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Romy

Den ganzen Tag war sie mit Rendall auf dessen Farm unterwegs gewesen. Er hatte ihr im Plauderton alles über Hühner erzählt, was es zu wissen gab. Sie wusste nun eine Menge über die verschiedenen Haushuhnrassen. Man wählte natürlich nicht nur nach Aussehen, sondern hatte auch auf Verhaltens- und Gefiedereigenschaften zu achten.

Dann war zu entscheiden, ob man lediglich Eier produzieren oder in die Hühnerzucht gehen wollte. Die Vor- und Nachteile waren eindeutig und gingen mit den Vor- und Nachteile der Hahnhaltung Hand in Hand. Sogar, wie sie den Fuchs fernhalten konnte, wusste Romy jetzt. Das Einzige, das sie nicht wusste, war, wie sie den Traum jemals hätte finanzieren sollen. Doch auch hierfür hatten Rendall und Hunter offensichtlich bereits vorgesorgt.

Blieb nur noch die Frage, ob sie es sich zutraute, die Verantwortung für ein weiteres halbes Dutzend Lebewesen zu übernehmen und die Zeit fand, sie angemessen zu versorgen. Die Entscheidung würde sie sich jedoch vorerst für einen anderen Tag aufheben.

Sie war Hunter so unendlich dankbar, dass er ihr nicht nur zugehört hatte, als sie ihm von ihren Träumen erzählt hatte, sondern ihn auch in greifbare Nähe geholt hatte. Verdammt, was war Hunter nur für ein guter Kerl. Ein richtiger Vorzeigeehemann würde er eines Tages sein. Romy erstarrte.

Würde er sein. So ein Quatsch. Er war doch bereits mit Inez verheiratet. Auch wenn er keinen Ring trug. Bei der richtigen Frau gab es keine Fessel. Hatte er das nicht selbst so oder so ähnlich an ihrem ersten Abend gesagt? Wie hatte sie das vergessen können? All die Fotos mit ihr im Pool, die gemeinsamen Ausflüge. Und was tat sie hier? Spielte sie die Mätresse des 21. Jahrhunderts? Das war ja geradezu widerlich.

Doch so abstoßend dieser Gedanke auch war, sie konnte Hunter dennoch nicht böse sein. Er hatte nichts getan als ihr unter die Arme zu greifen, die Mädchen zu bespaßen und zuletzt die Nächte mit ihr zu teilen. Er hatte ihr keine falschen Versprechungen gemacht, nicht von Liebe oder auch nur der Zukunft gesprochen.

Es gab nichts, worüber sie sich ärgern könnte. Außer, dass sie selbst sich Hoffnungen gemacht hatte, obwohl sie genau dies von Anfang an hatte vermeiden wollen.

So stand sie wieder Zuhause in ihrer Küche, und nahm sich ein Glas aus dem Schrank. Der Tag mit Rendall war anstrengend gewesen. Ihre Füße brannten als sie zum Kühlschrank ging und die Eiswürfel klappernd in ihr Glas fielen. Das vertraute leise Knacken als sie Wasser darüber laufen ließ, beruhigte sie. Geduldig mit sich selbst hob sie einen Fuß und schüttelte ihn ein bisschen aus. Es war ja nicht so, als würden ihre Füße in Flammen stehen. Es war eher ein angenehmes Brennen, das von viel Bewegung an der frischen Luft zeugte. Und das war doch etwas Gutes.

Etwas anderes hingegen, was sie den ganzen Tag über bereits leicht gespürt hatte, war ganz und gar nicht angenehm. Sie fühlte ein Ziehen im Bauch, der sanfte Schmerz strahlte bis in den Rücken. Waren die Wellen am Morgen in großen Abständen gekommen, kamen sie nun regelmäßiger und heftiger.

Sie trank einen Schluck Wasser, die Eiswürfel klirrten im Glas. Sie ahnte, was auf sie zukam und würde einfach hoffen müssen, bis zum Abend durchzuhalten.
Im Flur hörte sie bereits Hunters Schritte und machte sich daher bereit, ein Lächeln, das sie gar nicht fühlte, auf ihr Gesicht zu zwingen.

Doch plötzlich verkrampften sich ihre Muskeln schmerzhaft. Sie stöhnte auf und drückte die Hand gegen ihren Bauch. Als der Schmerz nachließ, wollte sie einen Schritt gehen, aber im gleichen Moment rollte die nächste Welle des Schmerzes über sie hinweg. Sie krallte sich an der Arbeitsplatte fest und krümmte sich vor Schmerz.

"Romy, ist alles in Ordnung?"

Sie konnte nicht antworten. Stattdessen  ließ sie ihren Kopf auf ihren Unterarmen zum Liegen kommen.

"Romina!", drängte seine tiefe Stimme sie, doch der Schmerz hatte von ihr Besitz ergriffen.

Starke Finger legten sich unter ihr Kinn und drehte ihren Kopf sanft herum. Ihr Blick traf auf den seinen, und er schien sie förmlich zu durchbohren. Die Sorgen waren ihm ins Gesicht geschrieben, während er in ihren Augen nach Antworten suchte, die sie ihm nicht geben konnte. Nicht jetzt. Sie wandte sich ab.

Als der Schmerz endlich abebbte, richtete sie sich auf. Und dann spürte sie etwas an ihrem Bein herunter laufen und blickte an sich herab. Aus dem Hosenbein ihrer Shorts lief Blut über ihren Oberschenkel.

"Verdammt", flüsterte sie beinahe lautlos.

Ohne Nachzudenken rannte sie in das Bad der Mädchen. Schwere Schritte folgten ihr.

Cassie Lion - eine Novella •abgeschlossen•Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt