Kapitel 31

78 7 0
                                    

Tess

Ich lasse Damon allein, da ich weiß, dass er seine Ruhe möchte. Zeit braucht, um das Ganze zu verarbeiten, weshalb ich mich erst gegen Abend zu ihm ins Bett lege.

Seine Hand in meine nehme und ihn ansehe. Erkenne, dass er immer noch aufgelöst zu sein scheint.

,,Möchtest du darüber reden?", frage ich ihn daher vorsichtig, doch er sieht mich nicht an. Sieht nachdenklich zur Zimmerdecke hinauf. Er antwortet mir nicht, wodurch ich das Gefühl bekomme, dass er nicht darüber reden möchte. Will ihn daher wieder alleine lassen und wende mich zum Gehen, doch er nimmt meine Hand fester in seine.

,,Ich weiß nicht, was ich tun soll", gesteht er mir plötzlich und wendet den Blick nicht von der Decke ab. ,, Seit Stunden zerbreche ich mir den Kopf. Denke über das Verhalten meiner Eltern nach. Habe mir eigentlich fest vorgenommen, ihnen nicht zu vergeben, doch ich habe auch versucht, mich in ihre Lage hineinzuversetzen. Mir ist dabei klar geworden, dass ich sie verstehen kann. Denn sie haben einen Sohn verloren. Und das meinetwegen."

Ensetzt lege ich mich wieder neben ihn und sehe ihn eindringlich an.

,, So darfst du nicht denken, Damon!", wende ich sofort ein, da ich nicht möchte, dass er sich wieder Vorwürfe macht. Er darf sich nicht wieder die Schuld am Tot seines Bruders geben, doch Damon lässt mich nicht weiterreden.

,,Ich weiß, dass es ein Unfall war, Tess", gibt er mir zu verstehen und sieht mich nun an. ,,Aber dennoch habe ich Jahre gebraucht, um das einzusehen. Habe mir um ehrlich zu sein selbst noch nicht  vergeben. Wie kann ich das daher von meinen Eltern erwarten? Von meinen Eltern, die ein Kind verloren haben. Die dadurch den schlimmsten Verlust erlitten haben. Den Schmerz, ihr eigenes Kind zu Grabe tragen zu müssen. Wie kann ich ihnen da vorwerfen, dass sie mich dafür gehasst haben? Sollte dankbar sein, dass sie mir vergeben wollen", gesteht er mir niedergeschlagen.

Ich sehe, wie sehr er leidet, weshalb ich ihn dazu bringe, mich anzusehen, in dem ich meine Hand an seine Wange lege.

,, Es war ein Unfall", versuche ich wieder zu ihm durchzudringen. ,,Sie hätten dich nicht so behandeln dürfen. Du hast deinen Bruder verloren und sie hätten für dich da sein müssen. Du hast so sehr gelitten und sie haben alles nur schlimmer gemacht. Du bist genauso ihr Sohn, wie es Danny gewesen war und sie hätten froh sein müssen, dich bei dem Unfall nicht auch noch verloren zu haben. Du hättest auch sterben können, Damon."

Er schließt kurz die Augen und atmet frustriert aus, bevor er mich wieder ansieht.

,,Aber ich bin am Leben und Danny nicht. Ich hätte ihn beschützen müssen. Und ich verstehe sie, Tess. Ich glaube, an ihrer Stelle hätte ich auch so gehandelt. Hätte mich als Vater auch nicht mehr unter Kontrolle gehabt. Denn Trauer verändert die Menschen und man kann nichts dagegen tun. Man ist ihr schutzlos ausgeliefert."

Ich lege meine Stirn an seine, während ich ihn niedergeschlagen ansehe. Verstehe ihn aber auch gleichzeitig wieder nicht. Könnte mein Kind niemals so behandeln. Aber ich selbst war zum Glück noch nie einer solchen Situation und hoffe auch, es nie zu sein. Habe daher keine Ahnung, wie ich wirklich reagieren würde.

,,Und was wirst du jetzt tun?", frage ich ihn vorsichtig und er scheint wieder in Gedanken zu versinken. Sich den Kopf zu zerbrechen und ich wünschte, ich könnte ihm all die Last abnehmen. Es verletzt mich, ihn so leiden zu sehen.

,,Ich denke, dass ich ihre Einladung annehmen sollte. Zumindest versuchen sollte, sie wieder in mein Leben zu lassen, solange sie noch die Chance dazu haben. Möchte nicht, dass sie sich eines Tages Vorwürfe machen, weil sie auch mich zu Grabe tragen müssen, ohne noch einmal mit mir gesprochen zu haben", antwortet er mir schließlich und mein Herz zieht sich schmerzhaft zusammen.

Tränen vernebeln mir die Sicht, da ich den Gedanken einfach nicht ertragen kann. Den Gedanken ihn womöglich bald zu verlieren. 

,, Nicht weinen", versucht er mich zu trösten und berührt sanft mein Gesicht. ,,Es wird schon alles gut werden. Die Chemo wird funktionieren. Das spüre ich."

Ich bringe ein schwaches Nicken zu stande, doch ich kann die Tränen nicht abstellen. Mein Herz fühlt sich an, als würde es in tausend Stücke zerreißen und die Angst raubt mir beinahe den Atem. Ich kann ihn einfach nicht verlieren.

,,Versprich es mir", bitte ich ihn mit brüchiger Stimme auch wenn ich weiß, dass er keine Macht darüber hat. ,,Versprich mir, dass du mich nicht verlassen wirst."

Doch Damon sieht mich nur niedergeschlagen an. Er kann es mir nicht versprechen. Das weiß ich.

,,Ich verspreche dir, dass ich kämpfen werde. Alles dafür geben werde, um bei dir und unserem Baby bleiben zu können. Ich nicht aufgeben werde", verspricht er mir und legt behutsam seine Hand unter mein Kinn, sodass ich ihm in die Augen sehe.

,,Aber falls ich den Kampf verliere, möchte ich, dass du mir eines versprichst, Tess", bittet er mich bedrückt und sieht mich eindringlich an. ,,Und zwar, dass du weitermachen wirst. Dass du das Leben lebst, dass du dir immer erträumt hast. Dass du nicht in Trauer verfallen und wieder glücklich werden wirst. Du für unser Kind  da bist und für dieses stark bleiben musst. Und dass du wieder lieben wirst, Tess. Jemanden findest, der unserem Kind ein guter Vater sein wird. Der dich glücklich macht. Lebe für mich Tess. Versprich mir das."

Ich atme gequält aus und beginne schluchztend zusammenzubrechen. Spüre Damon, der die Arme um mich legt und mich eng an sich schmiegt.

,,Versprich es mir", bittet er mich noch einmal mit brüchiger Stimme und ich habe das Gefühl, als ob ich innerlich auseinander reiße.

,,Ich verspreche es", bringe ich unter der Tränen heraus und habe das Gefühl zu fallen. In eine unendliche Leere, aus der ich nicht mehr entkommen kann.

Die Zeit unseres Lebens Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt