Kapitel 6:
Gracie
Es ist schon spät. Schon fast Mitternacht. Es ist Vollmond und die Sterne funkeln am wolkenfreien Nachthimmel. Eigentlich sollte ich schon längst bei Lea zuhause sein und gemütlich auf der Couch liegen. Doch was mach ich stattdessen? Genau. Überstunden. Wie gefühlt jeden Tag. Heute muss ich sogar eine Doppelschicht schieben. Wir sind total unterbesetzt, aber unser geiziger Chef will einfach kein weiteren Kellner einstellen. Aktuell sind es nur drei Stück. Kate, ich und ein junger Mann namens Reggie Fox. Er ist circa 20 und charmant. Es macht Spaß mit ihm zu arbeiten. Er ist einer der wenigen, die mich bei guter Laune halten. Und da das Restaurant immer gut besucht wird, müssen wir drei oft länger arbeiten und unserem Chef juckt es nicht einmal, wie es uns dabei geht. Das einzige was ihm interessiert ist sein Geld. Er arbeitet ja noch nicht mal. Sondern sitzt einfach nur gammelnd in seinem Büro. Wie mich das jeden Tag aufs neue ankotzt. Und ich kann noch nicht mal kündigen, weil ich an das verdammte Geld angewiesen bin, aber Lea meinte, wenn sie mit ihrem Restaurant fertig ist, kann ich dort unter viel besseren Bedingungen arbeiten. Ich hoffe das ist bald. Denn ich halte es kaum noch aus.
„Das macht dann 23,95€ bitte“, sag ich zu einer jungen Dame und reiche ihr die Rechnung. Ich hab zwar ihren Namen vergessen, aber ich kenne sie. Die Frau ist jede Woche mindestens einmal hier und bestellt immer das gleiche. Manchmal unterhalten wir uns. Sie gibt gutes Trinkgeld. „Sie können den Rest behalten Gracie“, und reicht mir 25€. „Danke“, kann ich nur sagen, lächel und stecke die 1,05€ Trinkgeld beiseite. „Warum arbeiten sie denn noch um die Zeit? Und sie können mich Amber nennen“, fragt sie mich und trinkt ihren Drink aus. Genau Amber war ihr Name. „Hach Amber. Sie kennen das doch bestimmt. Ab und zu muss man auch mal Überstunden machen“, erkläre ich und seufze. „Ab und zu? Bei allem Respekt Gracie, aber du machst gefühlt jeden Tag Überstunden und ich weiß, dass du auch des öfteren zwei Schichten machst.“ Meine Augen weiten sich und ich werde ein bisschen panisch. „W...Woher wissen sie das?“, will ich wissen und schaue sie an. „Ich bin nicht dumm Liebes. Ich bin nicht die einzige die hier oft essen geht. Viele meiner Kollegen essen hier ebenfalls. Und das was sie hier leisten müssen, geht gar nicht. Das ist illegal. Wissen sie das?“ Verdammt wenn mein Chef das hier mitbekommt. Dann bin ich am Arsch.
„Entschuldigen sie, aber ich weiß nicht wovon sie reden. Und ich muss sie leider bitte zu gehen. Wir schließen gleich“, versuche ich so selbstbewusst und ruhig wie möglich rüber zu kommen. Ob sie mir das abkauft? Ich hoffe. „Ich kann ihnen helfen Gracie.“ Ich atme tief durch. „Bei allem Respekt Miss, aber ich brauche ihre Hilfe nicht!“ Und im selben Moment kommt zum Glück Kate aus dem Restaurant, auf uns zu gelaufen. „Gracie? Alles gut? Oder gibt es ein Problem?“, möchte Kate wissen und stellt sich mit verschränkten Armen vor uns hin. „Ja allerdings. Diese Frau belästigt mich. Ich hab sie schon aufgefordert zu gehen, aber das versteht sie ja leider nicht“, erkläre ich ihr und hoffe, dass sie mir helfen kann. „Amber ich möchte das sie jetzt gehen. Sie haben meine Kollegin gehört. Ich mache von meinem Hausrecht zu nutze und verweise sie von unserem Restaurant. Sie haben ab sofort Hausverbot“, kommt es mit ernster Stimme aus ihr heraus. Genauso geschockt wie ich, schaut auch Amber, Kate an. „Wenn sie es sich doch anders überlegen, rufen sie mich an Gracie. Ich bin jeder Zeit für sie da.“ Die Frau in ihrem Mantel steht auf, legt ihre Visitenkarte auf den Tisch, nimmt ihre Handtasche und geht. Schnell schnappe ich die Karte und befördere sie ohne darauf zu schauen in meine Hosentasche. Erleichtert atme ich aus.
„Gracie, was wollte die Frau von dir?“, spricht mich Kate darauf an und schaut mich mit leicht besorgter Miene an. „Ach nichts“, antworte ich bloß und wische die Tische ab. „Ich merk das doch. Du kannst es mir erzählen. Ich bin deine beste Freundin.“ Sie hat ja recht. Ich will es auch nicht die ganze Zeit in mich hinein fressen. Sowas ist mir schon mal passiert. Ich drehe mich um, lehne mich an den Tisch und schaue sie an. „E...Es ging um meine Arbeit hier. Amber, so hieß die Frau von eben hat irgendwie von meinen, nicht geraden tollen Arbeitsbedingungen mitbekommen. Sie hat mir ihre Hilfe angeboten, aber ich hab sie sofort abgelehnt.“ „Warum hast du sie denn abgelehnt?“, fragt sie mich und legt eine Hand auf meine Schulter. „I...Ich hab einfach zu große Angst. Tut mir leid...“, gebe ich zu und schaue auf den Boden. „Och Maus. Du musst dich für nichts entschuldigen. Ich kann deine Angst zu 100 Prozent verstehen. Mir geht es nicht anders. Ich hab doch auch meine Ängste., aber weißt du was das wichtigste bei der ganzen Sache ist?“ „Nein“, sag ich und schüttel den Kopf. „Wir haben uns Gracie. Solange wir zusammen halten, schaffen wir alles.“ Ich nicke. „Gemeinsam sind wir stark.“ „Genau das wollte ich hören.“ Sie zieht mich in eine Umarmung und drückt mich fest.
„Ich mach jetzt Feierabend Gracie. Schließt du dann noch ab und so?“ „Klar. Kann ich machen. Bis morgen Kate.“ Zur Verabschiedung umarmen wir uns noch mal und ich bekomme von ihr einen Kuss auf meine Wange, was mich etwas rot werden lässt. Es braucht nicht lange, bis ich alle Stühle hinein gestellt habe. Den Haupteingang verschließe ich schon mal. Ich benutze dann einfach den Hinterausgang. Ein Glück ist unser Chef nicht mehr da, ansonsten würde ich mich sofort unwohl fühlen. Ich mache die Lichter aus und gehe ein bisschen Gedankenversunken zu den Umkleiden. Dort schließe ich meinen Spind mit der Nummer 7 auf und fange an mich umzuziehen. Ich lasse mir Zeit, da es ja eh schon so spät ist und mache Knopf für Knopf meine weiße Bluse auf. Langsam kommt mein schwarzer Spitzen BH zum Vorschein. Ich nehme mir den Kleiderbügel, hänge die Bluse ordentlich in meinem Spind auf und mache mit meiner Hose weiter. Mir gefällt meine Figur aktuell wieder echt gut. Und jeden Sonntag treffen Kate und ich uns und machen zusammen Sport. Und auch Lea möchte nächstes Mal mitmachen, was mich sehr freut.
Doch plötzlich höre ich ein Geräusch. „Hallo? Ist hier wer?“, rufe ich leicht panisch und drehe mich langsam um. Ich erstarre fast, als ich hinter mir meinen Chef sehe. Er steht da, als wäre es etwas ganz normales, einer jungen Frau beim umziehen anzugaffen. „Was machen sie hier?!“, will ich sofort wissen und bedecke meinen halbnackte Körper mit meinen Armen. „Das gleiche könnte ich sie auch fragen Gracie.“ „Ich mache Feierabend und wollte mich gerade umziehen. Bis sie plötzlich kamen.“ „Achso. Ich hab noch Licht brennen sehen und wollte nachschauen. Es hätte ja auch ein Einbrecher sein können“, erklärt er, aber das Kauf ich ihm nicht ab. Oh Gott. Hat er getrunken? Ich rieche seine Alkoholfahne bis hier her. „Und wie sie sehen ist alles in Ordnung. Also würden sie bitte so freundlich sein und die Umkleide verlassen. Ich möchte mich gerne fertig umziehen“, bitte ich ihn so freundlich wie es gerade geht. „Sie sehen gut aus Gracie“, höre ich ihn sagen. Das hat er nicht gerade gesagt? Uff. Angeekelt drehe ich mich einfach wortlos um.
Ich mache meinen Pferdeschwanz auf und lasse meine Haare über meine Schulter fallen. Die leichten Locken gefallen mir, aber anscheinend nicht nur mich. „Sie sind ja immer noch hier“, sag ich zu ihm und verdrehe die Augen. „Warum so unfreundlich?“, fragt er und ich merke, wie er einen großen Schritt auf mich zu macht. Sofort spannt sich mein Körper an. „Weil ich mich belästigt fühle von ihnen!“, sag ich zu ihm klar und deutlich. „Ach Quatsch“, antwortet er und berührt mich plötzlich an meinem Rücken. „Fassen sie mich gefälligst nicht an!“ Ich drehe mich schnell um und treffe ihn mit meiner linken Hand an seiner Wange. Er verzieht nur leicht sein Gesicht, aber bleibt weiter standhaft vor mir stehen. Mit seiner Größe und Körperbau schüchtert mein Chef mich schon ein bisschen ein. Ich hoffe einfach, dass er jetzt endlich geht. Ich will einfach nur nach Hause.
„Was sollte das denn gerade?“, will er wissen und hält mich plötzlich am Handgelenk fest. „Lassen sie mich los“, versuche ich mich zu wehren, aber er lässt den Griff nicht locker. „Anscheinend muss ich dein Gehalt kürzen, nach der Aktion gerade.“ Ist das sein ernst? „D...Das können sie nicht machen“, sag ich und schaue ihn flehend an. „Und ob ich das kann. Und ich kann noch vieles mehr.“ Ohne auch nur mit der Wimper zu zucken lässt er mich los, holt aus und schlägt mich. „Ahhhh“, schreie ich auf und gehe zu Boden, wo ich mir die Wange halte, wo noch eben seine Hand war. Eine Träne läuft meine Wange hinunter und ich versuche, mich wieder aufzurappeln. Doch kaum stehe ich wieder auf zwei Beinen, packt er mich und drückt mich gegen die anderen Spinde. „Bitte tun sie das nicht.“ Jetzt fange ich auch noch an zu zittern. Mein ganzer Körper fängt an zu zittern. Ich will hier weg. Warum ist Kate nicht geblieben? „Warum soll ich das nicht machen?“, will er wissen und schiebt mit seinen widerlichen Fingern meinen BH Träger runter. Seine Alkoholfahne bringt mich dazu weg zuschauen.
„W...Weil ich das Geld brauche“, kommt es leise, kaum hörbar aus mir heraus. Was passiert hier gerade? „Ich hab sie nicht verstanden Gracie. Sie müssen lauter reden“, sagt er und fährt mit seiner Hand ein Stück nach unten. Nein bitte nicht. „Weil ich das Geld brauche.“ Auf seinen Gesicht breitet sich ein Grinsen aus, mit dem er mich anschaut. Wie kann ein Mensch nur sowas tun? Und das mit seinen Gewissen vereinbaren. Und warum muss das ausgerechnet mir passieren? „Das bekommen wir schon hin kleines“, meint er zu mir und seine Hand wandert zwischen meine Beine. „Lassen sie das. Ich will das nicht“, protestiere ich, doch er hält mich nur noch fester. „Ich kann dir gerne etwas mehr Geld geben. Du musst mir nur ein paar kleine Gefallen tun“, und sehe, wie er den Gürtel seiner Hose öffnet. „Nur über meine Leiche!“
Hätte ich gewusst was jetzt kommt, hätte ich vielleicht anders reagiert und nach Hilfe geschrien oder so. „Das lässt sich ganz schnell ändern.“ Kaum hat er seinen Satz beendet, spüre ich erneut seine Hand an meiner Wange, nur diesmal doppelt so schmerzhaft. Wieder sacke ich zusammen. Doch statt mich einfach in Ruhe zu lassen, macht er weiter. Er packt mich an meinen Haaren und zieht mich hoch. Dann drückt er mich wieder an die Spindwand, um dann weiter zu machen. Ich möchte was sagen, ihn anschreien, er solle mich los lassen oder um Hilfe rufen, aber ich kann nicht. Ich will, aber es geht einfach nicht. Mein Mund ist wie zugeklebt. Es kommen einfach keine Wörter über meine Lippen. Das einzige was aus mir herauskommt, sind die Tränen. Die Tränen des Schmerzes, die gerade mein einziger Begleiter sind.
Das schlimmste an der ganzen Sache hier ist, dass ich alles ganz genau mitbekomme. Jeden Atemzug, jeder Blickkontakt und jede verdammte Berührung. Nur das ich nichts sagen kann. Ich lasse es einfach über mich ergehen und hoffe, dass es schnell vorbei ist. Ich fühle mich so schwach und hilflos. Mein Chef reißt mir meinen BH, gefolgt von meinem Slip vom Leib. Auch jetzt will ich ihn anschreien, mich wehren und ihn meine Faust ins Gesicht schlagen, aber auch das kann ich nicht. Immer wieder schlägt er auf mich ein. Mal in mein Bauch, mal die Wange oder jetzt gerade meine Nase. Meine Lippen schmecken Blut. Na super. Und dann wird es noch schlimmer. Seine Hände packen mich am Po, heben mich hoch, sodass er fest in mich eindringen kann. „Ahhhhhh“, schreie ich laut auf. Was aber auch das einzige ist, was ich hervorbringen kann. Und dann schaltet sich alle ab. Mir wird schwarz vor Augen. Ich ringe nach Luft und werde ohnmächtig.
„W...Was?“, ist das erste was mir über die Lippen kommt, als ich langsam wieder meine Augen öffne. „Hier. Für mehr hast du es leider nicht gebracht“, höre ich die Stimme meines Chefs und bekomme 200€ hingeworfen. Ich sag nichts, sondern bleibe am Boden liegen. Auch von ihm kommt nichts mehr. Seine Schritte werden immer leiser und dann geht plötzlich das Licht aus. Mein ganzer Körper tut weh. Überall verspüre ich Schmerz. Ist es jetzt endlich vorbei? Ich kann mich noch an alles erinnern, bis ich bewusstlos wurde. Ich schaue mich um, sofern die Schmerzen es zulassen. Mühsam komme ich an mein Handy, entsperre es und gehe auf den Chat mit Lea. Meine Finger drücken auf das Audiosymbol. „H...Hilfe“, kann ich nur sagen und werde binnen weniger Sekunden wieder bewusstlos.
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Nur die Vergangenheit kennt die Wahrheit 4
Teen FictionElijah ist erschüttert. Noch vor wenigen Stunden hat er erfahren, dass sein Schulfreund Joshua kaltblütig ermordet wurde. Doch wer war es? Zusammen mit seinen Freunden reißt er zurück nach Deutschland, wo ihm der Abschlussball bevor steht. Nur was m...