Eine persönliche Krankenschwester

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Schmerz...dieser höllische...Schmerz. Er war überall und wollte einfach nicht aufhören. Doch hatte sich etwas verändert. Estarossa befindet sich in einem Dämmerzustand. Halb wach und halb bewusstlos, zerrten die sanften Arme der Ohnmacht und die Klauen der Qualen an ihm. Immerzu versuchte der eine dem anderen die Oberhand zu nehmen, um den Dämon entweder auf eine Wolke zu betten, oder in die tiefsten Abgründe der Hölle zu werfen. Er konnte in weiter Ferne ein leises Geräusch hören. Vielleicht ein Atemzug oder ein leises Flüstern. Plötzlich scheint etwas seinen verbrannten Körper zu berühren. Es fühlte sich angenehm warm und sehr dünnflüssig an. Undeutlich und nur sehr schwach, konnte er die äußerst vorsichtigen und sanften Bewegungen auf seiner Brust spüren. Mit unglaublich viel Feingefühl, streichelte etwas warmes und sehr weiches gleichmäßig über die Brandwunden. Wurde er etwa...gewaschen?

Da war wieder dieses Geräusch. Doch diesmal konnte er es deutlicher wahrnehmen. Ein warmer Atemzug strich sanft an seiner Ohrmuschel vorbei, während dieses weiche und warme Objekt zärtlich seinen Weg durch sein entstelltes Gesicht findet. Ein leicht kühlendes Gefühl der kurzzeitigen Linderung bleibt nach jeder Berührung für wenige Sekunden zurück. Immer wieder konnte Estarossa das Echo von einem Plätschern hören. Langsam wanderte der weiche Waschlappen nach unten und entfernte auch dort mit größter Sorgfalt Schmutz, getrocknetes Blut und verkohlte Hautpartikel. Das dunkelrot gefärbte Wasser wurde weg geschüttet und durch sauberes, abgekochtes Wasser ersetzt. Sein gesamter Körper wurde mit warmen Wasser gereinigt. Sanft legte sich eine Hand auf seine Stirn, die sich innerhalb weniger Momente erwärmte. „Sein Fieber ist schlimmer geworden." Estarossa konnte dumpf hören, wie sich zarte Schritte leise entfernen und sich eine gefühlte Ewigkeit später wieder ebenso leise näherten.

Noch immer kämpften die sanften Arme der Ohnmacht und die Klauen der Qualen um die Vorherrschaft. Für einen Moment konnte der Dämon die Sanftheit einer Wolke um sich spüren. Doch nur kurze Zeit später, reißen die Klauen der Qualen ihn mehr und mehr in die grausame Realität zurück. Er wollte laut schreien und sich vor Schmerzen winden. Doch scheint eine unsichtbare Kraft seinen Körper und seinen Geist niederzudrücken und ihn daran hinderte sich mitzuteilen. Auf einmal kroch ihm ein bitterer Geruch in die Nase, der zugleich scharf und süßlich war. Etwas glitschiges und breiartiges wurde auf seinen Körper gestrichen. Estarossa wusste nicht was es war, doch es fühlte sich so gut an, dass er am liebsten aufgestöhnt hätte vor Erleichterung. Sein gesamter Körper wurde damit bedeckt und anschließend mit dünnen Verbandsmulden umhüllt, um alles an Ort und Stelle zu halten. Der Brei unter den Verbänden kühlte seine schmerzende, brennende Haut. Dadurch konnten sich die Wogen endlich glätten und die sanften Arme der Ohnmacht konnten die Überhand gewinnen, und den Dämon endlich ins Reich der Wolken tragen.


Der wunderschöne Gesang einer Nachtigall hallte durch die frühen Abendstunden. Die untergehende Sonne tauchte den Horizont in ein zauberhaftes Rot und man hatte den Anschein der Himmel würde brennen. Langsam zog sich der Dämmerzustand zurück und drückte das Bewusstsein wieder an die Oberfläche. An seinen Ohren erklingt das sanfte Plätschern von Wasser. Das würde auch dieses angenehm warme Gefühl auf seiner Haut erklären. Kurz darauf folgte wieder dieser angenehm kühle Brei, der mit frischen Verbandsmulden umhüllt wurde. Der unnatürliche Druck war von seinem Körper und seinem Geist abgefallen. Unbemerkt zuckten seine Augenlider, die sich im selben Augenblick schwach öffneten und eine verschwommene Sicht freigeben. Das Omen des schemenhaften Nebelschleiers legte sich langsam, und eine zierliche Person kniete sich neben ihn hin.

„Du bist endlich aufgewacht..." Estarossa blinzelte den Schatten vor seinen Augen weg, und erblickte das Gesicht einer kleinen und zierlichen Frau. In ihrem Schoß konnte er eine kleine, braune Schüssel erkennen. Sie tauchte ihre Hand in das Gefäß und hatte eine bräunlich grüne Masse an den Fingern kleben. Als sie sein Gesicht berühren wollte, drehte er den Kopf aus reinem Überlebensinstinkt weg. „Nicht...du tust dir nur noch mehr weh..." Misstrauisch starrte der Dämon die Pampe an, stellte aber sogleich fest, dass sie die gleichen Eigenschaften wie das Zeug auf dem Rest seines schmerzenden Körpers aufweist. Ein angenehmes Gefühl breitete sich auf seinem Gesicht aus. Sanft löschte es das schmerzende Brennen und den unangenehmen Juckreiz. Zart und behutsam, strich sie voller Vorsicht sein gesamtes Gesicht und den Hals ein, während Estarossa ein lautloses Seufzen von sich gibt. „...Was ist das...?", fragte er mit erstickter Stimme.

Seine Pflegerin antwortete nicht sofort, sondern legte zuerst noch frische Verbandsmulden auf die Masse, um sie zu fixieren. Dabei achtete sie besonders darauf, dass seine Nasenöffnung nicht bedeckt wurde und er unbehindert atmen konnte. „Das sind Gartenmelden", antwortete sie nun sanft. „Ich habe sie zusammen mit Beinwell und Ringelblumen in Olivenöl gekocht. Mit Honig vermischt ergeben diese Nutzpflanzen eine wertvolle Heilpaste, die entzündungshemmend und schmerzlindernd wirkt." Schweigend drehte der Dämon den Kopf von ihr weg und starrte für mehrere Momente einfach nur an die Zimmerdecke. „Du hast drei Tage lang ununterbrochen geschlafen. Ich habe mir solche Sorgen um dich gemacht." Dummer Mensch! Wusste sie überhaupt wen oder was sie sich da ins Haus geholt hat? Das anhaltende Schweigen verwandelte sich in eine peinliche Stille. Diese Atmosphäre beinhaltet eine unangenehme Eigenschaft, also wurde sie gebrochen. „Ich heiße Natalia. Wie ist denn dein Name?" Nach dieser völlig normalen und zugleich unangebrachten Frage, schließt Estarossa die Augen. „Es interessiert mich nicht wie du heißt. Du verschwendest ohnehin dein Mitgefühl." Drei Herzschläge später öffnete er sie wieder. „Wie bin ich hierher gekommen?" Ein rötlicher Schimmer legte sich auf die Wangen von Natalia, während sie sich verlegen an der Wange kratzte. „Nun...wie soll ich sagen...?"

Ein Hauch von Angst und Hilflosigkeit machte sich in Natalia breit. „Wenn doch nur Philly hier wäre..." Zum weiteren nachdenken bleibt ihr keine Zeit mehr. Die ersten Krabbeltiere hatten das verbrannte Fleisch bemerkt und wollten es als Eiablageplatz verwenden. Die Jungtiere wo daraus schlüpfen, hätten somit eine Nahrungsquelle auf Lebenszeit gefunden. „Bitte...stirb nicht...", flüsterte sie. Sofort danach eilte Natalia zu ihrer braven Tinkerstute zurück, und kletterte ein wenig ungeschickt in den Sattel. So schnell Lili nur laufen konnte, eilte sie auf die kleine Farm zurück. Philly, ein fuchsfarbener Isländerwallach, bemerkte sofort die Nervosität und die Angst seiner Besitzerin. „Ich brauche deine Hilfe, mein treuer Freund." Die junge Farmerin legte Philly, als auch Lili ein Zuggeschirr an. In ihrem Werkzeugschuppen findet Natalia eine lange und stabile Eisenstange. Mit dieser und diversen anderen Dingen im Schlepptau, eilte sie mit ihren beiden Pferden an die Stelle, wo sie als Markierung einen abgestorbenen Ast eines Eichenbaumes abgelegt hatte.

Natalia fischte aus dem Leinensack ein dickes Zugseil und ein paar Gartenhandschuhe, die sie sich anzog. Sofort umfasste sie Philly am Halfter und führte den kleinen, aber kräftigen Isländer in das Unterholz. „Verschwinde", sagte sie angewidert und schnippte einen Käfer vom Körper des Dämon, der schon munter an seinem Fleisch geknabbert hatte. Eilig bindet sie nun das Seil um den Oberkörper und befestigte das andere Ende am Zuggeschirr von Philly. Sogar mit den Gartenhandschuhen, musste Natalia ihren Ekel überwinden diesen entstellten Körper zu berühren. „Bitte lass mich jetzt nicht im Stich. Komm mit, mein Junge." Sie umfasste ihren Wallach wieder am Halfter und führte ihn aus dem Unterholz. Problemlos konnte das kräftige Tier seine Fracht aus dem Waldstück ziehen. Doch so konnte sie ihn unmöglich bis nach Hause bringen. Natalia löste das Seil um den Oberkörper des Dämon und holte die Eisenstange, die sie am Zuggeschirr von Lili befestigt hatte. Diese legte sie neben ihn und bindet seine Arme und Beine mit dicken Seilen an der Eisenstange fest.

Zugegeben, es war keine besonders bequeme aber eine sehr kreative Lösung. Zwischen den Händen und den Füßen knotete Natalia jeweils ein weiteres, dickes Seil fest. Die beiden Seilenden knotete sie daraufhin an den Zuggeschirren ihrer beiden Pferde fest. „In Ordnung, ich hoffe nur, dass es hält." Natalia lenkte Philly auf die rechte und Lili auf die linke Seite. Auf den beiden Seilen wurde Spannung ausgeübt und der schwere Dämonenkörper wurde an der Eisenstange angehoben. Im gleichbleibenden Abstand, trotteten die zwei braven Pferde ihrer Besitzerin hinterher. Natalia konnte von mehr als nur Glück sprechen, dass Estarossa noch ohnmächtig war. Er hängt an der Eisenstange herunter wie ein Schwein am Spieß. Generell erinnerte dieser Anblick mehr an einen knusprigen Krustenbraten, als an einen Dämon. Für Natalia grenzt es an ein Wunder, dass sie ihren Fund ohne Panne auf ihren Hof gebracht hatte. Vor ihrem kleinen Bauernhaus, erlöste sie ihre Pferde von dem Gewicht und belohnte sie mit ein paar Äpfeln. Sie löste die Seile von der Eisenstange mit einem Messer und zerrte den massigen Körper mit größter Kraftanstrengung ein paar Meter in ihr Haus hinein.

Zum zweiten mal war diese unangenehm, peinliche Stille ausgebrochen. Selbst Natalia weiß, dass Begeisterung ganz anders aussieht. Unter den Verbandsmulden, konnte sie momentan nicht sehr viel von seiner Mimik ablesen. Doch hätte sie diese abgenommen, würde sie eine Mischung aus tiefster Abneigung und Belustigung vorfinden. Estarossa wurde genau in diesem Moment klar, dass wenn er sich wieder bewegen konnte, ihr auf der Stelle ihren dünnen Hals umdrehen wird. Immerhin hatte sie gewaltig seinen dämonischen Stolz verletzt. Und dennoch amüsierte es ihn prächtig, dass sich diese schwächliche Kreatur solche Sorgen um ihn macht. Sie hatte wirklich absolut keine Ahnung, was für ein grausames Monster er sein kann. „Dein Fieber wird nicht besser werden, wenn du dich nicht ausruhst. Versuch bitte etwas zu schlafen, dann sollten auch deine anderen Wunden schneller abheilen." Estarossa gibt kurz darauf ein missgünstiges und ablehnendes Geräusch von sich. „Du brauchst von mir keine Dankbarkeit erwarten, Mensch. Ich habe dich nicht darum gebeten, mich hierher zu bringen." Natalia nimmt die braune Schlüssel in beide Hände und steht kurzerhand daraufhin auf. „Ich erwarte keine Dankbarkeit von dir. Ich erwarte, dass du gesund wirst." Ohne ein weiteres Wort, drehte sie sich um und wollte soeben den Raum verlassen. „Estarossa", sagte er plötzlich. „Mein Name ist Estarossa."


Mein Freund, der DämonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt