Kapitel 43

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Isalie

Immer noch voller Schock verwandelte ich mich zurück in meine menschliche Gestalt und stürzte kraftlos zu Boden. Es war vorbei. Es war endlich vorbei. Die ganze Bedrohung. Der Kampf. Der Tod.

Oh Gott... Der Tod. Ich musste gerade mit ansehen, wie Lucian einen wichtigen Menschen in seinem Leben verloren hatte und wie er diesen erfolgreich verteidigt hatte. Wir hatten gesiegt. Wir hatten die Dunkelheit besiegt und doch fühlte sich alles so falsch an. Wie konnte das sein?

Vergeblich versuchte ich aufzustehen und Lucian hinterherzulaufen, doch Accalia hielt mich am Arm fest und hinderte mich an meinem Plan.

„Isi, er braucht im Moment ein wenig Ruhe." Ihre Stimme war leise und so voller Trauer.

Ich schaute sie mit glasigen Augen an. Meine Atmung beschleunigte sich bis aufs Äußerste und ich krallte mich in Accalias Arme. Ich brauchte Halt. Halt, weil ich das Gefühl hatte, den Boden unter meinen Füßen zu verlieren.

„Shh, alles okay. Ich weiß, dass du fühlen kannst, was er fühlt, doch versuche es abzustellen. Konzentriere dich auf andere Sachen. Bitte, du musst jetzt stark sein." Sie strich mir beruhigend über den Kopf und ich konnte fühlen, wie sie mir die Panik nahm.

Es dauerte eine Weile, bis ich mich wieder vollkommen beruhigt hatte. Dankend schaute ich Accalia in die Augen, bevor sie mir aufhalf.

„Kein Problem.", gab sie mir nur kurz als Antwort zurück. „Die Zeit wird nicht gerade leicht werden für Lucian. Bitte, du musst für ihn da sein. Er braucht dich jetzt mehr denn je und nur du kannst fühlen, was wirklich in ihm los ist..." Sie schaute mir hoffnungsvoll in meine müden Augen.

„Ich verspreche es.", gab ich ihr leise zurück, bevor ich mich mit einer langen Umarmung von ihr verabschiedete und ihr den Rücken kehrte.

Man konnte immer noch beobachten, wie manche Werwölfe aufgrund von Lucians Worten das Feld und somit auch das Rudel verließen.

Mit hasserfülltem Blick schaute ich ihnen nach. Ich konnte es nicht verstehen... Wie kann man nur einen Krieg anfangen und wissen, dass es Opfer geben wird? Wie kann man nur so grausam sein und einen Krieg beginnen, nur weil man Angst vor der Zukunft hat?

Übermüdet und ausgelaugt ließ ich mich auf die Stufen zur Veranda fallen. Keinen Schritt konnte ich mehr gehen... Erst jetzt wurde mir bewusst, was ich in den letzten Stunden mitangesehen und auch getan hatte.

Ich habe getötet. Diese Wölfe hatten all das verdient, nachdem was sie meinem Rudel angetan hatten. Doch trotzdem konnte ich tief in mir Schuldgefühle verspüren.

Ich vergrub meinen schweren Kopf in meine Hände. Ich konnte es nicht mehr sehen. Ich wollte es nicht mehr sehen. Kampf. Blut. Tod. All das lag hinter mir, jedoch konnte ich diese Sachen gerade so deutlich vor mir sehen.

Das Feld sah schrecklich aus. Das sonst so weiche und grüne Gras lag platt und blutdurchdrängt auf der staubigen Erde.

Leichen um Leichen. Ich wusste nicht, wie viele wir verloren hatten. Ich wollte es auch nicht wissen, mir fehlte schlechthin die Kraft und auch der Mut nachzuzählen.

Ich konnte beobachten, wie zahlreiche Rudelmitglieder vergeblich nach ihren Verlorenen suchten. All die schmerzerfüllten Schreie zogen mich wieder zurück in die Vergangenheit.

„Isalie? Isi, oh Gott sei Dank.", zog mich eine Stimme aus meinen tiefsten Gedanken. Als ich meinen Kopf zur Quelle der Laute drehte, konnte ich meine Mom erkennen.

Eine Blockade löste sich in meinem Inneren, als ich sie sah und ich fing unmerklich an zu weinen. Ich konnte meine Tränen nicht stoppen. Unaufhörlich benetzten sie meine kalten Wangen.

Wolfsmädchen - Im Schatten des WaldesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt