"Ist das eigentlich so eine Adelssache mit den Bärten? Ich meine Bärte sind ja gerade voll in und weder Preston noch du, oder euer Vater trägt einen. Eure Gesichter sind glatt wie süße Babypopos." Bitte was? Manchmal wollte ich gerne wissen, welche Hirnspinste sich in Louisas Kopf herumtrieben.
"Der französische Adel trug tatsächlich keine Bärte. Kann sein, dass meine Familie sich das zum Vorbild nimmt, aber bei mir ist das anders. Selbst wenn ich einen haben wollen würde, mein Körper produziert zu wenig DHT, deswegen werde ich wohl niemals einen prachtvollen Bart besitzen." Louisa und ich grinsten uns gegenseitig an. Keiner von uns beiden wusste, was er da von sich gegeben hatte, aber Hauptsache Simon zitierte wieder irgendein Lexikon.
Es fehlte nur noch, dass er sich die Brille wie ein Professor zurecht rückte, doch diese fehlte wieder. "Trägst du jetzt hauptsächlich Kontaktlinsen?", teilte ich meine Gedanken. "Eigentlich nicht, aber ich muss ja dann die Skibrille anziehen", klärte er mich auf, den Schnee unter seinen Füßen betrachtend.
Seit dem kurzen Moment vorhin, mieden wir beide den Blickkontakt.
"Na dann ihr Lieben, kommt gut unten und wieder oben an. Seid ihr um zwei fertig? Dann könnte ich euch schonmal ein warmes Getränk bestellen", bot Louisa uns an der Spitze des Berges an. Ein kleines Café stach mit der roten Fassade und den Leuchttafeln aus der weißen Kulisse heraus. Hier wurden auch die Skier verliehen, stellte ich bei genauerer Beobachtung fest. "Und was zu Essen dazu. Egal was, Hauptsache vegetarisch", orderte Simon und schon wieder lernte ich ihn ein Stück näher kennen.
Toll, nun schämte ich mich für meine Vorliebe für Fleisch. Diesmal wollte ich allerdings alles richtig machen und mich für nichts und niemanden mehr verstellen. "Und für mich was mit Schinken, oder Bacon. Am liebsten ein Baguette, oder ein Sandwich." Louisa schlug derweil ihr imaginäres Notizbuch auf und tat so als ob sie mitschreiben würde. "Das war's, oder darf ich Ihnen noch etwas bringen?" Wir lächelten sie einfach nur an und bedankten uns anschließend nacheinander.
Das unterste Stückchen ihres Kleides wirbelte passend zu ihrem Abgang. Nun waren Simon und ich alleine. Wir holten uns ohne viel Kommunikation die Ausrüstung und begaben uns auf die Piste.
Hier oben strahlte die Sonne heller. Sie schien uns so viel näher zu sein als in Georgia. Ihre Strahlen erweckten die Schönheit des reinen Schnees. Über meine Haut legte sich eine Gänsehaut bei der atemberaubenden Aussicht.
"Ein Strahl Sonne kann mehr wecken, als tausend Nächte zu ersticken vermögen", vernahm ich es neben mir.Simon genoss ebenfalls das Bild, welches sich vor uns zu einem lebendigen Gemälde erhob. Seine Schutzbrille klemmte glücklicherweise noch über seinem Haaransatz. Seine grünen Augen durchbrachen den Winter wie es nur der Frühling konnte; wenn der erste Grashalm durch das dichte weiß schlüpfte. Ich sog ihn ein wie meine ganz persönliche Muse, die mir zu meiner schönsten Zeichnung überhaupt verhelfen würde.
"Hast du eben Goethe zitiert?" Mit Schiller war Goethe der einzige Schriftsteller den ich namentlich kannte. "Carl Ludwig Scheich, Erfinder der Anästhesie", posaunte er stolz, ehe er ein "Wer zuletzt kommt, darf den anderen mit Schnee einseifen", dran hing. Und schon machte er die Düse.
Ich ließ mich nicht zwei Mal auffordern und stieß mich wuchtig in die Tiefen. Der Schnee spritzte nur so in alle Richtungen. Kalter Wind peitschte mir ins Gesicht, doch ich legte immer weiter an Geschwindigkeit zu. Das Gefühl der Schwerelosigkeit berauschte meine Sinne. Mich konnte nichts aufhalten. Die Erde erzeugte keine Reibungen mehr und ich schwebte.
Simon blieb hinter mir zurück, aber ich war so in Extase, dass ich ihm keine Bedeutung mehr schenkte. Ich wollte, dass es für immer so bleibt. Das mich die Gewissheit nicht verlassen würde, auch ohne Preston glücklich zu werden.
Unten angekommen, legte ich eine Vollbremse hin. Ich flog über die Skier und landete weich gepolstert im Schnee. "Oh Gott, alles in Ordnung?" Und wie, dabei schaffte ich es vor Lachen kaum zu antworten, weshalb ich nur nickte.
Simon zog seine dicken Handschuhe aus, um nach meinen Händen zu greifen und mich mit einem Ruck hoch zu ziehen.
Mein Lachen erlischte bei der Nähe zu seinem Gesicht. Ich spürte seine warmen Atemzüge auf den freien Stellen meiner Haut. Plötzlich wanderten seine Fingerspitzen wie ein leichter Hauch über meinem Kiefer hinauf. Sie hinterließen Elektrizität auf jedem Millimeter, den sie berührten. Ich wusste nicht, was es bedeutete, aber ich war nicht im Stande mich zu wehren.
Er schob meine Schutzbrille über meine Stirn hinweg. "Zu schade um die Maskara", flüsterte er, worauf dieses typisch schiefe Grinsen seine Wangen zierte. Worüber redet er? dachte ich mir still und heimlich, bis er sich ruckartig löste. Erst jetzt bemerkte ich seine andere Hand und versuchte ihn zu schubsen. Simon brauchte nur einen Arm, um mich zu wenden und meinen Rücken felsenfest an seine Brust zu drücken.
"Medaillen, Karate. Erinnerst du dich?" Darauf vernahm ich sein Lachen direkt an meinem Ohr, doch das einzige was ich wirklich hörte war mein eigener Herzschlag. "Aber... ich war...erste", stotterte ich. "Ja und meine Worte waren, wer zuletzt kommt, darf den anderen mit Schnee einseifen." Jetzt musste ich mir erstmal der Reihenfolge der Wortwahl bewusst werden, doch bevor ich ihm recht geben konnte, erreichte mich bereits die kalte Dusche. Und Gott, ich brauchte sie.
Danach löste Simon sich und ein Krieg entfachte. Da traten Tränen vor Freude in meine Augen und innerlich kämpfte mein Kopf gegen mein Herz.
Es sollte meine Gefühle erklären, doch das schaffte es nicht.Es endete schweigend. Wir kamen durchnässt im Café an, wo wir uns unserer Anzüge entledigten und uns dann zu Louisa setzten. Ich bekam kaum einen Bissen hinunter, während Isi Simon erneut über dessen Familiengeschichte ausquetschte. Sie verstanden sich gut und das löste eine unerwartete Befriedigung in mir aus. An dieses Bild der Harmonie und des Friedens hätte ich mich gewöhnen können, wenn mein Herz sich doch nur beruhigen könnte.
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My Boyfriend's Brother
Teen FictionWer die Menschen so behandelt, wie sie sind, der macht sie damit schlechter. Wer aber die Menschen so behandelt, wie sie sein könnten, der macht sie damit besser. _____________________________________ Ich, Vienna hatte den ultimativen Plan, um ihn z...