⁰²: sommerzeit

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Ich mochte die drei Geschwister von Beginn an

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Ich mochte die drei Geschwister von Beginn an. Was mir noch gleich am Anfang auffiel, war ihre unglaubliche Intelligenz.

"Noch nie hat jemand gegen Norman im Schach gewonnen", erzählte Emma. "Willst du es einmal versuchen?"

Es war mal wieder ein heißer Nachmittag und wir quälten uns im Klassenzimmer ab. "Eh, nein, ich weiß eigentlich gar nicht, wie man spielt..."

"Wirklich? Das muss ich dir unbedingt beibringen!"

"Weißt du, eigentlich bräuchte ich mal dringend Hilfe bei meinen Hausaufgaben... Nächste Woche beginnen die Abschlussprüfungen für dieses Schuljahr und ich muss zu sehen, dass ich nicht sitzen bleibe."

"Oh, zeig mal her, welches Fach denn?" Die Rothaarige beugte sich über meinen Schulkram. "Ugh, Mathe... Da fragst du mal lieber einen meiner Brüder, Mathe ist nicht gerade mein Lieblingsfach."

"Hey, Ray!" Ich hielt Emmas Bruder auf, der gerade vorbei lief.

"Hm, was ist los?"

"Kannst du mir nachher in Mathe helfen? Emma meinte, du seist gut."

Er überlegte kurz. "Wenn's sein muss."

"Okay, ich warte dann im Klassenraum."

Nach der Schule wären wir beide wahrscheinlich lieber vom Schulgelände verschwunden, jedoch setzte Ray sich doch noch zu mir. "Okay, wo ist das Problem?"

"Hier." Ich zeigte ihm die Aufgaben .

Die folgende halbe Stunde lernten wir zusammen. Trotz der Hitze und dem Fach machte es mir irgendwie Spaß, außerdem war Ray sehr geduldig und konnte es gut erklären.

Allerdings verlässt jeden irgendwann mal die Konzentration.

"Sag mal... Ihr habt uns gestern erzählt, dass ihr aus dem Ausland kommt, aber woher eigentlich genau? Ich meine, ihr könnt ja fließend japanisch."

Verdammt. Warum hatte ich so etwas gefragt, wenn er offensichtlich nicht darüber reden wollte?

Ray reagierte zuerst nicht darauf, starrte nur vor sich auf das Blatt. Hatte ich ihn sauer gemacht?

"Weißt du, unsere Mutter hat uns japanisch aufgezogen. Aber... eigentlich wohnten wir in Amerika."

"Ach so, eure Mutter war Japanerin?", bohrte ich weiter.

"Ja..."

Danach schwiegen wir beide.

Als wir dann beschlossen zu gehen, gingen wir gemeinsam ein Stück die Straßen entlang. Es war bereits später Nachmittag und Leute fuhren mit ihren Fahrrädern vorbei oder kleine Kinder tollten spielend über die Straßen.

Als ich zu Ray sah, bemerkte ich den etwas traurigen Blick, während er zu den Kindern sah.

"Äh, ist alles in Ordnung?", fragte ich besorgt.

"Hm? Ah, ja klar."

Wieder Schweigen.

Ich beschloss den Gesprächsfaden wieder mit einem besseren Thema aufzunehmen: "Wie wär's, wenn wir nach den Prüfungen mal zusammen schwimmen gehen?"

"Schwimmen?"

"Ja, am besten noch mit Norman, Emma und Momoko! Wir haben uns die Abkühlung auf jeden Fall verdient."

"Ich... Gut."

Gesprächig war er nicht, mit seinen knappen Antworten.

"Es ist nur..."

"Ja?"

"Ich hoffe, ich kann noch schwimmen."

"Wie jetzt? Du weißt nicht, ob du es kannst?"

"Wenn ich mir die Technik genau anschaue, bestimmt."

"Oh wow. Fast jeder, den ich kenne, kann schwimmen", lachte ich.

Sonst war Ray immer relativ gleichgültig, doch jetzt schaute er etwas beschämt zur Seite. "Vielleicht ist Schwimmen nicht die beste Option..."

"Emma hat gesagt, du bist der Mr. Alleskönner. Das will ich sehen!", kicherte ich. "Ich würde nur gerne mit euch etwas unternehmen. Ihr gefallt mir, ich finde euch nett."

"Uns?"

Ich nickte.

"Ich mag dich auch... D/N."

Mir fiel auf, dass dies das erste Mal war, dass er meinen Namen sagte. Ich lächelte glücklich.

"Hast du die Tage noch mal Zeit, um zusammen zu lernen?"

"Sicher hab ich das."

"Hättest du etwas dagegen, wenn ich euch mal besuche? Wie wohnt ihr denn? Etwa getrennt in Pflegefamilien?"

"Ehm, nein. Wir wohnen alle zusammen in einer Art Heim. Emma, Norman, ich... und unsere anderen vierunddreißig Geschwister."

Mir klappte das Kinn herunter. "Vierunddreißig?"

"Sogar mit noch mehreren. Mit Kindern die auch aus... den USA kommen. Und Kindern die hier in Japan aufgewachsen sind und vielleicht ihre Eltern verloren haben."

"Oh, wow, und wie läuft das so?"

"Da wir zu den Ältesten gehören, müssen wir uns um unser Essen und Haushalt selbst kümmern. Wir wohnen in mehreren kleinen Wohnungen, ich teile mir mit Emma und Norman eine. Wir kriegen einen wöchentlichen Check mit Geld für das Nötigste. Wir sollen lernen gut mit Geld um zu gehen. Um die Jüngeren wird sich dann von Betreuern und Betreuerinnen gekümmert."

"Ach so... Das habt ihr ja noch gar nicht erzählt, krass."

"Ich weiß nicht, ob das Heim der beste Ort zum Lernen ist, es kann sehr chaotisch zu gehen."

"Hm, aber in der Schule können wir auch nicht dauerhaft lernen... Bei mir zu Hause geht es auch schlecht..."
Dann kam mir plötzlich eine Idee. "Das Stadtcafé! Kennst du das? Es liegt genau im Zentrum der Stadt und ist perfekt, besonders bei Studenten ist es beliebt."

"Gut, gehen wir also dort hin. Aber... ich müsste es dann erst mal finden. Krieg ich aber schon hin."

"Nein, nein, ich glaube es ist besser wenn ich dich abhole. Gibst du mir deine Nummer und Adresse?"

"Klar." Wir tauschten Nummern und er gab mir die Adresse des Heims.

"Hier muss ich jetzt abbiegen, wir sehen uns, Ray."

"Bis dann."

𝐍𝐄𝐕𝐄𝐑𝐌𝐈𝐍𝐃 ➱ ʀᴀʏ x ғᴇᴍ. ʀᴇᴀᴅᴇʀWo Geschichten leben. Entdecke jetzt