𝐁𝐫𝐨𝐤𝐞𝐧

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Die komplette Woche verflog wie im Nu. Man sagt eigentlich, dass die Zeit nur fliegt, wenn sie schön ist, aber es geht auch anders. Wenn man Angst hat und etwas herauszögern möchte, dann sprintet man diesem Ereignis plötzlich entgegen.

So ging es mir vor den Prüfungen, die ich jetzt, hinter mir hatte. Gott sei Dank.

Egal wie es ausgehen würde, ich müsste diese Aufgaben nie wieder lösen. Es sei denn, ich müsste das Jahr wiederholen. In meiner Gegenwart tänzelten allerdings genug Teufel herum, als das ich noch einen an die Wand malen sollte.

Ich mied meine Freunde und Ex-Liebhaber. Wie nuttig sich das anhört... Wir hatten uns alle gegenseitig betrogen und belogen. So sehr, dass man es niemals 'Jetzt sind wir quit' nennen konnte.

Jetzt saß ich überraschenderweise zwischen beiden Elternteilen am Frühstückstisch, nippte aber nur an einem kühlen Kakao. Der Appetit war mir schon seit längerem vergangen. Eigentlich funktionierte ich nur, ähnlich wie die Kaffeemaschine.

Die Schimpftirade, die ich erwartet hatte, blieb gänzlich aus. Meine Eltern waren die letzten Tage auffällig ruhig. Sie stritten nicht einmal mehr. Irgendwie war damit sämtliches Leben aus dem Haus geflohen.

Nur an jenem Samstag Morgen bat mein Dad mich zu dem gemeinsamen Frühstück. Eine Offensive, die ich schätzte, da mir außer meiner Familie ja wirklich keine Menschen mehr blieben.

"Es ist schön wieder gemeinsam zu essen", versuchte ich es mit einer höflichen Floskel. Mom nippte nur verstohlen an ihrem Kaffee und sank auf ihrem Platz noch ein Stück tiefer.
Mein Vater räusperte sich. "Wie waren die Prüfungen, Liebling?", wollte er wissen.

"Mathe und Englisch waren echt gut. Bei Geschichte und Naturwissenschaft habe ich nicht so ein gutes Gefühl. Ich finde sie setzen in diesen Fächern aber auch die falschen Prioritäten", rechtfertigte ich mein eventuelles Versagen.

"Das tun wir auch! Daniel, wie wär's, wenn wir gleich zum Punkt kommen?" Meine Mutter besaß die Macht, jegliche Harmonie in der Luft zu zerschneiden. Ihr schriller Ton, weckte alle Alarmglocken in mir. Doch auch Neugierde mischte sich unter meine Gefühle. Erwartungsvoll starrte ich erneut Dad an. Seine Lippen drückte er zu einem schmalen Strich zusammen. Er schien wie so oft nicht erfreut über Moms Art, aber mit der Zeit wurde er zum Meister der Beherrschung.

"Richtig, Victoria." Wenn sie sich beide mit ihren vollen Vornamen ansprachen, musste das Drama groß sein. Normalerweise gaben sie sich nette Kosenamen, wie Idiot, Schlappschwanz, sture Ziege, oder boshafte Hexe.

Dad setzte unter dem kontrollierenden Blick meiner Mutter fort. "Vienna, wir haben beschlossen, dass es für uns alle das Beste ist, wenn deine Mom und ich uns endgültig scheiden lassen. Ich werde nächste Woche ausziehen."

Ein Neuanfang!, stürmte es meine Gedanken. "Das trifft sich super Dad. Ich meine die Prüfungen sind durch und wie ihr wisst, ist hier für mich alles scheiße. Wo ziehen wir hin, Dad? Mom und dich komme ich jedes, naja vielleicht fast jedes Wochenende besuchen, okay?", ratterte ich aufgeregt runter.

Mom schüttelte verständnislos den Kopf, sowie sie ihre Arme vor ihrem Blazer verschränkte.

"Vienna, Liebling... Ich konnte mir nur ein kleines Appartement leisten. Du weißt doch, die Firma läuft nicht mehr so gut und ich will euch doch ausreichend Unterhalt zukommen lassen. Außerdem ist das ein großer Schritt für uns alle. Ich brauche erst einmal eine Auszeit nur für mich und Mom und ich sind uns einig, dass es für dich nicht gut wäre, dich jetzt aus deiner gewohnten Umgebung herauszureißen", erklärte er notgedrungen, denn er bemerkte wohl, dass mit jedem seiner Worte meine Mundwinkel weiter sanken.

Was er sagte, traf mich mitten ins Herz. Sie hatten die Entscheidung ohne mich getroffen!

"Aber ich verstehe mich hier mit keinem, nichtmal mit Mom. Sie hasst mich! Hättet ihr euch mehr für mich interessiert, dann wüsstet ihr, dass ich einen Neuanfang brauche!", schrie ich lauthals, denn ich konnte mit keiner Gott verdammten Ungerechtigkeit mehr leben!

"Das, was du brauchst ist Durchhaltevermögen, Anstand und einen schlauen Kopf auf den Schultern, der dich durch das Leben führt, denn dieses besteht nicht nur aus einem Märchenschloss!", feuerte meine Mutter zurück.

"Du bezeichnest mein Leben als Märchenschloss? Mein Freund ist nach drei Jahren grundlos abgehauen. Ich habe mich in seinen Bruder verliebt, der eine andere hat, mir aber nie was davon erzählt hat. Meine beste Freundin verbreitet Halbwahrheiten über mich. Ach und da seid noch ihr, die entweder streiten, mich runtermachen, oder mich ignorieren.
Wo sind die Prinzen Mom? Wo die Bediensteten? Wo soll mein verdammtes Märchenschloss sein?!"

"Ich habe dir ständig geraten, du sollst dich erstmal nur auf die Schule konzentrieren!", konterte meine Mutter.

"Mom ich habe aber auch Gefühle. Die kann man nicht immer kontrollieren!"

Dad schob seinen Stuhl lautstark über dem Parkett zurück. "Ihr werdet zueinander finden müssen! Ich muss jetzt zur Arbeit", verabschiedete er sich kurz und schmerzlos. Er würdigte uns keines Blickes mehr, während er seine Jeansjacke nahm und letztendlich die Tür zu schlug.

"Immer schön abhauen...", flüsterte Mom vor sich hin, ehe sie den letzten Schluck ihres Kaffees wie einen Vodka-Shot hinunter kippte.

Mein Herz zog sich schmerzhaft zusammen. Ich beobachtete meine Mutter dabei, wie sie das Geschirr in das Waschbecken warf. Ein Wunder das es keine Scherben gab. Nur ich zuckte bei jedem Klirren zusammen. Alleine mit dieser Frau würde ich keinen Monat überleben.

Und Dad wollte mich nicht.

Wieso trug er mich als kleines Kind auf den Schultern? Wieso kaufte er mir all die Puppen und nannte mich liebevoll Prinzessin? Wieso tröstete er mich, wenn ich mich mit Mom gestritten hatte. Wieso interessierten ihn meine schulischen Leistungen? Es fühlte sich an wie ein Betrug. Er liebte mich und am Ende um sonst.


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