𝐃𝐫𝐢𝐯𝐞𝐫𝐬 𝐋𝐢𝐜𝐞𝐧𝐬𝐞

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Am nächsten Tag sah die Welt etwas besser aus. Es gab Gott sei Dank auch die seltenen Morgen, an denen man aufstand und der Zukunft zuversichtlich entgegen blickte.

Der Schultag war auch schon überstanden und nun tippte mein Fuß vor Nervosität gegen den Küchentisch. Simon sollte bald ankommen. Zum Glück hatte meine Mutter beschlossen, meinen verschwundenen Vater in seiner Firma aufzusuchen.

Am liebsten hätte ich nach unserem gestrigen Treffen die Nachhilfestunde abgesagt, aber ich brauchte Simon. Seine Ansätze lösten meine mathematischen Barrieren.

Mittlerweile trommelten auch meine bunten Nägel im Takt des Liedes aus dem Radio auf dem dunklen Holz herum. Da erklang es, das erlösende Klingeln. Ich rannte durch den Flur und öffnete einer ganzen Menschenansammlung die Tür.

"Da siehst du es! Deine Tochter schleppt schon den nächsten reichen Schnösel an, anstatt an sich selbst zu glauben. Sie wird genauso enden wie ich. Als Mutter, eingesperrt in ihren goldenen Käfig. Vienna wird eine starke Frau ohne Perspektiven; ausgenommen denen, die ihr reicher Mann ihr natürlich ermöglicht."

"Anne, lass es. Das ist ja peinlich, meine Güte. Hallo Liebling, hallo Unbekannter", grüßte mein Dad erst mich und dann die Gestalt hinter sich. Simon. "Unbekannter? Das ist der andere de Gailly! Der Bruder von Preston! Siehst du wie verzweifelt unser Mädchen ist und du versteckst dich in deinem Büro!" Mom sprach, ehe sie Gesagtes überdenken konnte.

Diese Impulsivität verletzte, vor allem in diesem Moment. Meine eigene Mutter kannte mich nicht. Sie besaß so ein dermaßen verkehrtes Bild von mir. Ihrer Ansicht nach, hing ich mich gefühlskalt an die Hälse von irgendwelchen Millionären. Sowas ekelte mich allerdings an. Mein Magen zog sich zu einem Knäuel zusammen, bereit das Mittagessen loszuwerden.

Ich hatte mich niemals bewusst für Preston entschieden. Die Gefühle waren einfach da und selbst jetzt konnte ich sie nicht einfach abstellen.

Der Streit verschob sich ins Wohnzimmer. Simon und ich blieben sprachlos zurück.
Genug! Ich griff nach einem beliebigen Paar Sneakers und schloss die Tür hinter mir, um auch die letzten Gesprächsfetzen im Keim zu ersticken.

Der Junge mir gegenüber verstand. Er nickte in die Richtung eines alten, verstaubten Fords. Dieses Ding durfte Simon zwischen die Luxuskarrossen seiner Eltern parken? Mir konnte es egal sein, Hauptsache weg. Wir liefen gemeinsam zum Wagen, bis wir auf getrennten Seiten einsteigen wollten.

Meine Finger berührten gerade den Griff der Beifahrertür, da zuckte mein Kopf in die Höhe. "Hey Becker", rief Simon, ehe sein Schlüssel im hohen Bogen auf mich zugeflogen kam. Nicht wie in den ganzen Filmen, fing ich das klimpernde Teil. Es erwischte eiskalt meine Schulter und fiel dann zu Boden. Ich rieb mir über die schmerzende Stelle, während ich den Schlüssel vom Boden fischte.

"Was soll ich damit? Ich habe noch keinen Führerschein." Dabei klang ich kratzbürstiger als beabsichtigt. Tut mir ja leid, aber auf jegliche Form der Erniedrigung, reagierte ich empfindlich. Davon erfuhr ich in letzter Zeit einfach zu viel und da ist abgeworfen zu werden die Spitze eines ohnehin schon zu großen Eisbergs.

"Dann wird es doch langsam mal Zeit. Nach Ihnen", forderte er, die Tür ganz gentleman-like öffnend. Darauf spazierte er allerdings an mir vorbei und setzte sich auf meinen Beifahrerplatz. Ich betrachtete ratlos den Schlüssel in meiner Hand. Im Gefängnis zu landen war nicht mein nächstes Ziel.

Neben mir ertönte ein Geräusch. Simon kurbelte das Fenster hinunter und lehnte anschließend seinen Ellenbogen lässig nach draußen. "Du gehst viel zu verkrampft an alles ran, Vienna. Lass locker und lach zwischendurch auch mal. Das bewirkt wahre Wunder." Das konnte ja nur aus Simons Mund stammen. "Ist das ein Zitat von Goethe?" Seine Lippen verzogen sich zu einem schiefen Lächeln. Ich mochte es. Es wirkte frech und das stand seiner sonst so zurückhaltenden Optik.

My Boyfriend's Brother Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt