Kapitel 36

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Isalie

„Was soll das heißen, ich soll ruhig bleiben?", entgegnete ich Silvan mit lauter Stimme. Er hatte mich, kurz nachdem ich ihn zur Rede gestellt hatte, in den Versammlungsraum gebeten.

„Isalie, beruhige dich, bitte. Du darfst jetzt nicht die Kontrolle verlieren..."

„Oh, ich bin ruhig und ich habe auch alles unter Kontrolle. Aber ich weiß nicht, ob das so bleiben wird, wenn du mir nicht bald meine Fragen beantwortest."

„Okay... Okay, setz dich." Ich schaute ihm wütend in die Augen. Ich wollte mich nicht setzen. „Anderenfalls würde ich dir nichts erzählen. Also?"

„Na schön." Ich atmete laut hörbar aus und ließ mich auf einen Stuhl fallen. Ich war eindeutig genervt. Genervt davon, dass jeder um mich herum Geheimnisse vor mir hat.

„Und?", fragte ich unruhig auf meinem Stuhl zappelnd. Er wartete einige Sekunden, bevor er mir eine Antwort gab.

„Was dir der Entführer gesagt hatte, ist richtig. Es gab Krieg, doch ich wusste lange Zeit nicht wieso. Ich wusste nur, dass es um Lucian und dir ging. Es war schlimm. Sehr viele meiner Freunde mussten ihr Leben dafür geben. Sie haben euch beschützt..."

„Ja, so viel weiß ich schon." Ich blieb eiskalt.

„Isalie..." Er wollte seine Hand zur Beruhigung auf die meine legen, doch ich zog sie weg.

„Nein, sag mir die Wahrheit. Anders kann ich dir nicht mehr vertrauen.", entgegnete ich ihm. Er atmete tief durch und fuhr sich mit den Händen über sein Gesicht. Ich wurde ungeduldig.

„Silvan, hast du meinen Dad getötet?", fragte ich ihn erneut mit starker Stimme.

„Ja... Ja, das habe ich."

Mein Atem stockte. Ich hatte es im Gefühl, dass Brian mir die Wahrheit gesagt hatte. Aber jetzt seine Aussage bestätigt zu bekommen, schockte mich doch ein wenig. Tränen liefen mir die Wangen entlang.

„Warum? Warum hast du das getan?", schluchzte ich in seine Richtung. Er stand auf. „Nein. Bleib da, bitte."

„Okay, aber bitte höre mir zu." Ich nickte zu meinem Verständnis. „Baldwin und ich waren beste Freunde. Wir waren uns einig, dass wir unsere Rudel mit euerer Heirat vereinigen wollten, doch wir behielten es für uns. Niemand sollte davon erfahren." Er ging wieder zurück zu seinem Stuhl und stützte sich darauf ab.

„Eines Tages wurden wir angegriffen. Es kam zum Krieg. Wir waren unvorbereitet, weswegen viele Krieger starben. Ich selbst war wie in Trance. Ich kann mich kaum noch daran erinnern, wie es auf dem Schlachtfeld zuging. Es gab nur einen Moment, den ich niemals vergessen werde... Ich kann ihn noch genau vor mir sehen. Deinen Dad... Er lag verwundet im Gras. Ich rannte sofort zu ihm und hielt seine Wunden. Ich hatte so gehofft, dass seine Werwolfheilung bald einsetzten würde, doch ich kam zu spät. Das Gift, welches ihm verabreicht wurde, war schon überall in seinem Körper verteilt. Er hatte nur noch einen letzten Wunsch. Er wollte, dass ich es beende. Er wollte nicht unter starken Schmerzen sterben. Er wollte, dass ich ihn erlöse..." Seine letzten Worte waren nur noch ein Flüstern, doch ich verstand ihn klar und deutlich.

Da hatte ich es... die pure Wahrheit, die ich von ihm verlangt hatte. Sie traf mich wie ein Pfeil, der mitten durch mein Herz stieß. Zitternd stand ich von meinem Stuhl auf. Ich taumelte ein wenig, da mir schwindelig wurde.

„Es tut mir leid, dass du es so erfahren musstest...", sagte er bedrückt.

„Schon gut. Ich weiß, dass euch die ganze Situation mit mir und meiner Verwandlung ziemlich geschockt hat. Ich habe euch darum gebeten, mir nichts mehr zu verschweigen und ich würde mir auch wünschen, wenn ihr dies einhalten würdet. Bitte, ich will dazu gehören."

Wolfsmädchen - Im Schatten des WaldesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt