18. Kapitel: Die Ruhe vor dem Sturm

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Mittlerweile hatte die Nacht ihre wohl tiefste, jedoch nicht ihre dunkelste Stunde erreicht. Der Mond schien silberfarben am Himmel umgeben von den verschiedensten Sternbildern des Spätsommers, während eine warme Brise über das Land fegte und die Blätter an ihren Bäumen rascheln ließ. Vorsichtig stapfte eine in dunkle Stoffe gehüllte Gestalt – eine Fackel in der rechten – über das weiche Gras, das bereits an einigen Stellen mit den ersten herabgefallenen Blättern übersäht war. Seine Schuhe gaben dabei nur sehr leise Geräusche von sich, sodass der Mann, der – ebenfalls eine Fackel tragend – an einer alten Eiche lehnte überrascht aufschaute, als die Person die Lichtung betrat. Er atmete beruhigt aus, als er den Fremden als einen seiner Gefährten wiedererkannte und stieß sich in einer ungezwungenen Bewegung vom Baum ab.

„Wo kommst du denn her? Ivar richtig?" Er meinte es eher im Scherz, denn er war noch nicht lange in die Gruppe involviert, sodass er noch immer versuchte, sich unter all seinen Genossen Sympathie zu erarbeiten. Doch den Mann vor ihm traf die bloße Anwesenheit des anderen härter als er es für möglich gehalten hätte, sodass dieser fast schon in seiner Bewegung erstarrte, seine Überraschung und den Schock jedoch in einem überzeugend ernsten Ausdruck untergrub. Langsam inspizierte er den anderen, dessen Gesicht ähnlich wie sein eigenes unter einer großen und tief hinabgezogenen Kapuze verdeckt wurde und den Ankömmling auf seine ganz eigene Art und Weise beruhigte. Als er bemerkte, dass der andere eine Antwort erwartete, nickte er, während er versuchte sich an die Stimme Ivars, den er nun zu spielen ersuchte, zu erinnern. Denn dieser Mann, gekleidet in die Stoffe eines anderen war niemand Geringeres als Estel. Er konnte sich entsinnen, dass die Stimme des Mannes seiner eigenen Stimme gar nicht Mal so unähnlich war – etwas tiefer vielleicht – sodass er sich einmal räusperte, bevor er mit verstellter Stimme sprach.

„Ja, der bin ich. Und wer bist du?" Zuerst erschien ihm die Frage ziemlich schlau, immerhin war dies der erste Mann des Lagers, den er je traf. Zumindest solange, bis ihm gewahr wurde, dass Ivar vermutlich jeden Mann im Lager kannte und wenn nicht jeden, dann doch wohl die meisten und bei seinem Glück vermutlich auch eben diesen, der da vor ihm stand. Um seines Glückes Willen reagierte der Andere jedoch nicht im Geringsten verwundert und sprach rundheraus. „Heinrich, deine Ablösung. Du sollst aber noch ma' zum Boss in die Höhle kommen. Und jetzt sachs' endlich. Was war'n los das de in den Wald gegangen bist? Nich das da glech noch wat rausgesprungen kommt."

„Während meiner Schicht hörte ich ein merkwürdiges Geräusch aus dem Busch da drüben..." Er deutete wahllos auf einen Busch, der nicht im Geringsten von Bedeutung war. „... da bin ich ihm gefolgt, aber es war nur ein Reh." Log er, erleichtert, dass die Geschichte wenigstens für ihn eigentlich recht logisch klang. Der andere nickte und schien zuversichtlich, auf seiner Wache nicht gleich mit Problemen und Auffälligkeiten überhäuft zu werden, sodass er dem anderen kameradschaftlich auf die Schulter fasste. „Guat, dann geh ma' lieber, nich', dass da Boss noch sauer wird."

Estel nickte und trat durch den Efeuschleier, der sich als Tarnung vor den Durchgang gelegt hatte und diesen nun wahrscheinlich schon seit Jahrtausenden vor bösen Blicken schützte. Der Gang selbst war recht breit, denn zwei Personen hätten wohl leicht nebeneinander herlaufen können ohne sich in die Quere zu kommen. Lang war er jedoch nicht, denn kaum hatte er zehn Schritte getan, konnte er auch schon wieder hinausschauen. So wie Legolas gesagt hatte, handelte es sich hierbei um ein verstecktes Tal. Eine hohe Gebirgskette, die an den Hängen steil abfiel, umzingelte einen grünen Ring, in dem sich einige Bäume, Büsche und Blumen, als auch einen kleinen Teich, der einem schönen lauthals plätschernden Wasserfall entsprang. Aber auch die Spuren der Räuber waren nicht zu übersehen, waren doch an einigen Stellen Zelte und kleine Lagerfeuer errichtet. Er ließ sein Blick weiter über das in Dunkelheit gehüllte Lager streifen, immer auf der Suche nach Feinden – oder, wie er sie fortan wohl nennen müsste, seine Gefährten. Es war dunkelste Nacht und der Menschenleere nach schliefen bis auf die Torwächter alle ruhig und friedlich in ihren Zelten. Der Waldläufer suchte die Felswand nach einem Vorsprung, einer Einkerbung oder ähnlichem ab, um die genannte Höhle auszumachen, doch es dauert nicht lange, bis er, ganz in der Nähe des größten Zeltes einen beleuchteten Eingang fad. Schnell eilte er darauf zu und überprüfte noch einmal seine Kapuze, dann stürzte er sich in die Dunkelheit. Die Fackel in seiner Hand beleuchtete eine Art Höhlenraum, der dem Durchgang ins Tal nicht unähnlich war, wieder waren die Wände mit Efeu bedeckt und wieder mündete er in einen weiteren Raum, der jedoch in zwei Richtungen führte und somit eine Art Kreuzung bildete. Der Weg nach links war spärlich beleuchtet und führte in eine weitere Höhle, die in der Ferne in einen weiteren Raum zu münden schien. Er meinte dort Kisten, Säcke und etwas seltsam Undefinierbares zu erkennen. Der Weg nach rechts war dem linken nicht unähnlich, nur das er reich beleuchtet und kürzer bis zu dem Höhlenraum schien. Er war auch nicht so vollgepackt mit Kisten und Säcken, sondern bis auf die schattenhafte Silhouette eines einzigen Mannes vollkommen leer.

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