zu essen. Im Augenwinkel bemerke ich, wie Harry etwas zu mir robbt und mich fragend ansieht. "Was möchtest du?" Meine Stimme ist leise und krächzig, weshalb ich mich schnell räuspere. Harry blickt kurz auf meinen Schoß. Dann legt er schließlich vorsichtig seinen Kopf auf mein Bein. Automatisch halte ich die Luft an. Seine Zähne liegen direkt an der verheilten Narbe an meiner Hüfte. Es löst ein unangenehmes Gefühl in mir aus. Harry scheint das jedoch nicht wahrzunehmen, stattdessen schließt er nur grummelnd seine Augen.
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Secret white lies - L.S.
FanfikceHarry ist auf der Suche nach einem Omega. Seine Kraft schwindet immer mehr, wenn er sich nicht bald auf ein Bündnis einlässt. Ist es also Zufall, dass genau zur richtigen Zeit ein junger Omega in sein Leben tritt? Doch was ist, wenn Harry herausfind...