19~ Du verstehst es schon

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"Aber klar", antwortete ich und betrachtete ihn, leicht beleidigt. "Warum sollte ich denn auch nicht?"

"Denk ja nicht, dass es so einfach wäre, mi pequeño. Man muss eine Begabung dafür haben, etwas zu glauben."

"Schön.", meinte ich. "Ich glaube dir. Also: Worum geht es?"

"Du solltest ein Brot mit-"

"Worum geht es, Abuelo?"

Abuelo griff nach einem Brotkrümel und rollte ihn zwischen Daumen und Zeigefinger hin und her. "Zunächst einmal: Was immer du danach von mir halten wirst, lasse mich bitte nicht allein."

Verwirrt musterte ich ihn. "Warum sollte ich-"

"Es würde mir mein altes Herz brechen. Du bist ein großer Teil meines Leben, besonders, weil du mich an meine Tochter erinnerst. Ohne dich, wären meine Tage sehr dunkel."

Als ich nichts darauf erwiderte, sah er mich an. "Verstehst du das, Y/n? Glaubst du mir?"

"Ja, ich denke schon.", erwiderte ich nickend. Auch wenn ich nicht wusste, wie meine Mutter aussah, freute ich mich über diesen Vergleich.

"Bevor du zu mir kamst, hattest du bei deiner Familia gelebt. Alle waren da, deine Tìa, dein Papà....eben alle. Außer ich, natürlich. Ich war nicht erwünscht. Verstehst du das? Du weißt ja schon, dass du nicht immer bei mir gewohnt hast."

"Wieso warst du nicht erwünscht?", fragte ich. "Was hast du gemacht?"

Er lachte leise. "Dieser Bruno, aus der Familia Madrigal. Weißt du, warum er nicht erwünscht ist? Warum niemand über ihn redet?"

"Naja, er hat-"

"Den richtigen Grund, mi pequeño.", meinte er. "Denkst du wirklich, er wollte mit seiner Gabe dem Dorf schaden?"

"Nein.", murmelte ich. "Eigentlich denke ich, dass sie ihn nur missverstehen. Wer sagt denn, dass er mit seiner Fähigkeit etwas Böses wollte?"

"Richtig erkannt, mi angél.", lobte er mich und lächelte leicht. "Er wird also missverstanden....ungefähr so, war das mit deiner Familia und mir."

Behutsam legte ich meine Hand auf seine. "Es ist unsere Familia Abuelo."

Er lächelte, dann verzog er das Gesicht und nahm einen weiteren Schluck. "Im Prinzip ist es jetzt auch egal, denn sie sind alle von uns gegangen."

"Ja.", meinte ich. Ich sah in den Himmel. "Aber wieso sind sie alle aufeinmal gestorben und ich habe überlebt? Ich meine, wieso konnte niemand anderes aus der Familia auf mich aufpassen? Einfach bei mir bleiben."

Er holte einen kleinen Brief aus seiner Hosentasche und reichte mir das Schreiben.

"Was ist das?", fragte ich, während ich das Papier misstrauisch musterte.

Es war ein wenig vergilbt und wirkte im gesamten ziemlich alt, obwohl der Brief erst vor ungefähr neun Jahren geschrieben wurde.

"Deine Mutter hatte ein Brief geschrieben, an mich adressiert, und mit ins Portal geworfen, dir hinterher.", sagte Abuelo und setzte die Flasche an die Lippen. "Du bist dann bei mir rausgefallen."

"Ins Portal?", fragte ich ungläubig. "Wie meinst-"

"Du verstehst es schon.", sagte er und schüttelte den Kopf, lachte leise. "Was Senõra López jetzt wohl sagen würden, weil wir auf dem Dach sitzen?"

"Wie kommst du denn jetzt auf die?", fragte ich belustigt und er zuckte mit den Schultern. "Weiß ich selber nicht. Ich musste nur gerade an die Zeit zurück denken, da wo du noch keine junge Dame warst. Mit Senõr Lo-"

"Warte!", stieß ich überrascht aus. Ich sprang auf. "Die beiden haben den selben Nachnamen. Außerdem wollen beide, dass wir getrennt leben. Ob sie miteinander verwandt sind, Abuelo?"

"Aber natürlich! Ach, du meine Güte! Ja, das wäre tatsächlich gut möglich.", sagte er. "Mein Gott! Sie hatte mir doch letztens noch von ihrem Bruder erzählt!"

"Diese Hexe!" Der Gedanke an Senõra López erwies sich aus irgendeinem Grund als hilfreich. Wut war erträglicher als Niedergeschlagenheit. " Er muss Sie dazu angeheuert haben, nach uns zu sehen."

"Eher zu dir.", murmelte Abuelo und erhob sich. Einige seiner Gelenke knirschten dabei Ohrenbetäubend- Er war aber auch nicht mehr der Jüngste.

Bevor er weggehen konnte, hielt ich ihm am Ärmel fest. "Abuelo. Du hast mir noch gar nicht gesagt, was in dem Brief steht!"

Er schmunzelte. "Du kannst doch lesen. Oder habe ich dir das nicht beigebracht, mi pequeño?"

"Doch, aber-"

"Les' es einfach.", meinte er. "Ich werde diese Zeilen nicht wiederholt lesen, denn es würde mein Herz wieder brechen."

"Wie meinst du das?", fragte ich und sah auf den alten Brief.

"Du wirst es schon verstehen, mi angél."

Mit schweren Schritten, kletterte er wieder ins Innere des Hauses, während ich mit zitternen Händen den Brief langsam öffnete.

Mit klopfendem Herzen las ich die erste Zeile. Die Schrift war klar, elegant.

Lieber Papà

Mi Amor <3     Camilo X Reader (German F.f)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt