„Manchmal frage ich mich, ob alles besser gewesen wäre, wenn du nicht gegangen wärst. Ob Dad mir dann immer noch wehtun würde? Vielleicht wäre Blake nicht hier. Dann könnte ich ein ganz normales Mädchen sein. Ein Jemand, wie jeder andere auch. Ich hätte eine beste Freundin- eine die für alle sichtbar ist. Ich würde mich fragen, ob mein Schwarm auch an mich dachte und müsste mir jetzt nicht den Kopf darüber zerbrechen, woher das Blut auf meinem Körper kommt. Sag mir, wäre ich glücklich, wenn du noch hier wärst?"
Es war schwachsinnig und ich wusste nicht was ich versuchte damit zu erreichen, aber es fühlte sich auf eine verdrehte Art und Weise gut an, hier zu sitzen, auf meine Stadt niederzusehen und mich vom Wind kitzeln zu lassen, während ich mit meiner Mutter sprach.
„Irgendwie lustig", ich lachte kurz auf, „Ich rede mir immer ein, dich zu hassen, aber es geht einfach nicht. Wie sehr ich mich auch zwinge, du bist in meinem Kopf."
Die Sonne wurde schon vom Mond abgelöst, doch man konnte am Horizont noch ihr Orange, welches in ein blasses Lila überging, erkennen. Ich scharrte mit meinen Schuhen auf dem Stein und versuchte mit der Sohle den Moos zwischen der Pflasterung herauszupulen. Mich fröstelte es und ich rieb mir über die Oberarme. Eine sanfte Gänsehaut breitete sich auf ihnen aus. Auch wenn es wärmer wurde, versprachen die Nächte immer noch kühl zu werden. Das Blut war mittlerweile beinahe schwarz geworden und löste sich an einigen Stellen bröckelnd. Was würde ich jetzt für eine Dusche geben. Der Hunger war schlimmer geworden, mein Schädel brummte, ich war müde, mir war kalt und ich vermisste Blakes Stimme.
Ich stieß ein verzweifeltes Geräusch aus und ließ mich tiefer in die Bank sinken.
Was wäre wenn mein Vater so dicht gewesen war, dass er meine Abwesenheit gar nicht bemerkt hatte? Ganz so unwahrscheinlich war das nicht. Dann würde er vielleicht gar nicht so wütend sein.
Mit neugewonnener Entschlossenheit sprang ich auf und ging mit hastigen Schritten nach Hause, immer wieder einen ängstlichen Blick über die Schulter werfend.
***
Die Fenster waren alle dunkel, bis auf das Wohnzimmer, wo ein Flimmern zu erkennen war. Wahrscheinlich lief der Fernseher. Ich fischte wieder meine Spange aus der Hosentasche und machte mich ans Werk. Es würde mich nicht wundern, wenn das hier langsam zur Angewohnheit wurde. Mit einem leisen Klicken fiel die Tür hinter mir ins Schloss. Die neutrale Stimme eines Nachrichtensprechers erfüllte das Haus. Die Wohnzimmertür stand offen und schwaches Licht fiel auf den Boden, vor meine Füßen. Ich spähte in den Raum, aber zu meiner Überraschung war niemand da. Ich zuckte die Achseln. Wahrscheinlich schlief er, umso besser für mich. Ich tappte den Flur entlang und blieb erschrocken vor meiner Tür stehen. Besser gesagt, vor dem, was davon übrig war. Sie lag, aus den Angeln gerissen, auf dem Boden. Auf meinem Bett saß eine Gestalt.
„Blake?", rutschte es reflexartig aus meinem Mund. Der Kopf der Person schnellte hoch und ich machte einen Schritt nach hinten.
„Du verdammtes Miststück", säuselte er ruhig und mir lief es eiskalt den Rücken runter. Er stand auf und das Licht der Straßenlaterne vor meinem Fenster fiel auf die zuckenden Züge meines Vaters. Seine Miene war ausdruckslos, doch in seinen Augen funkelte der Wahnsinn. Nein, so hatte ich mir das nicht vorgestellt. Einen Fuß vor den anderen setzend näherte er sich mir, wie ein Raubtier seiner Beute.
„Neineineineineinein", wisperte ich immer wieder, wie ein Mantra, während ich meinen Kopf schüttelte. Ich wollte die Situation nicht wahrhaben. Er wird mich umbringen. Er will mir wehtun. Rohe Panik kreischte durch meinen Körper. Ich muss weg.
Ich dachte an die Haustür am Ende des Flurs. Ich hatte eine Chance, wenn ich jetzt losrannte. Doch meine Füße wollten sich nicht rühren. Wie angewurzelt blieben sie da, wo sie waren. Ich starrte unentwegt auf meinen Vater, der sich auf mich zu bewegte und fühlte mich wie versteinert. In mir schrie jedes Atom nach Flucht.
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Ich sehe dich
FantasySeit Arya Parker sieben ist, weicht ihr Blake nicht von der Seite. Er beschützt sie vor ihrem Vater, spricht nicht viel, begleitet sie durch den anstrengenden Alltag und ist gleichzeitig der beste und einzige Freund den sie hat. Doch es gibt einen...