3. Canaima

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Gemeinsam mit Blake schlenderte ich nach Hause. Er lief vorneweg, mit mir im Schlepptau.

„Nicht so schnell", jammerte ich ihm hinterher.

Er sagte nichts, doch verlangsamte unmerklich seinen Schritt. Woher zum Teufel hatte er diese Energie, während ich wie ein nasser Lappen durch die Gegend schleifte?

„Warte doch mal!"

Ich sprintete mit allerletzter Kraft zu ihm, legte von hinten meine Hand auf seine Schulter und streifte mit dem kleinen Finger leicht seinen Nacken. Er zuckte zusammen, als hätte ihn etwas geschlagen, und entzog sich mir augenblicklich. Auch ich schreckte zurück.

Stimmt ja. Keine Berührungen.

Das hatte er mir gesagt, kurz nachdem er zu mir gekommen war. Ich hatte den Versuch unternommen ihn zu umarmen, nachdem er mir ein gezeichnetes Porträt zeigte. Ich fand es unglaublich schön, weil es eins zu eins genauso aussah wie ich, als ich neben ihm saß und auch malte. Ich wollte nur meine Dankbarkeit ausdrücken, doch es endete damit, dass er mich heftig von sich schubste. Es dauerte Tage, bis ich ihm das gänzlich verziehen hatte.

Ich murmelte eine Entschuldigung, woraufhin er sich wieder sammelte und entspannte. Ich wusste nicht, warum er es nicht wollte, doch ich respektierte so gut wie möglich seinen Wunsch.

Er nickte nur und ging weiter, so als wäre nichts passiert.

Blake war mir ein Rätsel, und selbst jetzt, nach 10 Jahren, wusste ich kaum etwas über ihn und doch alles. Er war meine Eltern, die ich nie hatte, und mein bester Freund, den ich immer wollte.

Ich seufzte, beschleunigte meine Schritte und schwieg den Rest des Weges, was mir ziemlich leicht fiel, denn mein unsichtbarer Gefährte war nie besonders gesprächig gewesen.

***

Ich blinzelte einige Male gegen das Sonnenlicht an, öffnete die Augen und blickte in ein leeres Zimmer. Blake war wieder einmal nicht da. Ab und zu kam es vor, dass er einfach weg war, doch es schien in letzer Zeit zugenommen zu haben. Trotzdem war ich es zu gewohnt um mir Sorgen darüber zu machen, wo er stecken könnte. In der Küche wartete ein Sandwich auf mich, welches er wahrscheinlich für mich gemacht hatte. Ich setzte mich hin und kaute, noch leicht benommen, darauf herum. Es war etwas trocken, woraus ich schloss, dass er schon seit einer Weile weg sein müsste. Von meinem Vater war auch keine Spur. Wahrscheinlich lungerte er in irgendwelchen Bars rum und würde erst morgen früh wiederkommen.

Wie lange hatte ich geschlafen?

Ich blickte aus dem Fenster und beobachtete wie eine alte Zeitung in die Luft gewirbelt wurde. Es war noch relativ hell. Eigentlich könnte ich in den Wald gehen, dachte ich und sagte mir, dass ich sowieso nichts besseres zu tun hätte. Es waren zwar die besten Zeiten des Tages, ohne meinen Zeuger, aber da Blake nicht da war, würde es sowieso langweilig werden. Ich nahm mein unfertiges Brot mit und knabberte auf dem Weg daran.

Es dauerte nicht lange, bis ich die großen Bäume erblickte. Ihre Kronen wurden im Wind hin und her gewiegt.

Er sang ihnen vor und sie tanzten zur Musik.

Ich ging weiter und wurde immer mehr von dichtem Geäst umhüllt. Ich spazierte noch etwas den abgetretenen Pfad entlang, bis ich von ihm abkam und tiefer ins Dickicht kletterte. Die Blätter kitzelten mein Gesicht und streichelten meine Arme. Es fühlte sich angenehm an. Ich machte mir keinen Kopf darüber, mich zu verlaufen. Ich kannte jeden Stein und jeden Ast.

Und ich wusste genau, wo ich hinwollte.

Ich drang so lange vor, bis ich aus den Büschen heraustrat und vor mir den Abhang sah. Er war zwar durch einen rostigen Zaun abgesichert, aber ob er auch im Extremfall halten würde, war eine andere Frage. Auf der kleinen, offenen Fläche stand eine alte, modrige Bank.

Ich sehe dichWo Geschichten leben. Entdecke jetzt