Eingeweide als Filmstars, Gallenblase eingetütet: Hallo Allgemeinchirurgie

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Letzte Woche hab ich die Abteilung gewechselt und einige spannende, neue Erfahrungen machen dürfen.

Tschüss Knochendocs, Hallo Hernien-Champs

Mit einem lachenden und einem tränenden Auge habe ich mich mit ein paar Packungen Krapfen von den Unfallchirurgen verabschiedet. Da das Team echt klasse war, wollte ich am Ende eigentlich gar nicht mehr weg, auch wenn ich mittlerweile keine Prothesen-OPs mehr sehen kann und auch der schweren Röntgenschürze nicht nachweinen werde. 

In der Allgemeinchirurgie kam ich recht sanft an, weil dort bereits eine der anderen Studentinnen ist und ich ihr praktischerweise hinterherlaufen konnte. Neue Station bedeutet: Neuen Treffpunkt für die Morgenbesprechung suchen, finde die FFP2-Masken und Schnelltests spielen und sich orientieren, an welchen Assistenzarzt man sich am besten hängt. Die beiden, die momentan auf Station sind, hatte ich glücklicherweise vorher schon ein paar Mal in der Notaufnahme getroffen. Natürlich muss man sich wieder bei einer Menge an neuen Kollegen vorstellen und in solchen Momenten bin ich froh, dass in der Klinik jeder ein Namensschild trägt (Auch wenn von Patienten immer wieder die Frage: "PJ-Studentin- Was'n das?" kommt. Mal ehrlich, sie sollten einfach "studentischer Praktikant" auf das Schild schreiben :D). 

Was macht man auf der Allgemeinchirurgie? Bäuche, Bäuche, Bäuche!

Die Visite ging jedenfalls recht flott. Zur Zeit hat die Allgemeinchirurgie weniger Patienten als die Unfallchirurgie und da die Verbandswechsel weniger aufwendig sind, läuft man morgens nur ca. 30 Minuten durch die Zimmer statt 2.5 Stunden. Im ersten Zimmer wurde mir allerdings gleich schlecht, denn der Patient hatte einen künstlichen Darmausgang (Stoma) und die bräunliche Brühe, die sich im Beutel und der Öffnung befindet, roch genauso wie man sich den Geruch von Darminhalt vorstellt. Natürlich muss man sich aber vor dem Patienten zusammenreißen und den Würgereiz überspielen. Zusätzlich zur Säuberung des Stomas und dem Einsetzen eines neuen Beutels wurde auch die Vacuumpumpe (kurz Vac) gewechselt. Hierbei wird ein Schwamm auf die Wundfläche gelegt und durch die Pumpe Unterdruck erzeugt, wodurch die Wunde besser heilt. 

Allgemein liegen auf Station viele Patienten mit Darmkrebs, aber auch Abszesse und Phlegmone (eitrige Entzündungen im Bindegewebe) sind häufige Krankheitsbilder. Zudem gibt es noch eine Kurzliegerstation, auf die Patienten, die bald nach der OP entlassen werden können, aufgenommen werden. Das sind zum Beispiel Patienten mit Blinddarmentzündung, Hernien und Steinen in der Gallenblase. Allgemein sieht man sich die OP-Wunde an (entzündet? blutet?), klebt neue Kompressen und Pflaster auf, fragt nach den Schmerzen und überprüft die Medikation.

Bitte lächeln, liebe Eingeweide! Mit der Kamera im OP

Wie bitte? Kamera im OP? Drehen wir eine neue Episode für Doctor's Diary? Nein, leider nicht, obwohl ich ja gern mal Komparsin wäre :D 

Die Kamera braucht man im OP für die laparoskopischen Eingriffe (Zusammensetzung aus den griechischen Wörtern "lapare" für "Weichteile zwischen Rippen und Hüften" und "skopein" für "betrachten", und ja, ich musste das googeln). Grob gesagt bringt man eine Art hohles Rohr in den Bauchraum ein, bläst den Bauch mit CO2 wie einen Ballon auf (sonst sieht man die Organe nicht, weil überall Fett und Muskel drüberliegt) und führt durch weitere Rohre Greifzangen und die Kamera in das Abdomen ein. 

Laparoskopisch operieren ist besonders die ersten Male ziemlich cool. Man kommt sich vor wie in einem Videospiel, wenn man mit der Kamera den Bauchraum erkundet (geh mal da näher ran, das sieht interessant aus :D). Natürlich muss man erstmal üben und sich angewöhnen, das Gebiet, in dem der Chirurg gerade operiert, immer in der Bildmitte zu halten und seinen Greifzangen schnell genug mit der Kamera zu folgen. Auch muss man lernen, wann man in die Übersicht gehen sollte (das heißt, Kamera zurückziehen), damit man sich wieder allgemein orientieren kann und wann man richtig nah an eine Struktur herangehen sollte. Manchmal bekommt man auch eine der Greifzangen in die Hand gedrückt und darf ein Stück Gallenblase oder Fett aus dem Weg halten. Selbst geschnitten oder Gefäße abgeklemmt habe ich noch nicht, aber für meine erste Woche als Kamerafrau habe ich mich glaube ich ganz gut geschlagen ;-) 

An der Uni hatten wir zwar einen Übungskurs, in dem man mit Kamera und Greifzangen ausgestattet Hütchen über Stäbe gestülpt hat, aber leider sind menschliche Organe/Gewebe deutlich glitschiger und unförmiger. Die größte Herausforderung ist wohl die Orientierung, denn je nachdem wie man das Kabel über der Kamera dreht, verändern sich oben und unten und man kommt anfangs nicht immer da hin, wo der Operateur die Kamera haben möchte.  Und man möchte ja nicht dran schuld sein, wenn durch eine grottige Kameraeinstellung aus Versehen ins Organ geschnitten wird ;-)

Wie cool, ich tüte eine Gallenblase ein und nähe am lebenden Patienten (und er kann sich nicht mal wehren)

Mit meinen frisch erworbenen Kamerakenntnissen ausgestattet, durfte ich bald bei einer Cholezystektomie (Gallenblasenentfernung wegen Steinen in der Gallenblase) mitoperieren. Der nette Chirurg hatte mir vorher erklärt, dass er sein Fach so mag, weil man auch nach dreißig Jahren immer noch Überraschungen erlebt, wenn man in einen Bauch hineinguckt. Es war sein Glückstag, denn während der OP sollte es tatsächlich einige Überraschungen geben.                Gleich am Anfang ging es los, denn als das CO2 in den Magen gepumpt wurde, wurde der immer praller und praller, und praller und praller (Gedanke Studentin: Aha, soll das immer so aussehen? Platzt der Bauch nicht gleich?) bis... "Himmel! Wer hat den Druck so hoch eingestellt? Stellt den runter!" Tatsächlich hatte die OP-Pflege vergessen (und der Chirurg hatte es nicht gemerkt und die Studentin nicht gewusst), den gewünschten Druck richtig für die OP einzustellen. Also wurde der Bauch mit dem Druck, der für die Thorax-OP davor benötigt wurde, aufgeblasen und das war ein bisschen too much...  

Irgendwann waren die Kamera und die Greifzangen jedenfalls drinnen und der Chirurg entdeckte eine riesige, rötliche Struktur, die er nicht einordnen konnte. "Darmschlinge? Hä?" Nach einigem Herumgeschwenke mit der Kamera und der Erkenntnis, dass dieses Monsterorgan definitiv keine Darmschlinge ist, machte es klick: "Ist das der Uterus? Warum ist der so gigantisch? Ist die schwanger???" (Das hatte sie vor der OP keiner gefragt.) Anästhesist gibt Entwarnung: Patientin ist 49 und nicht schwanger. Chirurg ist dennoch verunsichert und lässt den Gynäkologen holen. Gynäkologe ganz gechillt: "Jaja, das ist ein Uterusmyom (gutartiger Tumor der muskulären Gebärmutterwand). Sollten wir demnächst mal rausmachen." 

Nach so viel Action ging es dann endlich der Gallenblase an den Kragen. Darstellung des Calot-Dreiecks (zwischen Gallenblasenarterie und den Gallengängen von Gallenblase und Leber), Abklemmung von Gallenblasenarterie und -gang, Lösen der Gallenblase von der Leber. Dabei durfte ich leider nur die Kamera und ein Stück der Gallenblase aus dem Weg halten, doch dann kam mein großer Auftritt: Juhu, ich durfte die Gallenblase eintüten! Der Chirurg brachte ein kleines Tütchen in den Bauchraum ein und ich bugsierte die Gallenblase, die an meiner Greifzange hing, hinein wie ein Pro. Beim ersten Versuch und ohne die Gallenblase zu verlieren oder mich irgendwo zu verheddern! Ich muss sagen, das ich wirklich stolz auf mich war :D Manchmal muss man sich selbst auch mal feiern.             

Das nächste Highlight war, die Intrakutannaht selbst ausprobieren zu dürfen. Zwar habe ich lahme Ente dafür ewig gebraucht, während der Chirurg mit den anderen Nähten schon längst fertig war, die Nadel zwischendrin verloren und war verwirrt, wann ich von tief nach oberflächlich und oberflächlich nach tief einstechen soll, aber immerhin hab ich's probiert (am Ende musste der Chirurg meine Naht aber nochmal neu machen, immer diese studentischen Anfänger...). Es ist schließlich noch kein Meister vom Himmel gefallen! Da half auch der vorwurfsvolle Kommentar der genervten OTA nichts ("Ich dachte, ihr hattet einen Nahtkurs? Warum kannst du das nicht?"). Tja, leider ist es doch was anderes, an lebender Haut zu nähen als an einem Schwamm und wir hatten zum Üben auch nur einen für acht Studenten (ansonsten haben wir am Stuhlbein Knoten geübt)... Glücklicherweise schlafen die Patienten während der OP, was sie zum idealen Opfer für Studenten macht, die dringend Nähen üben müssen. Es übt sich einfach viel entspannter, wenn man nicht vom Patienten beobachtet wird und mit Kommentaren à la "Können Sie das? Haben Sie das vorher überhaupt schon mal gemacht?" bombardiert wird. So, liebe Leute, das nächste Mal, wenn ihr operiert werdet, rechnet bitte damit, dass ohne zu fragen an euch geübt wird, während ihr friedlich schlummert... Wenn die Narbe nach der OP dann nicht ganz so hübsch aussieht, wisst ihr jetzt, woran das liegen könnte :D

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So, ich lege jetzt wohlverdient die Füße hoch und versuche, beim Essen nicht daran zu denken, wo ich meine Finger diese Woche im OP überall drin hatte. Weiter geht's nächste Woche mit: Wühlen in Darmschlingen, auf Blinddarmsuche in der Notaufnahme und Frauenprobleme im OP. Ich wünsche euch allen eine schöne, krankenhausfreie Woche!

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