𝐀𝐫𝐜𝐚𝐝𝐞

148 11 7
                                    

Die Uhr tickte im selben Rhythmus wie sein Herz. Ich brauchte keine andere Musik mehr in meinem Leben. Sein Körper unter mir, seine Arme um meinen bauten das sicherste Haus. Er hüllte mich in Wärme. Ich wollte alles vergessen was geschehen war und für immer hier liegen bleiben; mir von Simon den Rücken streicheln lassen. Wie passend, dass sein Zeigefinger kleine Achter über meinem Schulterblatt zog. Unendlichkeit. So könnte ich sie aushalten.

Wir hatten uns geküsst, so intensiv, dass plötzlich mehr draus wurde. Ich hatte gespürt wie sehr er mich wollte, nachdem er mich noch enger an seine Lenden gedrückt hatte.

Er musste es auch bemerkt haben, denn er beendete es abrupt. Sein Kopf war auf mein Kissen gefallen und er hielt meinen Kopf dicht an seiner Brust. Keiner der tausend Gedanken wurde zu einem einzigen Wort.

In mir herrschte das pure Chaos, aber ich würde es um keinen Preis den herrlichen Frieden zerstören lassen. Ihm ging es wahrscheinlich ähnlich, nur das er es nicht aushielt.

"Für einen kurzen Moment dachte ich, du bist mit Kopf und Herz bei mir, aber dann habe ich mich dran erinnert, warum ich überhaupt hier bin. Ich habe mir Sorgen gemacht, weil du dich wieder nicht blicken lassen hast. Und du bist hier, weil du nicht aufhören kannst, an meinen Bruder zu denken."

Er schluckte und löste sich von mir. Aus dem Versuch mich kläglich an seinem Pullover fest zu krallen wurde nichts.

Simon stand auf, richtete den Kragen seines karierten Hemdes und strich sich einmal die Haare zurück. Es änderte nichts daran, dass eine einzelne Strähne wieder auf seine Stirn sprang.

Die Abendsonne drang durch das Fenster. Sie hatte keine Chance gegen seine Augen. Das Grün verwandelte die Strahlen in reines Gold. Er war das Schönste, was ich jemals gesehen hatte.

"Es ist falsch. Am besten wir lassen das mit der Nachhilfe und sehen uns gar nicht mehr."

Ich war noch immer nicht fähig zu reden, oder mich zu bewegen. Die Fahrt vom Himmel zur Hölle ging so rasant voran, dass ich mich einfach nur fürchtete. Ja, ich erstarrte förmig vor Angst. Simon verschwand und hinterließ dabei nicht mehr als kalte Luft. So kalt, dass jeder Atemzug schmerzte.

Keine Ahnung wie lange ich noch zusammen gekauert in der Ecke lag und keinen Gedanken fassen konnte, aber irgendwann stürmte Louisa das Zimmer.

"Oh mein Gott, du weißt es schon", empfing sie mich und schmiss sich dabei sofort auf mein Bett. Sie drückte mich so fest gegen ihre Brust als hätte sie Angst, ich könnte davon laufen. Wo soll ich hin? Mich im Schnee begraben?

Ich nutzte die Gelegenheit und schmiegte mich an meine beste Freundin. Sie war nicht unbedingt der kuscheligste Mensch. In ein paar Sekunden konnte es schon vorbei sein, aber ich brauchte es. Ich brauchte jemanden, der die Leere füllte, die Simon da gelassen hatte.
Oder viel mehr eine Freundin, von der ich wusste, sie würde niemals verschwinden.

"Es wird alles wieder gut, Vienna! Das biegen wir wieder hin." Wie sollten wir das wieder hinbiegen können? Ich war ein beschissener Mensch und kein unordentliches Bücherregal, dass man zu jeder Zeit aufräumen konnte. Preston geisterte in den Splittern meines gebrochenen Herzens, während Simon es wieder zusammen setzte. Und niemand, nicht mal Louisa würde mir glauben, dass ich Gefühle für sie beide hatte. Weil sowas doch gar nicht ging!

"Erstmal müssen wir heraus finden, wer das getan hat. Ich will Preston ja wirklich nicht verteidigen, aber sowas würde ich ihm keinesfalls zutrauen." Ich hörte Isi erst jetzt aufmerksam zu. Wir hatten definitiv unterschiedliche Probleme.

"Worüber redest du?" Ich lehnte mich zurück und wartete angespannt auf ihre Antwort. Ihre fast schwarzen Augen fuhren erschrocken auseinander. "Du weißt... es doch noch nicht?", stotterte sie nervös, was mich nur noch unruhiger werden ließ. Isi wurde nie nervös, außer es bestand Alarmstufe rot.

Ich schüttelte also den Kopf, weil ich rein gar nichts wusste. Isi senkte ihre Lider. Es herrschte eine beängstigende Stille. Sie stand auf und ging auf ihre Tasche zu. Mir schwante nichts Gutes und je leiser meine beste Freundin wurde, desto mehr stieg mein Puls in die Höhe.

Mit ihrem Handy bewaffnet, setzte sie sich wieder zu mir an die Bettkante. Ich beobachtete jede ihrer Bewegungen, versuchte dem Unheil entgegen zu kommen. Dann sah ich es in ihren Nachrichten. Da war ich und mein entblößter Oberkörper, plus die Unterschrift 'Miss Mini Titte'.

"Hast nur du die bekommen?", schrie ich beinahe hysterisch. Ich glaubte, gleich schwarz vor Augen zu sehen. Isi schüttelte kaum merklich ihren Kopf. Meine Zukunft landete eben zerknüllt im Eimer. Mein Selbstwertgefühl schrumpfte zum Staubkorn. Und mein Vertrauen, es brannte in Flammen. Wieso Preston?

Ich wollte mich vor aller Augen verstecken; klein werden wie eine Maus und dann in ein Loch kriechen.

Nein, wirklich keiner sollte mich jemals wieder sehen. Preston hatte mich an die Wölfe ausgeliefert. Niemand könnte mich jemals mehr ernst nehmen. Keine Universität brauchte eine Miss Mini Titte.

Meine Hände griffen wie von selbst nach meinem Handy. Natürlich schickte die unbekannte Nummer auch mir diese Nachricht. Ohne sie zu betrachten, löschte ich sie sofort. Damit entzog ich mich ein wenig der Realität, die ich kaum noch verkraften konnte.

"Hallo Liebling, na wie ist Kanada so?", vernahm ich die Stimme meines Vaters. Das bedeutete Mom war verreist. Sie hielten es doch keine zwei Stunden zusammen aus, weshalb mein Vater ständig in seiner Firma steckte. Mir waren die familiären Probleme so egal. Hauptsache ich musste keine Sekunde länger mehr hier sein.

"Darf ich mit dem nächsten Flieger zurück? Bitte, Dad", schluchzte ich in den Hörer. "Aber Kleines, was ist denn los?" Ich hätte mir öfter einen fürsorglichen Vater gewünscht, aber so war er nur, wenn meine Mutter fehlte. "Nicht jetzt, Dad. Kannst du mir bitte einen Flug buchen und mir die Daten schicken?"

"Natürlich, Schätzchen."

My Boyfriend's Brother Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt