Impfstoff marsch: Alltag in der Reiseambulanz I

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Da ich das Wahlfach aufgrund der spannenden Tätigkeiten, die in der Beschreibung angekündigt worden waren, gewählt hatte (Mitarbeit im Forschungsinstitut zur globalen Gesundheit, Sprechstunde in der Flüchtlingsunterkunft, spannende Tropenrückkehrer-Fälle) war ich ein wenig enttäuscht, dass ich meinen ersten Monat im Wahlfach vor allem in der Reiseambulanz verbringen musste. Dort führt man Reisemedizinische Beratungen vor Fernreisen durch und impft die Leute bei der Gelegenheit gleich gegen alle möglichen Krankheiten, die in Ländern des globalen Südens vorkommen. Natürlich ist das die ersten beiden Wochen auch spannend, wenn man aber zum fünfzigsten Mal die Malariaprophylaxe herunter rattert und den Leuten erklärt, warum man sich gegen Tollwut impfen lassen sollte, hält sich die Begeisterung leider doch in Grenzen. Aus Personalmangel und weil immer wieder Impfstudenten in Quarantäne sind (oder in der Prüfungsphase) wird man als PJ-Student dann leider doch mal mehr, mal weniger dazu genutzt, um Personallücken zu schließen. Aber hier kommt erstmal mein Bericht aus der Reiseambulanz. Manchmal ist es sogar ganz interessant, weil man vom FSJ-Studenten, der nach Tansania geht, bis zur Kreuzfahrt-Animateurin und der togolesischen Großfamilie, die Verwandte besucht, allerhand interessante Globetrotter kennenlernt.

Zeigt her eure Impfpässe: Zerfleddert oder unvollständig, aber Hauptsache dabei

Zuerst lassen wir uns in der Reiseberatung die Impfpässe der Globetrotter zeigen und ermitteln anhand eines Übersichtsbogens, welche noch fehlen. Hierbei sehen wir nicht nur nach den für die Reise empfohlenen Impfungen, sondern auch nach denen, die für Westeuropa empfohlen werden. An dieser Stelle wird es schon des Öfteren interessant, denn der ein oder andere hat seinen Impfpass gar nicht dabei, ihn in der Waschmaschine mitgewaschen (tolle Gelegenheit für Puzzlefans ;-) ) oder zeigt einen aus der DDR vor, in dem man die Impfungen gut versteckt ganz hinten findet (vorne sind da nur Stempel, die bezeugen, dass die Leute beim Arzt waren, ohne dass dabei steht, wofür). 

Ist die erste Hürde genommen und der Impfpass entziffert, sieht man erstmal die Standardimpfungen durch, die man auch in Westeuropa bekommt: Tetanus-Diptherie-Polio- Pertussis/Keuchhusten, bei jüngeren auch MMR/Masern-Mumps-Röteln (ältere Leute hatten diese Infektionen schon, bevor es die Impfung gab), Corona. Dabei muss man beachten, wie oft die Impfungen jeweils aufgefrischt werden (z.B. Tetanus und Diptherie alle 10 Jahre), in welchem Abstand man die Impfungen bei der Grundimmunisierung gibt und ab welchem Alter die Impfstoffe zugelassen sind. Bei den Standardimpfungen sind die meisten Leute gut durchgeimpft, bei manchen zeigen sich allerdings erschreckende Lücken (Schaut der Hausarzt nie in den Impfpass? Gehen die Leute nie zum Hausarzt?). 

Tollwut, Gelbfieber, Hepatitis, Typhus und Co.: Zurechtfinden im Impfstoff-Dschungel 

Dann wird es komplizierter, denn welche Impfungen man für welche Reise benötigt, hängt vom jeweiligen Land ab. Das schauen wir in einem schlauen Buch namens "CRM Reisemedizin" nach (CRM steht für "Centrum für Reisemedizin"). Dort gibt es für jedes Reiseland eine Tabelle, die zeigt, welche Impfungen jeder Reisende auf jeden Fall bekommen sollte und welche man den Leuten je nach Risikoprofil anbieten sollte.

Impfungen, die für warme Reiseländer des globalen Südens (wie Tansania, Thailand) eigentlich immer empfohlen werden, sind zum Beispiel die Hepatitis A- und die Typhus-Impfung. Diese Krankheiten werden beide bei schlechten hygienischen Bedingungen im Reiseland übertragen (fäkal-oral) und stecken die Reisenden über verunreinigte Lebensmittel oder Trinkwasser an. Praktischerweise gibt es dafür eine Kombi-Impfung (eine Impfung, beide Wirkstoffe), für den vollständigen Hepatitis A-Schutz braucht man davor aber noch eine einzelne Hepatitis A Impfung.

Die Gelbfieberimpfung ist je nach Land für die Einreise sogar Pflicht, entweder weil das jeweilige Land selbst Risikoland für Gelbfieber ist (wie Uganda, Teile von Kenia, Brasilien oder Kolumbien) oder wenn vorher ein anderes Land mit hohem Risiko für Gelfieber-Ausbrüche besucht wurde (wenn man zum Beispiel Urlaub in Uganda gemacht hat und dann nach Tansania einreisen möchte). Bei der Gelbfieber-Impfung muss man betonen, dass es im Gegensatz zu den anderen Reiseimpfungen eine Lebendimpfung ist, was bedeutet, dass lebende Virusbestandteile verimpft werden (und nicht tote, nicht mehr vermehrungsfähige wie bei den Totimpfstoffen). Daher dürfen die PatientInnen zum Zeitpunkt der Impfung kein Fieber über 38.5 Grad haben, immunsupprimiert sein, die Milz durch eine OP verloren haben oder schwanger sein. Außerdem muss man sie aufklären, dass es nach der Gelbfieber-Impfung durchaus vorkommen kann, dass man höheres Fieber bekommt und allgemein heftiger reagiert als auf Totimpfstoffe (also besser keine wichtige Prüfung in der Woche nach der Gelbfieber-Impfung planen!). 

Auch die Tollwut-Impfungen empfehlen wir eigentlich allen Patienten. Das Tollwutvirus wird durch Bisse von Säugetieren (Hunde, Affen) übertragen und wandert über die Nerven ins Gehirn, wo es eine Gehirnentzündung verursacht. Unbehandelt verläuft die Erkrankung so gut wie immer tödlich. Wird man ungeimpft gebissen, muss man nicht nur schnellstmöglich geimpft werden, sondern auch ein Immunglobulin bekommen. Die Impfstoffe und Immunglobuline sind aber in ärmeren Ländern des Südens entweder nur in großen Städten oder gar nicht verfügbar, weshalb eine vorsorgliche Impfung unbedingt zu empfehlen ist. 

Außerdem gibt es Impfungen, die nur je nach Risikoprofil empfohlen werden. Ein Student im Auslandssemester hat nämlich ein viel höheres Risiko, sich mit Meningokokken ACWY anzustecken (da viele Kontakte zu jungen Menschen), als ein älteres Paar, das nur zu zweit mit einem Guide eine Safari macht. Ein nennenswertes Risiko für Japanische Enzephalitis hat wiederum nur der Tourist, der in der Nähe von Reisfeldern in Risikogebieten wie Bali zeltet (da leben die Mücken, die die Krankheit übertragen, die Erkrankung ist allgemein sehr selten) und nicht derjenige, der in der Großstadt im Hotel übernachtet.

Was man beim Impfen alles falsch machen kann und die List of Shame

So weit, so logisch. Leider gibt es beim Impfen jede Menge Sonderregeln, die man beachten muss. Es ist leider nicht so einfach, wie es klingt! Hier ein paar Highlights:

-Nach einer Lebendimpfung (wie Gelbfieber) muss man 4 Wochen Abstand zu einer anderen Lebendimpfung (wie z.B. Mumps-Masern-Röteln) halten. Und häufiger als man denkt fischt man doch einen jüngeren Erwachsenen heraus, der weder die Masern hatte noch geimpft wurde, aber auch die Gelbfieberimpfung braucht. 

-Für Hepatitis B gibt es einen extra Impfstoff für Kinder! Nicht den Kindern aus Versehen den Erwachsenen-Impfstoff geben.

-Meningokokken ACWY in einen eigenen Arm impfen, nicht in den gleichen wie eventuelle weitere Impfungen (wirkt dann besser).

-Lebendimpfungen (wie Gelbfieber) nicht intramuskulär (in den Muskel) am Oberarm impfen, sondern subcutan (unter die Haut) in eine Hautfalte am Oberarm (bessere Verträglichkeit).

-An manche mit Impfstoff gefüllte Spritzen schließt man nur eine Nadel an, andere muss man aus der Ampulle mit einer Nadel aufziehen und bei der Hepatitis A-Typhus-Kombi-Impfung muss man beide Impfstoffe vermischen, indem man eine Art Kolben durchdrückt, bevor man impfen kann.

Nun noch zur List of Shame: Das ist eine Liste in der Ambulanz, in die man sich eintragen muss, wenn man Impfstoff verschleudert. Das kann passieren, wenn man die Aufziehnadel nicht mehr aus der Ampulle heraus bekommt, den Kolben der Hepatitis-A-Typhus-Impfung zu stark durchdrückt, sodass der Impfstoff an der Spitze der Spritze heraus spritzt oder aus Versehen eine Impfung aufzieht, die gar nicht gebraucht wird. Ich stehe schon mehrmals drauf, weil ich häufiger da bin als die studentischen Hilfskräfte... Nur zur Orientierung: So eine Reiseimpfung kostet zwischen 50 und 110 Euro, von denen im Normalfall 70-80 Prozent von der Krankenkasse zurück erstattet werden. Wenn die Studenten kleckern, wird es für die Klinik also teuer ;-)

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Im nächsten Teil geht's weiter mit "Alltag in der Reiseambulanz II", unter anderem mit allgemeinen Schutzmaßnahmen und der Malariaprophylaxe. 

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