Kapitel 44

99 9 0
                                    

Lucian

Schweigend saß ich auf meinem Bett. Ich wusste nicht, was ich nun tun sollte. Ich war schlichtweg überfordert mit meinem Leben. Ich wollte es mir nicht eingestehen, weshalb ich alle von mir wies, die mir helfen wollten.

Isalie kam näher und setzte sich zu mir aufs Bett, wahrte aber einen gewissen Abstand.

„Hör zu, ich habe dein Verhalten satt. Ich weiß, wie es dir geht. Ich weiß, wie du dich fühlst. Ich selbst war auch in der Situation. Ich weiß, es ist hart, aber du musst für dein Rudel da sein. Sie brauchen dich..."

Sie wollte mir nur helfen. Aber ich kann das alles nicht mehr. Ohne meinen Dad war das Rudel nicht mehr das, was es mal war. Es war nicht dasselbe. Es fühlte sich komisch an, zu wissen, dass er nicht mehr da war, dass er nie mehr wieder kommen wird.

Eine Weile herrschte Schweigen. Langsam legte ich das Buch zur Seite, das ich mir als Ablenkung wahllos aus dem Bücherregal gegriffen hatte, jedoch nicht einmal geschafft hatte, eine komplette Zeile zu lesen. Spätesten beim dritten Wort stoppte ich und fiel wieder tief in meine Gedanken.

Ich stand vom Bett auf und lief ohne Ziel im Zimmer auf und ab, bis ich endlich meine Worte wieder fand und die Stille brach.

„Du weißt, wie ich mich fühle? Wirklich? Tust du das? Hast du etwa auch schon einmal miterlebt, wie ein Mensch, den du liebst, direkt vor deinen Augen getötet wird? Weißt du wirklich, wie sich das anfühlt?", gab ich mit ziemlich lauter Stimme zurück. Tränen bildeten sich in meinen Augen. Ich konnte meine Emotionen nicht mehr unterdrücken, denn ich drohte zu platzen.

„Nein, aber...", antwortete sie leise, doch ich konnte nichts anderes tun, als genervt auszuatmen.

„Dann halte dich verdammt noch mal aus der Situation raus." Ich schaute ihr ernsthaft in die Augen. Ich konnte sehen, dass sie schockiert von meiner Reaktion war, da sie mich noch nie so gesehen hatte.

Fassungslos stand sie ebenfalls auf und ging ein paar Schritte auf mich zu. Ich wollte mich schon für meine Worte entschuldigen, doch sie stoppte mich mit einer schnellen Handbewegung.

„Nein, ich werde mich ganz sicher nicht raushalten. Entweder du akzeptierst meine Hilfe oder eben nicht, aber ich werde mich so oder so nicht von dir fernhalten. Ich liebe dich, Luc, und ich werde nicht mitansehen, wie du dir dein komplettes Leben ruinierst, nur weil das Schicksal einmal gegen deinen Willen gehandelt hat...", erwiderte sie schnell, ohne auch nur einmal Luft zu holen.

„Es tut mir leid... Es tut mir leid, dass ich dich angeschrien habe.", gab ich nach einigen Sekunden voller Stille zu. „Es ist nur so, dass...", setzte ich an, doch ich konnte meinen Satz nicht zu Ende bringen. Schluchzend brach ich auf meinem Bett zusammen. Die Arme eng um meine Beine geschlungen.

Ich war am Ende meiner Kräfte. Wie sollte ich weiter machen? Wie sollte ich mein Rudel unterstützen? Wie sollte ich die Kraft und Stärke des Rudels präsentieren, wenn ich keine mehr habe? Wenn alles, was ich hatte, mit meinem Vater gestorben ist?

„Shh, alles ist okay.", versuchte mich Isalie zu beruhigen, die sich zu mir aufs Bett setzte und mich versuchte zu umarmen. Ich lächelte ein wenig, da ich es süß fand, dass sie mich mit ihren Armen nicht komplett umfassen konnte.

Ich drehte meinen Oberkörper in ihre Richtung und schaute ihr tief in die Augen. Sanft legte ich meine Hand an ihre Wange. Vorsichtig schmiegte sie sich an meine Hand und schloss ihre Augen für einen Moment.

„Ich liebe dich auch, Isi. Das habe ich schon immer getan und ich werde auch nie damit aufhören.", gestand ich ihr mit liebevollem Blick. Ein Lächeln stahl sich auf ihre Lippen bei meinen Worten.

„Sag niemals nie."

„Oh, doch. Ich meine das ernst. Du gibst mir das Gefühl, angekommen zu sein. Du gibst mir Hoffnung. Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Ich weiß, du bist die Richtige..."

Sie verkniff sich ein Lächeln und schaute verlegen auf ihre Füße. Sie biss sich auf die Lippen. Ich konnte spüren, wie Glücksgefühle durch ihren Körper schossen. Wie kleine Raketen, die überall in ihrem Körper zu explodieren schienen.

Als langersehnte Antwort legte sie ihre Lippen endlich auf meine. Ich erwiderte ihren Kuss und legte meine beiden Hände eng an ihre Wangen. Sie vertiefte ihn und kletterte vorsichtig auf meinen Schoss.

Dieser Kuss war nicht voller brennender Leidenschaft. Er war nicht voller hungriger Sehnsucht nach dem anderen. Er war voller Emotionen. Liebe. Trauer. Mitgefühl. Dieser Kuss sagte mehr als tausend Worte es hätten tun können.

Als wir uns sanft voneinander lösten, hatte ich das Gefühl, Isalie noch näher zu stehen. Es fühlte sich an, als hätten wir uns stundenlang unterhalten. Ich hatte das Gefühl, sie noch besser zu kennen.

Ich fühlte nicht nur die Emotionen und Gefühle, die sie im Moment verspürte. Ich konnte all ihre Emotionen spüren, die sie jemals gefühlt hatte und dies alles in wenigen Sekunden. Es war unbeschreiblich und ich fragte mich, ob es eine Matesache war, dass wir uns so verständigen konnten.

Isalie fuhr langsam meine Brust entlang, bis sie bei meinem Herzen stehen blieb und mir tief in die Augen schaute.

„Der Schmerz wird nie vergehen. Du lernst nur, mit ihm zu leben. Nur weil dein Dad physisch nicht mehr bei uns ist, heißt das nicht, dass er weg ist. Er lebt ihn dir weiter. In deinem Herzen. In deinen Taten, die du als Alpha ausführen wirst."

Ich wusste, dass sie recht hatte. Ich wusste es... Doch ich konnte es nicht akzeptieren. Ich war einfach nicht bereit, ihn gehen zu lassen. Ich war nicht bereit, zu akzeptieren, dass er schlichtweg nicht mehr da war. Er war nicht bei mir, er würde es nie wieder sein und das machte mir Angst.

Ich würde nie wieder mit ihm reden können. Jedenfalls nicht so, dass er mir eine Antwort geben könnte.

Was, wenn ich nicht weiterweiß? Was, wenn ich nicht weiß, was ich in manchen Situationen machen sollte? Was, wenn ich als Alpha dieses Rudels versage?

„Du wirst als Alpha nicht versagen, das hast du heute mehr als bewiesen. Du hast dein Rudel, deinen Dad verteidigt vor den Augen aller. Du bist stark. Alle wissen, dass sie sich auf dich verlassen können.", erwiderte sie wie aus dem Nichts.

„Wie...?", wollte ich völlig perplex wissen, obwohl ich die Antwort bereits kannte.

„Deine mentale Barriere ist offen. Ich konnte deine Gedanken hören.", antwortete sie, als ob es das Normalste auf der Welt wäre. „Wow, okay. Das ist wirklich komisch, das zu sagen.", bemerkte sie nun ebenfalls lachend.

„Ja, das ist wohl eine Sache, an die wir uns nun gewöhnen müssen."

„Das denke ich auch.", erwiderte sie mit tiefem Blick in meine Augen. Sie wusste nicht, was sie mit diesen Worten in mir auslöste. Spätestens jetzt entzündete sich nun in mir ein tobendes Feuerwerk. Es war ein Beweis, ein weiteres Zeichen, dass sie unsere Verbindung akzeptierte.

Natürlich wusste ich, dass es ernst war zwischen uns. Trotzdem lösten sich - selbst bei kleinen Worten oder Gesten - in mir Glücksgefühle aus.

„Du mögest heute deinen Dad verloren haben, aber auch das Rudel hat große Verluste erlitten. Sie verloren einen treuen Freund, Helfer und Alpha. Sie trauern. Genau wie du."

„Ich glaube, dass mit meinem Dad war wirklich Schicksal. Ich habe es irgendwie gefühlt. Gefühlt, dass er in diesem Kampf von uns gehen wird."

„Hast du es ihm gesagt." Sie hob ihren Kopf, welchen sie nur wenige Sekunden vorher auf meiner Brust abgelegt hatte und schaute mir fragend in die Augen.

„Nein, er hätte mir nicht geglaubt. Trotzdem habe ich mich von ihm verabschiedet..."


Danke fürs Lesen. Ich hoffe, euch hat das Kapitel gefallen. Über eure Meinung würde ich mich sehr freuen, also lasst gerne ein Kommentar oder ein Vote da. Lots of Love, Larissa <3


Wolfsmädchen - Im Schatten des WaldesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt