Kapitel 75

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Er hatte aufgegeben.

Hatte sich auf dem verdreckten Boden des Bades zusammengekauert.

Spürte die Kälte der Fliesen durch seinen Körper dringen.

Das einzige was ihm gerade sagte, dass er nicht tot war.

Taubheit hatte seine Glieder übermannt. Ließ sie wirken, als ob sie kein Teil mehr von ihm waren.

Leere... In seinem Kopf und in seinem Herzen.

Und trotzdem tat alles weh.

Als ob da doch noch irgendwo etwas war, was sich lohnen sollte weiter zu machen.

Aber was sollte das sein?

Es war doch alles weg?

Jungkook war sein Halbbruder, dass hatte Jin bestätigt.

Etwas, womit er niemals im Leben gerechnet hatte, hatte ihm erneut den Boden unter den Füßen weg gezogen.

Genau wie beim Weggang seines Vaters.

Der versuchte Selbstmord seiner Mutter, der Kriminalität seines Bruders und dem Tod seines Stiefvaters.

Stimmte der Spruch etwa, dass man entweder Pech im Spiel oder in der Liebe hatte?

Konnte nicht alles gut laufen?

War das zuviel verlangt?

DrrrDrrrDrrr

Machte es wieder. Schon das dritte Mal innerhalb von wenigen Minuten.

Jungkook...

Wer sollte es auch anderes sein...

Jin schlief wahrscheinlich wieder und jemand anderes würde ihn nicht so aggressiv immer wieder ohne Pause anrufen.

Das Klingeln hörte auf.

Ließ ihn kurz erschöpft durchatmen... Bis es erneut zu vibrieren begann.

Irgendwie hätte er jetzt gerade lieber das Stöhnen eines Fremden in seinen Ohren - ganz weit weg natürlich - als diesen Ton.

Drei Mal fing es an zu klingeln und dreimal ging es auch wieder aus, bis er sich endlich in Bewegung setzte.

Auf allen Vieren kroch er stockend aus dem Bad raus. War dabei dem ekelhaften Teppich viel näher, als er es jemals wollte und doch konnte er sich nicht dazu aufraffen auf die Beine zu kommen.

Völlig unelegant ließ er seinen Oberkörper aufs Bett fallen und griff unter halb offenen Lidern nach dem Handy, was erneut klingelte.

Das Bild von Jungkook... dieses Puppybild... leuchtete auf und ließ den dunklen Raum etwas heller wirken.

Er rief tatsächlich zurück... Mit der gleichen Intensität wie er selbst es getan hatte...

Doch statt dran zugehen starrte er einfach nur auf das Display und diese großen braunen Augen.

Er konnte jetzt nicht mit ihm reden. Nicht in dem Zustand.

Nicht, wenn er selbst nicht wusste, wie es weiter gehen sollte.

"Heute nicht, Kookie..."

Stumme Tränen rollten über sein Gesicht. Über seine Nase und landeten von dort aus tropfend auf der Decke des Bettes.

Dieser Besuch... Er war in die völlig falsche Richtung gelaufen.

Warum war er überhaupt gegangen?

Warum hatte er den Ort an dem alles so schön war nur verlassen?

Hatte er es damit nicht irgendwie beschworen?

Mit letzter Kraft zog Tae seine Beine aufs Bett, rollte sich zusammen, wie vorhin im Bad nur das er diesmal die Decke in seinen Armen hielt so als ob es sein einziger Trost in diesem Moment war. Als ob es vielleicht mehr sein könnte... eine Person... Nicht irgendeine...

Ganz automatisch klappten seine Augenlider nach unten. Ließen die überschüssigen Tränen hinaus kullern.

Nochmals hörte er wie das Handy klingelte. Wie es Teil seines Traumes wurde.

Und dann nichts mehr...

...

Energielos schlürfte er durch die Gänge des Gefängnisses.

Hatte die Augen auf den Betonboden unter seinen Füßen geheftet und beobachtete wie seine Füße darüber hinwegglitten.

"Wir sind da Herr Kim."

Monoton nickte er dem Mann zu. Hatte ihn nicht Mal genau war genommen. Ehrlich gesagt wusste er nur, wie dessen Schuhe aussahen.

Braune Armeeboots. Mit Schnürsenkeln und hochgeschlossen.

"Es ist alles wie gestern. Sie gehen als erstes rein..."

"Jaja, schon klar..." Er wollte nicht nochmal den gleich Stuss hören.

Den gleichen unnötigen Schwachsinn, der sozusagen der Anfang dieses Horrorfilms war.

Hoffentlich hörte das auch irgendwann Mal wieder auf.

Er fühlte sich wie ein Zombie.

Statt "Schlaflos in Seattle" hieß es bei ihm "Schlaflos in Hongsung".

Es war eine grauenhafte Nacht. Wegen dem Kotzen und Heulen hätte man denken können, dass er einfach in einen traumlosen Schlaf fiel, aber auch das war ihm nicht gegönnt.

Entkräftet ließ er sich auf den Stuhl im Zimmer fallen. Auf der Seite, wo keine Handschellen befestigt werden konnten und stütze seine Kopf auf den Händen ab.

Langsam ließ er seine Finger über seine pochenden Schläfen wandern. Drückte gegen den Schmerz, ließ es noch mehr wehtun nur weil das Loslassen sich so angenehm anfühlte.

"Du siehst beschissener aus, als ich und ich weiß wovon ich rede..."

Überrascht hob Tae den Kopf.

Er hatte nicht Mal mitbekommen, dass sich jemand zu ihm an den Tisch gesetzt hatte.

Zum Glück hatte er das Treffen mit seinem Bruder schon hinter sich... Nochmal hätte er es nicht überstanden, allerdings sah der Typ vor ihm auch nicht sonderlich angenehm aus.

Dickes, zugeschwollenes Auge, aufgeplatzte Lippe und einige Pflasterstrips auf der Stirn und Augenbraue... Muss ja ordentlich gedonnert haben... Gestern?

Konnte jedenfalls noch nicht lange her sein.

Die Wunden schienen noch etwas feucht nachzusickern und die Haut darum hatte sich noch nicht beruhigt. Sie war immer noch leuchtend rot.

Das war also Min Yoongi...

Durch dessen Zustand konnte er noch nicht Mal sagen, ob sein Bruder Recht hatte mit der Ähnlichkeit zu ihrem Vater.

"Hm, kann es kaum glauben, dass ich schlimmer aussehen soll als du - mich hat jedenfalls keiner als Boxsack missbraucht?

Wer war das?"

Amüsiertes Schnauben erklang. Nicht von Yoongi... sondern von dem Wärter.

"Haben sie etwas dazu zu sagen?", kam mehr als unfreundlich über seine Lippen und überraschenderweise kam sogar eine Antwort.

"Das passiert, wenn man sich mit den falschen Leuten hier einlässt, aber er wollte ja nicht hören..."

Ah, so lief das also hier...

Entweder man war für oder gegen die Herren dieses Knastes, richtig?

Abschätzig starrte er den Mann an. Prägte sich jeden Gesichtszüge ein. Wäre doch gelacht, wenn er über den nichts fand.



Prince Charming - TaekookWo Geschichten leben. Entdecke jetzt