Kapitel 2

89 7 0
                                    

Eine neue Seite meiner Mutter

„Deine Mutter ist eine echte Heldin. Für mich ist sie die Allergrößte", begann Sofie. In ihrer Stimme schwang ehrliche Begeisterung mit und das Leuchten in ihren Augen war unverkennbar.

„Eine Heldin? Wie meinst du das?"

Nun war Sofie nicht mehr zu stoppen. Sie plapperte drauflos und erzählte mir unzählige Geschichten von meiner Mutter, aber auch von meinem Vater, die ich so noch nie gehört hatte und auch nie für möglich gehalten hätte. Ich konnte dank ihrer Erzählungen in eine für mich völlig neue aber auch wirklich faszinierende Welt eintauchen.

Meine Mutter war tatsächlich eine unglaublich mutige und starke Frau. Sie hatte das Land von einem Tyrannen befreit, sie hatte gegen ihn gekämpft und ihn vernichtend geschlagen. Anschließend hat sie das Land wieder neu aufgebaut und zu seiner heutigen Blüte geführt. Sie hat Großes geleistet und diese Frau ist meine Mutter! Ich habe schon immer zu ihr aufgeschaut, aber diese neue Seite an ihr ist noch viel beeindruckender.

Wir saßen lange auf der Bank am Waldrand. Es begann schon langsam dunkel zu werden, als wir zum Haus zurückkehrten. Zu Mittag hatte uns Sofies Mann, Gerivin hieß er, etwas zu Essen gebracht. Damit wir nicht verhungern, hat er gemeint.

„Das hat deine Mutter gekocht", lachte er.

„Meine Mutter? Gekocht?", erkundigte ich mich. Dabei zog ich die linke Augenbraue nach oben. Meine Mutter kocht doch nie.

„Sozusagen", lachte er.

Ich schaute wohl etwas dumm drein. Daraufhin erzählte mir Sofie von der Gabe meiner Mutter, sich Dinge wünschen zu können und dass sie auf diese Weise, früher in der Drachenreiterschule, immer die Freundinnen mit Essen versorgt hatte, wenn sie nicht in den Speisesaal gehen wollten.

Plaudernd hatten wir das Haus erreicht. Der Tag war so schnell vergangen. Irgendwie hätte ich noch viel, viel länger mit Sofie reden und mir ihre Geschichten anhören können. Die Erzählungen über meine Mutter waren besser als jeder Roman. Noch dazu waren sie wahr.

„Komm bald wieder vorbei. Du bist immer herzlich willkommen", meinte Sofie. „Ich muss dir doch noch die magischen Wesen vorstellen."

„Die magischen Wesen?", erkundigte ich mich.

„Du wirst schon sehen", meinte Sofie aber nur geheimnisvoll.

Ich würde ganz sicher wiederkommen. Das nahm ich mir fest vor. Ich hatte in nur einem Tag so viel Neues über meine Mutter erfahren, dass ich nun ein ganz anderes Bild von ihr hatte. Ich hielt sie immer für friedliebend und musste heute erfahren, dass sie auch anders sein konnte, dass sie auch eine Kriegerin war, dass sie gekämpft und gesiegt hatte. Außerdem wollte ich wissen, was es mit diesen magischen Wesen auf sich hatte, von denen alle sprachen.

Beim Haus trafen wir auf meine Mutter, Gordin, Gerivin und einen jungen Mann, etwa in meinem Alter. Er lächelte mich schüchtern an.

„Hallo, ich bin Keribim. Du musst Siena sein."

„Ja, die bin ich. Freut mich, dich kennenzulernen, Keribim."

Er war einen Kopf größer als ich, recht muskulös gebaut und hatte ein süßes Lächeln. Normalerweise interessierten mich Jungs nicht wirklich. Das hatte auch einen guten Grund. Am Hof meiner Eltern liefen fast nur herausgeputzte und schmächtige Bürschchen herum, die meist auch noch fürchterlich eingebildet waren. Ich fragte mich immer, auf was sie sich etwas einbilden. Vermutlich auf ihren Titel, aber der war ganz und gar nicht ihr Verdienst.

Für diese Weichlinge hatte ich mich nie sonderlich begeistern können. Meine Eltern haben mich und meinen Bruder immer sehr salopp erzogen. Wir durften auch am Kampftraining teilnehmen, sogar ich als Mädchen. Manchmal hat uns auch unsere Mutter trainiert und wir durften viel Sport machen. Auch unsere Kleidung war meist praktisch und entsprach nicht immer den höfischen Gepflogenheiten. Das war aber meinen Eltern zum Glück egal. Sie betonten immer, dass es wichtig sei, dass wir uns wohlfühlen.

Obwohl ich langsam in das Alter kam, in dem die Eltern sich um einen möglichen Ehepartner für ihre Sprösslinge umsahen, ließen meine Eltern solche Avancen bisher immer ins Leere laufen. Natürlich war ich als Prinzessin und Thronerbin für alle heiratsfähigen Männer von Interesse. Ich war das begehrteste Mädchen im ganzen Reich. Allerdings hatten die meisten mehr Interesse am Titel als an mir. Einer erklärte mir allen Ernstes, er würde ein guter König sein und ich würde mit Stolz zu ihm aufblicken können. Dem habe ich sofort meine Meinung gegeigt. Ich würde nie und nimmer den Thron abgeben und zu einem Mann aufblicken, das wollte ich schon gar nicht. Ich wollte einen Mann auf Augenhöhe!

Die Entscheidung über meinen Mann stand zum Glück allein mir zu. Einmal hatte meine Mutter mit mir darüber gesprochen und mir bei dieser Gelegenheit versichert, dass ich allein meinen Ehemann aussuchen dürfte. Auch sie habe sich nicht von ihrem Vater dreinreden lassen und würde es bei mir ganz bestimmt auch nicht tun.

„Was hältst du davon, wenn Gerivin und Keribim dir in den nächsten Wochen das Kämpfen beibringen. Du könntest ein paar Wochen hier wohnen", schlug meine Mutter vor.

Ich fiel bei diesem Angebot aus allen Wolken. Wir hatten nie darüber gesprochen, dass ich von zuhause wegbleiben sollte. Ich konnte mir andererseits aber gut vorstellen, dass es eine völlig neue und schöne Erfahrung werden könnte. Ich war von der Idee aber nicht gänzlich überzeugt.

„Ich soll das Kämpfen lernen? Ich kann es ja schon", entgegnete ich.

„Das richtige Kämpfen meine ich."

„Du meinst, das Training bei uns am Hof war Firlefanz?"

„Das auch wieder nicht, aber wenn du dich ein paar Wochen auf das richtige Verhalten in einem echten Kampf konzentrieren könntest, dann würdest du sicher noch viel dazulernen. Du würdest zu einer echten Kriegerin ausgebildet."

„Brauche ich das?"

„Ich hoffe nicht. Aber man weiß nie, was im Leben kommt. Außerdem möchte ich dich nach dem Kampftraining hier, drei Jahre an die Drachenreiterschule und zu Tante Luna schicken. Da wäre eine gute Kampfausbildung eine sehr gute Basis."

„Zur Drachenreiterschule?", erkundigte ich mich überrascht. „Drei Jahre lang?"

„Dort kannst du auch den Umgang mit den Elementen lernen, sobald sie zum Vorschein kommen."

„Nicht zu vergessen ihre Gabe", ergänzte Sofie.

„Wie ich sehe, habt ihr mein Leben bereits bis ins kleinste Detail geplant. In welches Altersheim komme ich, wenn ich einmal abdanke?", scherzte ich.

„Mein Kind", meinte Mutter fürsorglich. Sie nahm mich liebevoll in den Arm. „Ich will doch nur das Beste für dich. Du sollst zu einer starken und vor allem unabhängigen Frau heranwachsen. Ich habe erlebt, wie hilflos ich plötzlich als verwöhnte Prinzessin dastand. Ich hätte nicht eine Woche lang ohne fremde Hilfe im Wald überlebt. Erst hier habe ich gelernt, mich zu verteidigen und wurde zu einer starken Kriegerin. Ich möchte nur, dass du auf das Leben vorbereitet bist."

„Sie möchte aus dir gerne eine mutige Frau machen, die für ihre Meinung und ihre Untertanen eintreten kann und nicht von einem Mann abhängig ist", ergänzte Sofie.

„Ich will dich ganz sicher zu nichts zwingen. Es ist deine Entscheidung. Aber, so wie ich dich kenne, wird es dir hier bei Gordin und seiner Familie sowie später an der Drachenreiterschule gefallen. Du liebst doch das Abenteuer. Außerdem darfst du nicht vergessen, dass irgendwo da draußen ein Drache auf dich wartet."

„Ich könnte hier und bei Tante Luna etwas erleben, glaubst du?"

„Mit Sicherheit! Vor allem, wenn du so vorlaut bist, wie deine Mutter", kicherte Sofie.

„Gut, dann machen wir es so", stimmte ich zu. „Wann geht es los?"

„Ich denke, du packst morgen deine Sachen zusammen und ich bringe dich übermorgen hierher", schlug meine Mutter vor.

„Super, dann kann ich dir die magischen Wesen vorstellen", meinte Sofie. „Das wird super!"

„Und ich kann morgen schon mal ein Programm zusammenstellen. Mein Sohn wird mit dir trainieren, aber die Tricks werde ich dir zeigen müssen", meinte Gerivin und Keribim nickte dazu.

„Na dann, steht ja schon alles fest", grinste ich. „Irgendwie freue ich mich darauf."

Magische Welten 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt