𝐄𝐩𝐢𝐥𝐨𝐠𝐮𝐞

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"Vienna, du kannst mich doch nicht einfach so aus der Toilette rausschleifen!", schrie Louisa wirklich empört. Um ihr zu zeigen wie gut ich das konnte, packte ich ihre Hand noch einmal fester und legte dabei einen Gang zu.

"Kann Kendra uns jetzt schon abholen?", rief ich als wir den Ballsaal aka unsere Sporthalle verließen.
Louisa schüttelte ihre Locken, zog aber gleichzeitig ihr Handy aus ihrer Tasche.

"Babe, kannst du uns jetzt holen?! Vienna hat einen Anfall, oder so", sprach sie in den Hörer, was mich meine Augen verdrehen ließ.

Wir machten Halt bei der Bushaltestelle. Die Entfernung hatte schon längst die Musik verstummt, nur der Bass wummerte in regelmäßigen Abständen. "Könntest du mir verraten, was dein Problem ist?!"

Da gibt es keine Probleme, schoss es mir wieder durch den Kopf.
"Das Fenster über dem Badezimmer steht mir immer offen", flüsterte ich abwesend vor mich hin. "Vienna, hast du dein Getränk unbeaufsichtigt stehen lassen, oder dich bewusst für Drogen entschieden?"

Nein, ich hatte mich bewusst für dieses Gefühl entschieden, dass mein ganzes Wesen mit Glückshormonen flutete.

Die Straßen glänzten vom Regen geküsst. Ich genoss den Duft des nassen Asphalts. Es war seltsam, da ich eigentlich die wolkenfreie Sonne liebte. Gerade war mir danach im erloschenen Regen zu tanzen.

"Komm, Isi!" Ich zog sie in die nächste Pfütze auf der Gott-verlassenen Straße. Das feuchte Kühl kletterte meine Waden hinauf. "Und nochmal, was ist in dich gefahren?" Erst hörte es sich an wie ein Meckern, doch dann schüttelte auch meine beste Freundin ihre Absätze von den Füßen.

Das Wasser plätscherte, Tropfen flogen und wir hüpften und drehten uns wie zwei Irre. Ich fühlte mich frei, ohne Gewicht auf meinen Schultern. So als könnte ich mit dem nächsten Sprung abheben und den Mond umarmen.
Bis das grelle Scheinwerferlicht uns traf und uns wieder auf die Erde brachte.

Peinlich berührt, aber dennoch mit Grübchen im Gesicht begaben wir uns in Kendras Mercedes. Es tat mir leid um die Ledersitze, die Kendra morgen bestimmt mühsam reinigen musste. Ehe sie los fuhr, schoss mein Kopf zwischen den beiden Vordersitzen nach vorne. "Fahr mich bitte zur Shaftesbury Avenue. Zum letzten Haus in der Straße", rief ich, eventuell eine Spur zu befehlshaberisch.

"Ai Ai Captain. Sagt mal, hattet ihr Alkohol in der Bowle?" Zum Glück war Kendra so locker drauf. Isis Stimme erlosch zwischenzeitlich. Sie kannte die Addresse nur zu gut und sie wusste auch, was dies zu bedeuten hatte.

Meine rechte Hand lag auf ihrem Sitz und sie legte ihre kalten Finger über meine. Dadurch bemerkte ich erst, wie sehr ich zitterte. Es könnte am Planschen in den nächtlichen Gewässern liegen, aber auch an der Aufregung, die sich durch meinen Bauchraum fraß.

Ein Strahl Sonne kann mehr wecken, als tausend Nächte zu ersticken vermögen und erst jetzt verstand ich die Bedeutung seiner Worte. Die Sonne strahlt aus grünen Augen und sie schafft es jede schwarze Nacht zu vertreiben. Man sollte mich Goethe nennen.

"Schnapp dir deinen Traumprinzen", ermutigte mich Louisa als der Wagen stehen blieb. "Ich weiß zwar nicht, was das alles zu bedeuten hat, aber du schaffst das, Vienna", fügte Kendra bei.

Ich füllte ein letztes Mal meine Lungen mit Luft und stieg aus. Aus dem Asphalt unter meinen nackten Füßen wurde Gras und letztendlich spürte ich das kalte Metall der Feuerleiter.

Die Kombination zwischen Glätte und einem Kleid klang gefährlich, doch es war mir das Risiko wert. Eifrig hob ich mich von Stufe zu Stufe und pustete ab und zu ein paar gelöste Haarsträhnen weg. Mein Leben verwandelte sich eben in eine Mischung aus Romanze und Action-Film.

Oben angekommen, konnte ich es mir nicht verkneifen erstmal nach unten zu lunzen. Wow, das war schwindelerregend. Als ich meinen Blick wieder hob, erstarrte ich.
Savannah erhellte die Nacht ebenso wie der Himmel. Es leuchtete in allen Farben und Größen. Die beiden Türme der St. John Kathedrale stachen empor wie ein kleines Märchenschloss. Bis heute war mir die Kulisse nie sonderlich aufgefallen. Früher hatte ich aber auch nicht auf dem Dach der de Gaillys herum gelungert.

"Es ist atemberaubend, nicht wahr?"
Nicht so wie seine Stimme. Mir blieb die Spucke weg. Mein Mund verwandelte sich in die Sahara, während mein Körper unkontrolliert zu zittern begann.

Nur langsam wandte ich mich an ihn.
Er stützte sich gerade hinaus, um auf das Dach zu kommen.

"Du hast was verloren Cinderella." Er lachte und schob mir dabei seine Adiletten zu. Ich gab bestimmt ein besonderes Bild einer Prinzessin mit den Schlappen ab. Wir schmunzelten beide bei dem Bild. Zumindest, bis ich an seinem schiefen Lächeln hängen blieb. Die Zeit sollte stehen bleiben und sein Gesicht so in Stein meißeln. Fast hätte ich ihn verloren...

"Simon, es tut mir leid. Ich habe Angst jemanden zu verlieren. Vor allem jemanden wie dich. Und auch wenn es sich jetzt seltsam anhört, aber es ist okay, wenn du irgendwann nicht mehr da sein solltest. Genau deswegen möchte ich aber jede Sekunde nutzen, denn jeder Kuss und jede Umarmung wird mir für immer bleiben. Vielleicht wird jede Berührung irgendwann verblassen, aber das, was du in meinem Herzen hinterlässt, das wird bleiben."

Simons Mund stand offen. Tatsächlich schien er zu versteinern und bevor sein geniales Gehirn wieder arbeitete, fiel mir noch etwas ein. Aus meinem Ausschnitt fischte ich, den mittlerweile ziemlich klebrigen Ring.
"Das ist doch immer noch unser Abschlussball! Ich will dein Honeybadger sein." Fast schon verzweifelt reichte ich ihm den Lolli-Ring, so dass er ihn mir nochmal anstecken konnte.

Simon nahm das zerstörte Ding skeptisch an. Unter zusammen gezogenen Augenbrauen musterte er es. Es klebten Fussel und Haare dran, aber für ihn hätte ich es ertragen.

"Können wir uns stattdessen einfach nur küssen? Mein verrückter Honeybadger."






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