Kapitel 22

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Isalie

Ich konnte nicht mehr warten. Ich musste es ihm sagen und zwar gleich jetzt. Schon seit einigen Stunden stand ich am Rand des Waldes in der Nähe seines Hauses. Ich wollte zu ihm, aber irgendetwas hinderte mich daran.

Lucian rief mich in den letzten Stunden mindestens zehn Mal an. Er machte sich echt schwere Sorgen um mich und ich hatte Schuldgefühle, wobei eigentlich er derjenige sein sollte, der Schuldgefühle hat. Er hatte mich belogen und das schon ziemlich lange.

Wir beide kamen uns näher. Wir hatten uns geküsst und trotzdem verheimlichte er mir, dass wir Seelenverwandte sind. Ich war so wütend auf ihn. Ich war aufgebracht und ich wusste, dass ich mich erstmal beruhigen sollte, bevor ich zu ihm gehen konnte.

Ich kühlte mein Gesicht und meine Arme an einem nah gelegenen Bach. Das Brennen auf meiner Haut war unerträglich. Meine Situation wurde immer schlimmer, doch daran konnte ich jetzt nicht denken. Nach einigen Minuten entspannte sich mein Körper wieder und ich fasste den Entschluss, die Sache endlich mit Lucian zu klären.

Als ich gerade im Stande war, die Veranda zu betreten, öffnete Lucian bereits die Tür. Er musste gefühlt haben, dass ich da war.

„Hey, wo warst du? Ich hatte mir echt Sorgen gemacht." Er sah meinen ernsten Gesichtsausdruck und er witterte die Spannung zwischen uns. „Isalie, ist alles okay?" Ich wich einen Schritt zurück.

„Nein Lucian, nichts ist okay. Du belügst mich? Ernsthaft? Nach all dem, was wir durchgemacht haben, habe ich gedacht, dass das, was wir haben, wahre Freundschaft ist. Ich dachte, wir hätten etwas Besonderes. Doch du belügst mich... Du kannst mir einfach so in mein Gesicht sehen und mich anlügen?"

Er war verwirrt. Er ging einen Schritt auf mich zu. Als er merkte, dass ich ihm auswich, blieb er stehen und schaute mich fragend an. „Was meinst du, Isi?"

„Was ich meine? Das fragst du noch? Ich rede davon, dass du mir verheimlichst, dass wir Mates sind. Wir sind Seelenverwandte, Lucian... Und du verheimlichst mir diese wichtige Information?" Seine Augen weiteten sich. Ich glaube, dass er sich so unser Gespräch über die Seelenverwandtschaft nicht vorgestellt hatte.

„Woher weißt du das? Ich..."

„Heute Morgen, als ich zum Training gehen wollte, da habe ich das Gespräch zwischen dir und Accalia mit angehört. Ich wollte euch nicht unterbrechen und habe die Situation abgewartet. Mir wurde sehr schnell bewusst, dass ihr unteranderem auch über mich redet, also habe ich euch belauscht..."

„Isalie, es tut mir so leid. Ich wollte dich nicht anlügen. Ich wollte dich nur schützen." Ich wusste, dass ich ihn mit meinen Worten verletzte, aber ich blieb standhaft und fuhr fort.

„Vor was? Meiner Zukunft, die ich anscheinend nicht mal selbst bestimmen kann? Ich habe mich gegen die Tabletten entschieden, weil ich dachte, dass ich so Ich selbst sein kann. Ich wollte nicht mehr, dass irgendjemand über mein Leben bestimmt. Ich wollte selbst entscheiden, wie es weitergeht. Ich habe mich seit langem wieder frei gefühlt und du nimmst mir dieses Gefühl... Wie konntest du mich belügen? Ich dachte, wir seien Freunde..."

Seine Stimme zitterte, als er mir antwortete. „Isalie, bitte beruhige dich. Wir sind Freunde. Ich will, dass du in Sicherheit bist." Er wiederholte sich und das hatte ich so langsam satt.

„Freunde belügen sich nicht. Zumindest dachte ich das... Ich dachte, du wärst anders als die anderen. Ich dachte, du wärst klüger." Ich war enttäuscht. Enttäuscht von ihm. Enttäuscht von unserer Freundschaft und unseren gemeinsamen Zielen. War jetzt alles vorbei oder hatten wir noch eine Chance? Ich wusste nicht, ob ich mir noch Hoffnung machen sollte.

„Komm mit rein. Wir können die ganze Sache auch drinnen klären." Er wandte sich schon zum Gehen, doch er stockte.

„Nein, da gibt's nichts mehr zu klären. Ich kann dir nicht mehr vertrauen. Du hast mich hintergangen und damit hast du mich verloren." Er war sprachlos. Er musste tief durchatmen, bevor er auf das Gesagte antworten konnte.

„Isalie, bitte tu mir das nicht an. Du weißt, wie ich fühle." Wir beide standen den Tränen nahe.

„Lucian, ich mag dich wirklich sehr. Du bedeutest mir unheimlich viel und ich weiß, dass du das Gleiche fühlst wie ich. Bei dir habe ich nicht nachgedacht, sondern sofort angefangen zu fühlen. Ich kann dich verstehen. Wirklich... Du wolltest mich schützen, aber versetz dich mal in meine Lage. Von jetzt auf gleich wandelt sich mein komplettes Leben. Du kannst mir nicht erzählen, dass meine Zukunft schon besiegelt ist. Ich weiß langsam echt nicht mehr, was ich glauben soll. Ich dreh langsam echt durch." Ich fasste mir atemlos an meine Stirn.

„Isalie, ich kann dir helfen. Ich werde dir alles in Ruhe erklären..." Er hatte Hoffnung, die ich ihm leider nehmen musste.

„Bitte, versuch nicht mich umzustimmen. Ich brauche erstmal Abstand. Abstand von der ganzen Sache. Abstand von dir und dem, was zwischen uns ist..." Bei dem letzten Satz schaute ich ihm tief in die Augen. Ich sah, wie sein Herz in tausend Stücke zerbrach. Ich spürte seinen Schmerz in meinem Inneren. Er war unerträglich intensiv, doch ich musste stark bleiben.

„Isalie..." Seine Worte waren nicht mehr als ein Hauch.

„Bitte folge mir nicht, wenn ich gehe." Tränen rollten meine Wange hinunter. Ich versuchte, meine Zerbrechlichkeit zu verstecken.

„Wirst du wiederkommen?" Trostlosigkeit spiegelte sich in seinen traurigen Augen wider. Ich wandte mich von ihm ab. Ich konnte ihn nicht mehr ansehen. Alles in mir schrie vor Schmerz. Jede einzelne Faser meines Körpers und ich wusste, er fühlte das Gleiche. Doch die Entscheidung, die ich traf, war die Richtige für mich. Jedenfalls im Moment...

„Ich weiß es nicht..." So schwer es auch war, ich musste ihn verlassen. Zumindest für eine Weile. Ich musste von hier weg. So weit wie ich nur konnte.

Ohne weiter nachzudenken, rannte ich in den dunklen Wald. Ich wusste, dass Lucian mich weiterhin anschaute. Ich konnte seinen Blick auf mir spüren. Ich merkte, dass es anfing zu regnen. Ein Glück, dass man so meinen Geruch schlechter verfolgen konnte. Ich hatte ihn zwar gebeten, mich nicht zu suchen, aber ich wusste mit Sicherheit, dass er dies tun würde, egal was ich von ihm verlangte.


Danke fürs Lesen. Ich hoffe, euch hat das Kapitel gefallen. Über eure Meinung würde ich mich sehr freuen, also lasst gerne ein Kommentar oder ein Vote da. Lots of Love, Larissa <3

Wolfsmädchen - Im Schatten des WaldesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt