Kapitel 37

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Lucian

Es war tiefste Nacht und doch erhellte der Mond alles. Jeden Baum, jeden Strauch, jeden Stein. Alles lag deutlich sichtbar vor mir.

Ein starkes Verlangen schoss durch meinen Körper und nur schwer konnte ich diesem widerstehen. Ich wusste nicht, wo ich war oder in welche Richtung ich überhaupt gelaufen bin und doch stand ich hier auf einem großen Stein. Ich konnte spüren, wie die Energie sich in meinem Körper sammelte. Noch nie hatte ich mich so gut gefühlt. Der Wind streifte durch mein Fell und ich genoss die kühle Brise.

Ein Rascheln unterbrach meinen Gedankengang. Schnell öffnete ich meine Augen, nur um sie vor mir stehen zu sehen. Isalie. Sie hatte mich gefunden...

Ich wusste, dass es nicht lange dauern würde, bis ich meine Beherrschung verlieren würde. Sie stand nun greifbar nah vor meinen Augen. Mein Herz pulsierte wie verrückt in meiner Brust und ich konnte ihr inniges Verlangen riechen.

Gekonnt sprang ich leise von der Empore und schritt immer weiter auf sie zu. Meter um Meter kam ich ihr näher, bis uns nur noch einige Zentimeter voneinander trennten.

Tief schaute ich ihr in die schokobraunen Augen. Ich leckte mir begierig über meine scharfen Zähne. Ich konnte mich nicht beherrschen. Meine tierischen Triebe waren viel stärker als die Vernunft in meinem Kopf.

Unwissenheit spiegelte sich in ihren Augen wider. Sie wusste, dass sie mich gefunden hatte, doch sie hatte keine Ahnung, was jetzt passieren würde. Ich wusste, dass ich sie hätte warnen sollen. Doch jetzt ist eh alles zu spät...

Ich kam ihr so nah, dass sich unser Fell berührte. Ich genoss die kleine Berührung, die sie ebenfalls erwiderte. Ich stoß ein leises Knurren aus, bevor ich meine Zähne tief in ihren Nacken versenken konnte.


Die Sonnenstrahlen kitzelten mich wach. Unmittelbar rümpfte ich meine Nase und öffnete langsam die Augen. Es war Tag. Vermutlich schon Mittag. Ich setzte mich auf und fasste mir an meine pochende Stirn. Ich hatte Kopfschmerzen. Kein Wunder, nach so einer harten Nacht wie dieser...

Gedanken von vorheriger Nacht zogen sich durch meinen Kopf. Ich kann mich an relativ wenig erinnern, doch das, was ich noch wusste, hätte ich am liebsten wieder vergessen.

Ich hatte sie gebissen. Ich hatte sie wahrhaftig in den Hals gebissen. Ohne ihr irgendwas davon zu sagen oder sie wenigstens zu warnen.

Die Gestalt neben mir begann sich zu regen. Ich schaute zu Isalie hinunter. Sie stieß ein schmerzerfülltes Seufzen aus, bevor sie sich an ihren Nacken fasste.

„Oh Gott, Luc, warum hast du das getan?", fragte sie mit rauer Stimme. Ohne zu antworten, ging ich zu einem kleinen Bach. Ich zog mein Shirt aus, um es zu befeuchten.

„Luc?" Sie schaute mich mit einem fragenden Blick an, als ich wieder zu ihr trat. Ich hockte mich hin und hielt mein T-Shirt an ihre Verletzung, um diese zu kühlen. Sie war immer noch blutig von letzter Nacht.

„Danke..." Sie atmete erleichtert aus. Sie legte ihre Hand auf meine, um den Druck zu verstärken.

„Es tut mir so leid. Das hätte ich nicht tun sollen ohne deine Erlaubnis.", antwortete ich auf ihre vermutlich schon längst vergessene Frage.

„Warum? Hatte das irgendeine tiefgründige Bedeutung?" Ich schwieg einige Sekunden, bevor ich ihr antworten konnte.

„Ja, ich habe dich markiert, Isi. Das bedeutet, dass nun jeder weiß, dass du zu mir gehörst. Ich habe dich damit an mich gebunden.", erklärte ich ihr mit fester Stimme.

Wolfsmädchen - Im Schatten des WaldesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt