Da waren wir also. Ich ließ meinen Blick über die leuchtenden Werbeschilder gleiten, die an den großen Gebäuden Tokyos befestigt waren. Das Licht der Ampel wechselte auf grün und das Taxi fuhr weiter. Neben mir, in der Mitte, saß meine kleine Schwester Amaya und an dem gegenüberliegenden Fenster saß mein älterer Bruder Ikuto. Er hatte seine Schläfe an das Fenster gelehnt und mit finsterem Ausdruck auf seinem Gesicht, seine Augen geschlossen. Ich presste leicht meine Lippen aufeinander und überlegte, ob ich ihn ansprechen sollte. Auch, wenn ich nicht besonders begeistert war, dass wir nach Tokyo zogen, so war es für Ikuto eine Hürde, überhaupt nach Japan zurückzukehren. Er hatte in Deutschland Fuß fassen können, anders als Mutter... und anders als ich.
Bei dem Gedanken an die vergangenen Jahre, griff ich mir leicht in meinen rechten Arm. Daran wollte ich im Augenblick nicht denken.
"Ikuto...?", sprach ich leise. Ich wollte Amaya, die an mich gelehnt eingeschlafen war, nicht wecken. Immerhin war es schon spät und sie hatten eine lange Reise hinter sich. Lediglich Mutter schien wach zu sein, doch sie blickte gedankenverloren aus dem Fenster des Vordersitzes.
Blinzelnd öffnete mein Bruder seine Augen und wandte sich mit leicht kühlen Blick zu mir herüber. "Was?", murrte er leise. Ich legte meinen Kopf leicht schief, meine (h/l), (h/f) fielen etwas zur Seite, während ich mich an einem Lächeln versuchte. "Es wird alles gut.", sprach ich sanft. Ich erntete lediglich ein leises "Tsk." von ihm, ehe er sich in seine ursprüngliche Position zurück bewegte und seine Arme verschränkte. Ein kleines Seufzen überkam meine Lippen, ehe ich meinen Blick ebenfalls wieder auf die Gebäude Tokyos richtete. Verübeln konnte ich es meinem Bruder auf keinen Fall. Er war ein Jahr älter als ich, doch da er die Schule in Deutschland vernachlässigt hatte, würde er das dritte Jahr an der Oberschule, hier in Tokyo wiederholen müssen. Somit wären wir dann im selben Jahrgang.
Die Taxifahrt dauerte noch eine Dreiviertelstunde an, besonders der Verkehr meinte es trotz der späten Stunde, nicht wirklich gut mit uns.
Wir waren nicht mitten in die Innenstadt gezogen, sondern hatten uns in einem etwas ruhigerem Ort niedergelassen. Wir würden auf die Nekoma-Oberschule gehen. Unsere kleine Schwester war noch Grundschülerin.
Ich weckte meine Geschwister vorsichtig und gemeinsam verließen wir mitsamt des Gepäcks das Taxi. Mutter kramte den Schlüssel zu unserem kleinen, neuen Haus aus ihrer Tasche und öffnete mit leicht zittrigen Händen die Tür. Ihr stand die Nervosität und die Erschöpfung ins Gesicht geschrieben.
Kein Wunder. Sie hatte eine Scheidung durch, einen Sorgerechtskampf und musste das erste Mal seit Jahren wieder arbeiten gehen. Meine Großeltern mütterlicherseits, hatten uns bei dem Kauf dieses kleinen Häuschens unterstützt, doch Mutter würde es ihnen in Raten zurückzahlen. Mir war bewusst, dass ich ihre Rolle im Haushalt zu einem großen Teil übernehmen werden müsste, doch das war in Ordnung für mich.
Ich ergriff die Hand meiner Mutter und warf ihr ein kleines Lächeln zu, ehe wir gemeinsam den Flur betraten.
"Ich hoffe, ihr habt eure Manieren in Deutschland nicht verloren. Es gelten japanische Regeln in diesem Haus.", wies unsere Mutter uns streng an und ließ ihren Blick über ihre Kinder gleiten. "Ja ja.", murrte Ikuto und stellte sogleich seine Schuhe ordentlich an ihren Platz. "Wo penne ich?", erkundigte er sich knapp. "Du und (d/n) dürft euch euer Zimmer aussuchen. Amaya nimmt das übrig gebliebene.", erklärte Mutter. Ein kleiner, protestierender Laut, ertönte seitens meiner kleinen Schwester. Doch Mutter erstickte diesen unmittelbar mit zusammen gezogenen Augenbrauen im Keim und Amaya schwieg.
Ikuto ging die knatschende Treppe hinauf und warf seinen Koffer in das erstbeste Zimmer. "Nehme das.", murrte er und legte seinen Futon aus. Da wir unsere Betten noch nicht hatten, würden wir heute Nacht auf Futons schlafen. Über das Wochenende würden wir das gesamte Haus einrichten müssen. Mutter hatte dafür etwas Hilfe angefordert, doch es würde trotzdem sehr anstrengend werden. Lediglich die Badezimmer und die Küche waren bereits eingerichtet und nutzbar.
Ich entschied mich für das schöne Zimmer am Ende des Ganges. Es war in unmittelbarer Nähe des Badezimmers und hatte zwei große, nebeneinander liegende Fenster, die direkt auf den kleinen Garten zeigten. Es war schon dunkel, also konnte ich nicht mehr so viel erkennen. Lediglich ein Licht sah sie noch brennen. Es lag hinter dem Fenster, des Hauses gegenüber unseres Gartens. Wer da wohl lebte? Die Vorhänge waren nicht zugezogen. Kurz blickte ich gedankenverloren in die Richtung, ehe jemand an dem Fenster vorbei huschte. Meine (a/f) Augen weiteten sich, als ich erkannte, dass es sich um einen oberkörperfreien Jungen handelte. Sofort drehte ich mich weg, die Röte auf meinem Gesicht ließ sich nur erahnen. Eine halbe Stunde hier und schon hatte ich einen Nachbarn belästigt - großartig.
Beschämt hockte ich mich zu meinem Futon und begann ihn ordentlich auszulegen. Ich hoffte inständig, dass unser Nachbar mich nicht bemerkt hatte.
Nachdem ich mir ein Top und eine kurze Schlafhose aus meinem Koffer gefischt hatte und mich im Badezimmer bettfertig gemacht hatte, legte ich mich schließlich in meinen Futon.
Im Haus wurde es sehr still, die anderen schliefen mit Sicherheit bereits, oder aber sie starrten genauso angespannt an die Decke, wie ich es gerade tat.
Nun war ich hier. Ich war endlich wieder in Japan. Doch ich war nicht in meiner Heimat, in der Präfektur Miyagi, sondern in Tokyo. Wieder einmal würde ich mich in eine neue Umgebung einfinden müssen... Wieder einmal würde ich mir neue Freunde suchen müssen und versuchen müssen, zu gefallen. Ich würde mich meinen Ängsten stellen müssen. Zum Glück starteten wir dieses Schuljahr nicht mitten drin, sondern pünktlich zum Anfang. So würde ich hoffentlich nicht allzu stark auffallen. Ich strich mir durch meine (h/f) Haare und seufzte leise. Ich würde auffallen. Genauso wie meine Geschwister. Alleine dadurch, dass wir eben nur halb Japanisch waren. Zugegeben, in der Vergangenheit kam das allerdings immer gut an. Besonders mein großer Bruder war ein wahrer Mädchen Magnet.
Ich verzog leicht mein Gesicht. Hoffentlich käme ich nicht mit ihm in eine Klasse und musste mir dieses Schmierentheater mit ansehen. Am Ende würden sich die Mädchen nur mit mir anfreunden, um an ihn zu kommen. Bloß nicht.
Ich wusste noch nicht viel über meine Schule. Ich hatte schon Lust darauf, einem Club beizutreten. Früher hatte ich Volleyball gespielt. In Deutschland hatte ich mich auch daran versucht, doch der Schulsport bot das dort nicht an und der Verein war damals nicht sonderlich engagiert gewesen. Ich hoffte darauf, dass es an meiner neuen Schule ein Volleyball Team gäbe. Oder eventuell einen Musik Club? Immerhin sang ich gerne...
Langsam wurden meine Augenlider schwer und ich spürte, wie sich die Müdigkeit endlich durch meinen Körper zog.
Ich würde das schon schaffen. Irgendwie.
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Eins zu sieben Milliarden (Kuroo x Reader)
FanficWie hoch ist die Chance, dem einen Menschen zu begegnen, den man aus tiefster Seele lieben wird? Auf der Welt leben über sieben Milliarden, einzigartige Menschen. Keiner gleicht dem anderen, jeder hat seine eigenen Gedanken, Passionen, Vorstellungen...