Kapitel 15

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Isalie

„Isalie, du wurdest jahrelang belogen... Du bist ein Werwolf." Ich konnte mich nicht bewegen. Ich schaute Lucian fassungslos in die Augen. Mein Körper war starr. Was hatte er gerade gesagt? Habe ich seine Worte richtig verstanden?

Werwolf, Werwolf, Werwolf...

Ständig wiederholte ich dieses Wort in meinem Kopf. Nein, das kann nicht sein, ich bin nicht... Wie kann das möglich sein?

„Was? Wie meinst du das? Das ist nicht wahr, oder Lucian?" Ich schaute abwechselnd ihn und Accalia an. „Accalia?" Ich erhoffte mir von ihr eine ernstgemeinte Antwort, doch sie schüttelte nur ihren Kopf und deutete auf Lucian.

„Isalie, ich weiß, das ist nicht leicht zu verstehen. Du stehst immer noch unter Schock, aber ich möchte, dass du mir zuhörst und versuchst, ruhig zu bleiben." Lucian sprach sanft und legte eine Hand auf meinen Oberschenkel. Er wusste, dass mich seine Berührung beruhigen würde. Ich nickte langsam.

„Okay... Accalia und ich gehören einem Rudel an... Wir sind auch Werwölfe. Also bist du nicht allein." In meinem Gesicht lag purer Schock. Ich schaute zu Accalia. Sie sind auch Werwölfe... Sie können sich in blutrünstige Tiere verwandeln. Sie können töten. Genauso, wie ich es getan hatte... Sie töten wie ich. Ich begann abermals zu zittern. Mein Atem beschleunigte sich.

Lucian verstärkte den Griff um meinen Schenkel und lenkte meine Aufmerksamkeit wieder auf ihn. Meine Gedanken gerieten in den Hintergrund, als ich ihn wiederholt anblickte.

„Kannst du dich noch an unseren Zusammenstoß auf dem Flur in der Schule erinnern?" Ich nickte stumm. Er fuhr fort. „Deine Tabletten sind aus deiner Tasche gefallen. Als ich sie aufgehoben hatte, bemerkte ich einen stechenden Geruch. Ich bin sofort nach Hause gefahren... Ich habe erfahren, dass ein Kraut in deinen Tabletten ist, was deine wölfische Seite daran hindert, an die Oberfläche zu treten." Lucian redete weiter, als ich nichts erwiderte. Ich konnte einfach nicht.

„Und als du eine Zeit lang vergessen hast, deine Tabletten zu nehmen, hat sich deine andere Seite wieder nach oben gekämpft und du hast diesen Anfall bekommen. Du hast dich zum Teil verwandelt und den Männern mit deinen Krallen die Kehlen aufgeschlitzt." Den letzten Teil sagte er mit Absicht etwas leiser. Er atmete schwer aus.

Ich konnte ebenfalls nur mühselig Luft holen. „Ihr seid also der Meinung, dass diese Tabletten meine Werwolfseite verborgen haben und ich gar keine Krankheit habe? Meine Mom hat mich angelogen? Mein ganzes Leben lang?" Eine Weile lang war es still. Keiner traute sich, etwas zu sagen. Die beiden gaben mir Zeit, durchzuatmen.

„Ja. Wir glauben, dass deine Mom auch ein Werwolf ist." Lucian brach das Schweigen. Er schaute auf den Boden.

„Was? Das ist doch Schwachsinn... Wie sollte das gehen? Sie nimmt keine Tabletten beziehungsweise hat sie mir nie gesagt, dass sie ebenfalls eine Krankheit hätte..." Kann das wahr sein? Sollte ich ihnen glauben?

„Vielleicht macht sie alles heimlich. Überleg doch mal." Accalia stieg nun ebenfalls in unser Gespräch ein. Sie kam näher und setzte sich in den Sessel neben Lucian. „Sie hatte alles geplant. Sie wollte nie, dass du es erfährst."

„Du hast doch mal erwähnt, dass die Diagnose für dich ziemlich überraschend kam, weil du gar keine richtigen Symptome hattest..." Ich stockte und dachte nach. Er hatte Recht. Von heute auf morgen hatte ich diese Krankheit. Früher schien mir das alles plausibel, doch jetzt...

Ich begann zu glauben. Zu verstehen... Ich hatte das Gefühl, dass ich Lucian vertrauen konnte. Er sagte die Wahrheit. Er wollte mir helfen.

„Ich bin nicht krank..." Das sagte ich mehr zu mir selbst als zu den anderen beiden. Ich verinnerlichte meine Worte. Ich war nie krank gewesen... Ich fasste mir an den Kopf. Plötzlich drehte sich alles. Meine Sicht wurde unscharf und ich hielt mich mit der anderen Hand an der Lehne des Sofas fest.

„Ist alles okay, Isalie?" Lucian legte eine Hand an meine Schulter, um mich zu stützen.

„Nein. Mir ist schwindlig. Kann ich vielleicht..." Ich stockte. Mein Kopf brummte und mir wurde schlecht.

„Ja natürlich. Du kannst dich in meinem Zimmer etwas hinlegen." Lucian half mir, aufzustehen und hob mich hoch, um mich in sein Zimmer zu tragen. Er war aufmerksam... Wir schauten uns in die Augen. Seine Augen waren voller Verständnis. Ich fühlte mich bei ihm geborgen und ich wusste, dass er mich beschützen würde, egal was kommen wird. Ich lehnte mich an seine starke Brust.

Vorsichtig setzte er mich auf seinem Bett ab. Er strich mir eine Haarsträhne hinter mein Ohr. Er murmelte noch so etwas wie »ruh' dich ein wenig aus« und verließ das Zimmer.

Sein Zimmer war groß und lichtdurchflutet. Der Raum hatte zwar nur ein Fenster, doch dieses zog sich über eine komplette Wand. Mein Blick wanderte in Richtung des Waldes. Man hatte von hier einen wunderschönen Ausblick. Er strahlte Ruhe aus. Die Farben harmonierten und gaben mir Kraft. Ich kuschelte mich in seine warme Decke. Mir war kalt geworden in dem Moment, als er mich nicht mehr berührte. Mein Kopf sank müde auf die Kissen. Sein Bett war weich... Viel zu weich... Ich ließ mich fallen.


Ich schloss meine Augen und genoss die letzten Strahlen des Sonnenlichtes auf meiner Haut. Sie waren warm. Ich schaute zu meinem Opa. Wir standen inmitten eines Sonnenblumenfeldes. Es dämmerte bereits. Ich trug einen Sonnenhut und tanzte wild um ihn herum, während er im Feld hockte und eine Hand vor seine Augen hielt. Die Sonne blendete ihn in sein Gesicht.

„Isalie, du bist wundervoll. Ich möchte, dass du das weißt. Du solltest dich niemals verstecken oder dich schämen. Du bist, wer du bist. Ich hätte mir keine bessere Enkelin wünschen können." Ich stoppte. 

„Du bist sehr weise. Was soll ich nur tun, wenn du irgendwann nicht mehr bei mir sein wirst?" Ich setzte mich auf sein Knie und machte ein trauriges Gesicht. Er umfasste mein Gesicht so, dass ich ihn anblickte.

„Ich werde immer bei dir sein, Isi. Auch wenn ich nicht mehr physisch da bin, heißt es nicht, dass ich vollkommen gegangen bin. Ich werde in deinen Erinnerungen weiterleben und von oben auf dich herabsehen. Ich werde immer für dich da sein. Ich möchte, dass du das nie vergisst."

Ich lächelte bei seinen Worten. „Versprochen?" Ich hielt meinen kleinen Finder hoch und zog einen Schmollmund.

„Ja, versprochen." Er hob ebenfalls seinen kleinen Finger. Er schwor es mir. Ich lächelte und er umarmte mich fest. Ich half ihm hoch und wir rannten zusammen der Sonne entgegen...


Danke fürs Lesen. Ich hoffe, euch hat das Kapitel gefallen. Über eure Meinung würde ich mich sehr freuen, also lasst gerne ein Kommentar oder ein Vote da. Lots of Love, Larissa <3

Wolfsmädchen - Im Schatten des WaldesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt