Die ersten Affenpocken-Patienten: Medizingeschichte hautnah

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Nachdem mit den Reiseberatungen sowie den Hepatitis- und HIV-Patienten eine gewisse Routine eingekehrt war, gab es eines Tages eine Überraschung. Oder besser gesagt weniger eine Überraschung als etwas, das nur eine Frage der Zeit war, denn in den Medien füllte das Thema bereits Schlagzeilen: die Affenpocken. Sind sie die neue Pandemie? Müssen wir uns jetzt alle impfen lassen? Schnell war allerdings klar, dass man sich mit Affenpocken längst nicht so leicht ansteckt wie mit dem Corona-Virus und auch in der Ambulanz kam einige Wochen lang kein Affenpocken-Patient vorbei. Dann allerdings...

Medizingeschichte hautnah: Der erste Affenpocken-Patient

Eines Tages lief ein aufgeregter Professor (der Chef der Tropenmedizin) durch die Ambulanz und trommelte den Assistenzarzt, den Oberarzt und mich zusammen. Wir sollten uns etwas ansehen, denn: Er war sicher, den ersten Affenpocken-Patienten der Klinik im Behandlungszimmer sitzen zu haben. Zumindest ich war aufgeregt, denn wann hat man schon die Gelegenheit, eine so neue Entwicklung, ein Stück Medizingeschichte hautnah mitzuerleben? Die Begegnung mit dem Patienten war erstmal wenig spektakulär, denn außer dem Professor durften wir anderen ihn nur aus ein paar Metern Entfernung betrachten (aus Sicherheitsgründen). 

Der Patient war klinisch stabil. Neben der auffälligen rötlichen Pustel im Genitalbereich, deretwegen er zu einem Arzt gegangen war, der ihn dann mit dem Verdacht auf Affenpocken in die Tropenmedizin schickte, hatte er grippale Symptome, aber kein hohes Fieber. Außer der einzelnen eingedellten, geröteten Pustel wies er keine weiteren Hautveränderungen auf und die Haut um die Pustel herum war nicht großflächig gerötet. Natürlich gibt es auch Hauterscheinungen im Genitalbereich, die von anderen Infektionskrankheiten wie Syphillis verursacht werden, aber die Art der Läsion im Zusammenhang mit der Anamnese (Patient war wohl auf einer Party in der Homosexuellen-Community) deuteten stark auf eine Affenpocken-Infektion hin. 

Hier ein kleiner Exkurs zur Übertragung der Affenpocken, um mit Vorurteilen aufzuräumen:  Affenpocken werden meist durch engen Hautkontakt übertragen und damit sind vor allem sexuelle Kontakte gemeint. Ja, sie kommen am häufigsten in der homosexuellen Community vor (oder besser: MSM Community, MSM steht für "Männer, die Sex mit Männern haben" und diese Bezeichnung wird als weniger diskriminierend angesehen). Das liegt aber nicht daran, dass die Männer homosexuell sind, sondern, dass MSMs im Durchschnitt mehr Sexualpartner haben als heterosexuelle Menschen. Ein heterosexueller Mensch, der viele Sexualpartner hat, hat jedoch ein hohes Risiko, sich mit Affenpocken anzustecken, während ein MSM, der nur einen festen Partner hat, kein erhöhtes Risiko trägt. Die Wahrscheinlichkeit, sich mit Affenpocken anzustecken hängt also vom individuellen Verhalten ab und hat nichts mit der sexuellen Orientierung an sich zu tun. Eine Übertragung ist auch möglich, wenn nicht intakte Haut (z.B. eine Wunde an der Hand) in Kontakt mit dem infektiösen Inhalt der Pusteln oder dem Schorf der Pusteln kommt. Dieser Übertragungsweg setzt allerdings ebenfalls einen engeren Hautkontakt voraus, die Gefahr für die Bevölkerung ist also deutlich geringer als bei Corona.

Ein Professor im Astronautenanzug und die Behandlung der Patienten

Zurück zu unserem Patienten in der Ambulanz. Der Professor hatte sich eine Art Tropenanzug (sieht aus wie ein Astronautenanzug, inklusive des SciFi-mäßig aussehenden Helms) angezogen und aufgrund seines Alters als Kind noch die Pockenimpfung erhalten, war also von allen am besten geschützt. Wie oben erwähnt sind Affenpocken nicht so ansteckend wie Corona, zu Anfang des Sommers war das Thema aber noch nicht so gut erforscht, weshalb zu Vorsicht geraten war. Außerdem wollte der Professor einen Abstrich der Pockenläsion nehmen (sah aus wie eine rundliche, gerötete und in der Mitte eingedellte Papel) und der Schutzanzug sollte ihn gegen  herumfliegende Krustenanteile schützen. Das Team der Tropenmedizin hat viel Erfahrung mit gefährlichen Infektionskrankheiten, so waren die Ärzte beispielsweise zur Bekämpfung von Ebola bereits in Westafrika (Ebola ist eine hämorrhagische Fieberkrankheit, die schwere Blutungen verursacht). Für eine neue, noch wenig erforschte Krankheit ist die Tropenmedizin also die beste Anlaufstelle, da die Ärzte hier über den Tellerrand blicken und Erfahrungen im Umgang mit neuen Situationen haben. Dennoch wirkte auch der Professor aufgeregt, als er uns aus dem Zimmer schickte, um den Abstrich zu nehmen. Ein erster Patient einer sich neu entwickelnden Krankheit ist schließlich immer etwas Besonderes, auch wenn man schon viele Jahre lang als Arzt arbeitet. 

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