Kapitel 21

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Isalie

Das gestrige Training war unglaublich gewesen. Ich war so erschöpft, dass ich direkt eingeschlafen bin. Ich lag bis Mittag im Bett. Lucian hat gesagt, dass ich mich heute ausruhen sollte, um meinem Körper Erholung zu geben, doch ich konnte ihn dazu überreden, heute eine kleine Trainingseinheit zu üben.

Ich streifte gerade durch die Wälder. Ich habe zu ihm gesagt, dass ich vorher noch eine Weile allein sein wollte. Ich brauchte mal ein paar Minuten für mich. Ich musste durchatmen. Vor zwei Wochen hätte ich mir so ein Leben nicht mal im Traum vorstellen können. Und jetzt... Jetzt kommt mir immer noch alles so surreal vor.

Ich freute mich auf mein heutiges Training. Ich wusste nicht, ob es daran lag, dass ich mit Lucian trainierte oder ob ich mich einfach nur freute, ein neues Leben zu beginnen. Egal woran ich dachte, ich musste die ganze Zeit lächeln. Seit langem erfüllte mich mein Leben wieder mit Glück.

Ich schloss meine Augen und genoss die Stille. Der Wind streifte durch mein Gesicht. Er war kühl. Eine gute Abwechslung zur heißen Sonne.

Lucian und Accalia waren nicht mehr weit von mir entfernt. Ich konnte die beiden schon von weitem riechen und auch hören. Voller Euphorie wollte ich sie überraschen, da ich schon ein wenig eher da war als erwartet. Doch ich stockte, als ich ihre Worte vernahm.

„Lucian, du musst es ihr sagen. Schon bald wird sie zum Rudel gehören und sie weiter anzulügen wird eure Sache nicht besser machen. Es wird sie verletzten." Ich stellte mich auf meine Zehenspitzen, um bessere Sicht zu erlangen.

Accalia ging ein Stück auf Lucian zu, wahrte aber einen gewissen Abstand. Die beiden redeten ganz klar über mich. Ich trat einen Schritt näher, um sie noch besser zu verstehen. Sie schienen mich nicht zu bemerken, was mich erstaunte.

„Ich weiß, Lia. Für mich ist es doch auch nicht leicht." Er fasste sich angestrengt an den Kopf. Er war unruhig, das konnte ich fühlen.

„Du hast selbst gesagt, dass die Anziehung immer stärker wird. Kein Wunder, ihr beiden kommt euch ja auch immer näher."

„Ich weiß, dass ich keine Wahl habe. Ich hatte nur so gehofft, dass wir eine ganz normale Kennlernphase haben werden. Wenn sie von der Matesache erfährt, dann..." Mate? Ich dachte nach.

„Du kannst ihr nicht verheimlichen, dass ihr Seelenverwandte seid. Ihr seid füreinander bestimmt. Du kannst fühlen, was sie fühlt und das wird immer offensichtlicher. Du stellst ihre Sicherheit über deine eigene. Wenn man nicht wüsste, was euch verbindet, könnte man ziemlich schnell denken, dass du sie liebst..."

Accalias Stimme wurde etwas lauter. Lucians Stimmung hingegen wurde immer aufgewühlter. Mir stockte der Atem. Seelenverwandte? Lucian und ich waren füreinander bestimmt?

„Ja, Lia. Ich empfinde tatsächlich etwas für sie. Das macht die Sache noch schwieriger. Ich kann und will sie nicht verletzten, weil sie mir etwas bedeutet. Ich will sie nicht verlieren. Ich weiß, dass wenn sie von der Sache erfährt, dass sie mich mit anderen Augen sehen wird. Nichts wird mehr so sein, wie es jetzt ist und davor habe ich Angst. Ich habe Angst, dass sie geht, dass sie sich umentscheidet." Ich taumelte einige Schritte rückwärts. Ich achtete darauf, leise zu sein, damit sie mich nicht bemerkten.

Jetzt machte alles einen Sinn. Unsere erste Begegnung, die bei mir einen bleibenden Eindruck hinterlassen hatte. Seitdem hatte ich das Gefühl, dass er immer bei mir war. Ich konnte an niemand anderen mehr denken.

Ich stützte mich auf einem großen Stein ab, um nicht zu fallen. Das kann doch nicht wahr sein... Zuerst belog mich meine Mutter und jetzt auch noch die Personen, von denen ich dachte, dass ich ihnen vertrauen könnte.

Ich merkte abermals, dass meine Hände begannen zu kribbeln, doch dafür hatte ich jetzt überhaupt keine Nerven. Ich ignorierte es und rannte davon.

Was sollte ich jetzt bloß tun? Nach dem, was ich grade erfahren hatte, konnte ich unmöglich zu Lucian zurück. Ich konnte mich daran erinnern, dass ich auf dem Dachboden bei mir zu Hause irgendetwas zum Thema Mates gelesen hatte. Vielleicht könnte mir meine Mom weiterhelfen. Ich musste also sofort nach Hause. Ich durfte keine Zeit verlieren.

Ich kannte mich in den Wäldern nicht gut aus, trotzdem fand ich ohne große Probleme nach Hause. Werwölfe haben nun mal einen guten Orientierungssinn und dafür war ich im Moment ziemlich dankbar.


Völlig außer Atem stürmte ich zur Eingangstür. Bevor ich klopfen konnte, öffnete meine Mom diese bereits. Sie schien mich schon zu erwarten.

„Hey Schatz, ist alles okay? Was ist passiert?" Sie war erschrocken, als sie mich sah.

„Ich... ich weiß nicht. Ich brauche dringend deine Hilfe. Lucian, er..." Weiter kam ich nicht. Ich stand kurz vor einem Nervenzusammenbruch. Meine Mom fing mich auf, als sie bemerkte, dass ich zu fallen schien.

Ich versuchte, mich zu beruhigen. Doch alles, was ich brauchte, war Nähe. Ich brauchte meine Mom. Als sie sah, dass ich den Tränen nicht fern war, nahm sie mich in den Arm. Sie hielt mich. Sehr lange... Das Nächste, woran ich mich erinnern konnte, ist, dass wir gemeinsam auf der Couch saßen. Ich mit meinem Kopf an ihrer Schulter gelehnt.

„Also Isi, was ist passiert?" Sie strich mir eine Strähne aus dem Gesicht.

„Ich wollte gerade zum Training, als ich ein Gespräch zwischen Lucian und Accalia bemerkte. Ich blieb stehen, um die beiden zu belauschen." Meine Stimme war leise. Lediglich ein kleiner Hauch. Ich fuhr fort. „Sie redeten über mich. Accalia sagte zu Lucian, dass wir Seelenverwandte seien, dass wir beide füreinander bestimmt seien... Er hat es mir verschwiegen, Mom..."

„Ist schon okay, Schatz..." Sie versuchte, mich zu beruhigen.

„Nein, Mom." Ich hob meinen Kopf, um ihr in die Augen zu schauen. „Es ist nicht okay. Es ist eine Sache, die mich ebenfalls betrifft, deswegen sollte man so etwas nicht verheimlichen... Accalia benutzte das Wort Ma... M... Irgendetwas mit M..." Ich versuchte, angestrengt zu überlegen, doch das blöde Wort wollte mir einfach nicht einfallen.

„Mates? Hat sie das Wort Mates gesagt?" Meine Mom schreckte hoch und war plötzlich nicht mehr so tiefenentspannt und ausgeglichen.

„Ja, genau dieses Wort hat sie benutzt. Auf dem Dachboden habe ich ein Foto gesehen, was ebenfalls mit diesem Wort beschriftet war. Ich dachte, dass du mir eventuell weiterhelfen könntest..." Eine Weile herrschte Stille im Raum.

„Ja Isalie. Dein Vater und ich waren Seelenverwandte, Mates..."

„Nun ja, das weiß ich, aber was macht dieses Wort so besonders abgesehen von der Bedeutung Seelenverwandte und füreinander bestimmt?"

„Isi, mit diesem Wort ist nicht zu spaßen. Es beschreibt eine ernsthafte Verbindung zwischen zwei Werwölfen. Die beiden sind nicht nur füreinander bestimmt, sie sind eine Seele. Sie verbindet etwas ganz Besonderes. Durch ein inneres Band können sie genau fühlen, was der jeweils andere fühlt. Die Verbindung ist heilig und ziemlich selten."

Ich nahm die Worte auf, die meine Mom sagte, während sie fortfuhr. „In den meisten Rudeln werden die Mates gezwungen, sich zu vereinigen. Sie müssen auf die Verbindung eingehen und sie einhalten. Nur wenige von ihnen haben das Glück, selbst zu entscheiden..."

„Wow... also wurde meine gesamte Zukunft bereits geplant?" Ich stand vom Sofa auf und tigerte im Zimmer auf und ab. Mein Kopf drohte zu platzen. Mein Handy klingelte. Ich schaute nach. Lucian. War ja klar. Er machte sich bestimmt Sorgen, dass ich noch nicht zum Training erschienen bin. Ich konnte nicht mit ihm reden. Was sollte ich jetzt nur tun? Ihn konfrontieren oder abwarten, was geschieht?

Doch ich kann nicht warten. Ich muss ihm sagen, was ich weiß. Wenigstens sollte einer von uns dies tun, bevor es zu spät ist.


Danke fürs Lesen. Ich hoffe, euch hat das Kapitel gefallen. Über eure Meinung würde ich mich sehr freuen, also lasst gerne ein Kommentar oder ein Vote da. Lots of Love, Larissa <3

Wolfsmädchen - Im Schatten des WaldesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt