In der GU: Sprechstunde für Flüchtlinge

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TRIGGERWARNUNG: In diesem Kapitel werden Erfahrungen mit Gewalt sowie psychische Krankheiten angesprochen. Wenn ihr euch mit diesen Themen unwohl fühlt, lasst dieses Kapitel bitte aus.

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In diesem Kapitel geht es um einen sehr spannenden, aber auch herausfordernden Abschnitt meines Wahlfaches: Die Arbeit in einer großen Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge (GU). Die Ärzte der Tropenmedizin bieten dort mehrmals pro Woche eine allgemeinmedizinische Sprechstunde an. 

Da man über Gemeinschaftsunterkünfte ja nicht nur Positives liest (Gewalt unter Bewohnern etc.), war ich aufgeregt, als ich zum ersten Mal mitkommen durfte. Außerdem hatte ich die GU bisher noch nie gesehen, also war es ein kleiner Schock, als ich am umzäunten Gelände ankam. Die GU besteht aus langen Reihen an Wohnhäusern, einem Spielplatz für die Kinder und einem Haus, in dem sich der Sozialdienst sowie die "Arztpraxis" befinden. Außerdem gibt es noch einige Containerunterkünfte. Der Maschendrahtzaun um das Gelände wirkt auf den ersten Blick befremdlich und um die GU zu betreten, muss man sich am Eingang erst beim Sicherheitsdienst melden. Der Assistenzarzt, den ich begleitete, war dort schon gut bekannt, weshalb wir ohne Probleme aufs Gelände kamen. 

Um zur "Praxis" zu kommen läuft man an den Wohnhäusern vorbei, die mit ihren heruntergekommenen Fassaden und vor den Fenstern hängenden zerrissenen Vorhängen/Bettlaken (sah zumindest so aus) nicht so aussehen, als stünden sie in einem Industrieland. Auch der Spielplatz wirkte nicht unbedingt modern, das schien die spielenden Kinder allerdings nicht zu stören. Auf dem Weg zur "Praxis" passierten der Assistenzarzt und ich auch einige kleinere Männergruppen, die uns aber weder etwas hinterherriefen noch versuchten, sich uns in den Weg zu stellen (solche Befürchtungen hat man aufgrund der Berichterstattung in den Medien ja leider, wenn man das erste Mal in eine Gemeinschaftsunterkunft geht). Auch Familien und Frauen waren auf dem Gelände unterwegs, was die Atmosphäre deutlich auflockerte. 

Die "Praxis" befindet sich in einem älteren Haus und besteht aus einem großen Raum mit einer einfachen Liege, einem Schrank sowie einem Kühlschrank voller Medikamente und Impfstoff und einem Schreibtisch, an dem ein Krankenpfleger sitzt und die Sprechstunde protokolliert. Außerdem gibt es noch einen Nebenraum mit einer gynäkologischen Untersuchungsliege, da manchmal auch eine Gynäkologin vorbeikommt. Auch ein Kinderarzt besucht die GU ein paar Mal pro Woche. Im Vergleich zu einer regulären Arztpraxis ist die Einrichtung sehr spartanisch und alt, aber die Sprechstunden gewährleisten eine medizinische Grundversorgung, denn eigentlich haben Asylbewerber (bevor ihr Antrag anerkannt wurde) nur das Recht auf eine notfallmäßige Versorgung.

Das Wartezimmer vor der Praxis füllte sich nach und nach und die Patienten wurden ins Zimmer gerufen. Allgemein kamen Frauen, Männer und Kinder bunt gemischt. Zum einen mit alltäglichen Beschwerden wie Atemwegserkrankungen und Rückenschmerzen, aber auch mit selteneren Problemen. Zum Beispiel kam eine syrische Mutter mit Halsschmerzen, die beteuerte, es könnte nicht Corona sein , der Test war dann aber doch positiv. Ihre beiden kleinen Kinder waren negativ, sollten aber sicherheitshalber nicht mit anderen Kindern spielen,  bis auch die Mutter wieder negativ war. Auch Hautausschläge wurden behandelt, benötigte Impfungen verabreicht und schmerzstillende Salben für Rücken- oder Knieschmerzen gegeben. 

Natürlich gibt es bei Flüchtlingen, von denen viele aus Kriegsgebieten stammen, auch spezielle Kriegsverletzungen, die man in deutschen Krankenhäusern nur selten sieht. So kam ein syrischer Flüchtling in die Sprechstunde, dessen Bein durch Granatsplitter mehrfach verletzt worden war und bei dem möglicherweise eine komplexe OP anstand. Hier gab es auch Diskussionen über den vorliegenden Grad der Behinderung und der Assistenzarzt versuchte mittels Handy-App auf Arabisch zu erklären, dass man einen Grad von 50% beispielsweise erst bei Amputation eines Beines erhalten würde. Allerdings bewegte der Arzt das Bein nur durch das Hosenbein verdeckt, so kann ich nicht sagen, wie gut ich mit dem Anblick einer solchen Kriegsverletzung klar gekommen wäre. 

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