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Hunter

"Fragen Sie."

"Darf ich in Ihrer Garage schlafen?"

Sie sah ihn mit großen Augen an. Ihre Iriden funkelten im Licht der Deckenleuchte und Hunter fragte sich, wie sie wohl bei strahlendem Sonnenschein draußen auf dem Feld beim See aussehen würde. Aus der Nähe. Wenn man eine Hand auf ihre Wange legte und ihr Gesicht zu sich heranzog um ihre zarten Lippen zu -

"In der Garage?", fragte sie ungläubig. Ihre Stimme überschlug sich beinahe.

"Ich gehe davon aus, dass Sie den Zugang zum Haus von Innen verriegeln können." Er hatte vom Küchentisch aus die Tür zu dem obligarischen Hauswirtschaftsraum, in dem sich vermutlich weitere elektrische Geräte und der Zugang zur Garage befanden, die er vom Driveway aus gesehen hatte. Da hier das eigentliche Haus aufhörte und mit der Garage das Draußen begann, sollte die Tür seiner Empfindung nach über ein vernünftiges Schloss verfügen. Er hoffte, dass Kleinstädter dies ebenfalls als notwendig empfanden.

"Durchaus. Aber warum wollen Sie ausgerechnet in der Garage schlafen, wenn Sie diverse freie Sofas im Wohn- und Spielzimmer zur Auswahl haben?" Aus zusammen gekniffen Augen sah sie ihn an.

"Sie werden mir nicht erzählen, dass Sie einen Fremden in Ihrem Haus schlafen lassen würden."

Sie lächelte. "Ich habe diesen Fremden bereits zum Kaffee hereingebeten und er hat sich tadellos verhalten. Ich werde ihn also zum Abendessen einladen und danach fragen, auf welcher Couch er schlafen möchte."

"Nein."

"Die Werkstatt ist nicht beheizt", fuhr sie unbeirrt fort. "Außerdem werden unsere Fellnasen und diverse Streuner dort Unterschlupf suchen. Ich glaube kaum, dass Sie mit nassen Hunden, Katzen und allerlei Gesindel, das Unterschlupf vor dem Sturm sucht, kuscheln möchten."

Sie meinte ja wohl hoffentlich nicht, dass sie irgendwelche Obdachlose oder ganz Fremde, so wie ihn, dort übernachten ließ. Wobei sie dann dann sicherlich ein anderen Wort genutzt hätte. Oder?

"Gesindel?", fragte er sicherheitshalber nach.

Sie zuckte mit den Schultern. "Erst letzte Woche flitzte ein Viech durch die Garage, das ich nicht kannte. Ein Opossum vielleicht."

"Ein Opossum." Er hob eine Augenbraue.

"Vielleicht war es auch nur eine riesige Ratte. Die Hunde hatten jedenfalls Respekt."

"Sie meinen den schwarzen Hund, der so alt ist, dass er nur noch humpelt, und den jungen weißen, der alles was sich bewegt als Spielzeug betrachtet?"

"Genau diese beiden. Vegas und Diesel. Sie sind beide treuherzig, aber glauben Sie mir eins: nasses Fell stinkt bestialisch. Das Sofa ist ihre beste Wahl."

Unentschlossen sah er zwischen ihr und der Tür zum Hauswirtschaftsraum hin und her.

"Kommt gar nicht in Frage", erklärte sie schließlich. "Das können Sie vergessen. Hier schläft niemand in der Garage."

Außer den Tieren, wollte er hinzufügen, besann sich aber eines Besseren. "Sie sind hochgradig unvernünftig", sagte er stattdessen.

Sie lachte. Er mochte den Klang ihrer Stimme. Warm, ehrlich und bodenständig. Er wusste nicht, was sich in den letzten fünf Minuten verändert hatte, aber die Anspannung war von ihr gewichen und sie wirkte plötzlich wie eine ganz andere Frau. So, wie die Frau, auf dessen Persönlichkeit er vorhin am Baumhaus hatte eine Blick werfen können. Selbstbewusst, ein bisschen frech vielleicht sogar. Und das gefiel ihm tausend Mal besser.

"Ich bin menschlich", sagte sie schließlich. "Kommen Sie, ich zeige Ihnen das restliche Haus."

Im Schnelldurchgang führte sie ihn durch die Bereiche ihres bungalowartigen Hauses, die für ihn relevant waren. Im Klartext: er wurde den Gang vom Wohnzimmer am Eingangsbereich vorbei bis ans andere Ende zum Badezimmer geführt. Das zweite Badezimmer war offensichtlich nur durch das Masterschlafzimmer zu erreichen und ging ihn folglich nichts an.

Cassie Lion - eine Novella •abgeschlossen•Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt