Für immer an deiner Seite

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Stille. Nur der Regen draußen ist zu hören. Estarossa öffnet die Augen. Er liegt alleine auf der Seite in dem einst gemeinsamen Ehebett und hält das Kopfkissen seiner verstorbenen Frau umklammert. Er trauert um sie und versucht die Wahrheit in seinem Kopf zu verdrängen. Auf einmal kann er eine sich öffnende Tür hören. Zuerst denkt er, dass Anunnaki herein kommt, doch dann kann er leise, kaum merkliche Schritte hören und im nächsten Moment springt Molly auf das Bett. Die blaugraue Kätzin legt sich zu ihm, kuschelt sich in seinen Arm und beginnt leise zu schnurren. Sie sagt nichts, sondern will ihm einfach nur in dieser Stunde beistehen und ihn trösten. Irgendwann hebt Estarossa die Hand und beginnt sie zu streicheln. Molly schließt entspannt die Augen und mag es an dieser Körperstelle berührt zu werden. Auch die Dämonenkatze ist sehr traurig über den Verlust ihres geliebten Frauchens. Zwar hat sie es nicht oft gezeigt, doch sie hat Natalia über alles geliebt. Doch seine Kinder hat diese Nachricht wie ein direkter Schlag mit der geballten Faust ins Gesicht getroffen. Für Xander und Anunnaki ist eine Welt zusammengebrochen. Besonders seinen Sohn hat der Tod seiner Mutter schwer getroffen. Seitdem ist Nero noch anhänglicher als sonst und weicht dem Halbdämon nicht mehr von der Seite. „...Ich vermisse sie genauso wie du...", miaut Molly schließlich.

Estarossa schweigt. Er gibt ihr keine Antwort, sondern streichelt sie einfach nur weiter. „...Ich weiß...", sagt er nach einer halben Ewigkeit. Die blaugraue Dämonenkatze schleckt ihm ein paarmal liebevoll über die Finger und will ihm somit zeigen, dass er nicht alleine ist. Doch das entlockt ihm auch kein Lächeln mehr. Für einen Moment schließt er die Augen und öffnet sie dann wieder. „...Bevor Natalia gestorben ist, da hat sie mich gefragt, ob mein Vater einmal etwas zu mir gesagt hat, dass ich nie vergessen habe." Molly hört ihm zu. „Ich habe ihr gesagt, dass ich verfressen bin. Doch weißt du, was mein Vater wirklich zu mir gesagt hat?" Sie zuckt einmal mit dem Ohr und sieht ihn erwartungsvoll an. „...Fürchte die Unsterblichkeit..." Plötzlich legt Molly ihren Kopf in seiner Handfläche ab. „...Wie recht er doch hatte...", miaut sie leise. Wieder kehrt Stille in das kalte Zimmer ein. Doch ein paar Minuten später, richtet sich Estarossa auf und verlässt schweigend das kalte, schwarze Schlafzimmer. Er läuft orientierungslos durch das ganze Haus. Er wäscht sein Gesicht im Badezimmer, öffnet den Kühlschrank und schließt ihn wieder. Verwirrt geistert er im Flur auf und ab und setzt sich dann auf das Sofa, um fünf Sekunden später wieder aufzustehen. In seinem Kopf dröhnt eine schweigsame Leere und er erwischt sich selbst dabei, wie er nach Natalia sucht. Doch sie ist nicht mehr hier. Irgendwann wird ihm bewusst, dass seine Frau nicht mehr auf ihn warten wird. Und schließlich führt sein irrationaler Weg nach draußen. Ihm fallen kalte Regentropfen ins Gesicht, während er gedankenverloren auf der Weide herumläuft und dann wie aus einem fremden Willen heraus, geht er in den Ruhegarten.

Dort sticht ein frisches Grab mit aufgehäufter Erde heraus. Natalia wurde vor zwei Tagen neben ihrem Großvater beerdigt. Daher ist er wenig überrascht, dass er hier nicht alleine ist. Hannah steht vor dem Grab ihrer Kindheitsfreundin und weint in stiller Trauer vor sich her. Estarossa stellt sich neben sie und schweigt. Mit sieben schweren Herzen in der Brust, betrachtet er still das frische Grab, in dem seine geliebte Frau für immer ruhen wird. Natalia hat ihm so viel beigebracht. Sie hat ihm so viel gegeben. Eine Familie. Ein Zuhause. Auch wenn sie nicht mehr da ist, so wird er ihr Vermächtnis nicht einfach verfallen lassen. Hannah und Estarossa stehen eine ganze Weile einfach nur nebeneinander und schweigen sich an. Alle beide, leiden unter dem Verlust eines geliebten Menschen. Schließlich hat Hannah keine Kraft mehr, um weiter zu weinen, sondern betrachtet einfach nur das liebevoll gestaltete Grab ihrer Freundin. „...Es tut mir Leid, Estarossa", sagt sie dann schließlich. Zuerst erwidert der Dämon nichts und lässt sie einfach nur im Regen stehen. Doch dann schlingt er seinen Arm um sie und legt seine Hand auf ihrer Schulter ab. „...Muss es nicht, Hannah", erwidert er. „Sie war eine Sterbliche. Ich habe gewusst, dass dieser Tag kommen wird. Doch das er schon so nahe war, das habe ich nicht geahnt." Sie schweigt. Schließlich umfasst sie seine Hand auf ihrer Schulter einmal und drückt sie. „Ich möchte, dass du mir etwas versprichst." Hannah schließt kurz die Augen und öffnet sie wieder. „...Ich werde auch irgendwann sterben. Versprich mir, dass du dich dann um Zeldris kümmerst. Der Blödmann braucht jemanden, der ihm den Weg zeigt."

Damit hat er nun wirklich nicht gerechnet. „...Er ist mein Bruder...", antwortet er. „Ich werde ihn nicht im Stich lassen." Hannah lächelt einmal schwach. Sie löst sich dann von ihm und geht einfach, ohne etwas zu erwidern. Sie lässt ihn mit Natalia alleine. Eine Stunde vergeht. Eine Stunde, wo er einfach vor ihrem Grab steht und es schweigend betrachtet. Estarossa bereut viele Dinge, die er ihr in der Vergangenheit ungehemmt an den Kopf geworfen hat. Doch er erinnert sich auch an die vielen, liebevollen Momente, die sie gemeinsam miteinander verbracht haben. „Ich wünschte, dass ich mehr Zeit mit dir verbracht hätte. Ich wünschte, ich hätte mehr Zeit mit dir gehabt." Langsam lässt der Regen nach und er tröpfelt nur noch vereinzelt zwischen den dünnen Blättern hindurch. Estarossa greift nach oben und pflückt eine einzelne Blüte von einem der Äste, die er auf das Grab von ihr legt. Er greift in seine Hosentasche und kann darin den Ehering fühlen, den sie immer getragen hat. „Oh, Natalia..." Er nimmt den Ring heraus und betrachtet ihn kurz, bevor er ihn wieder einsteckt. „...Du warst eine Göttin für mich." Ein einzelner Sonnenstrahl fällt ihm ins Gesicht und nun bemerkt er auch, wie sein Körper sich nach Nahrung verzehrt. Dennoch ignoriert er das Hungergefühl. Er würde ohnehin nichts runter bekommen. Seit Natalia gestorben ist, hat Estarossa nichts mehr gegessen. Lange wird sein Körper das aber nicht mehr mitmachen. Früher oder später wird er essen müssen. Ob er will oder nicht. Der aufkommende Sonnenschein vertreibt die grauen Wolken und bringt Wärme und Licht mit sich. Plötzlich schlagen seine dämonischen Instinkte an und er weiß, dass er nicht länger alleine an diesem Ort ist.

„Du lässt mich heute wirklich nicht in Ruhe, oder?" Molly setzt sich neben ihn hin und ringelt ihren Schwanz um sich. Sie betrachtet mit ihren bernsteinfarbenen Augen das Grab ihres geliebten Frauchens. „Du machst nicht den Anschein, dass du in Ruhe gelassen werden willst", miaut sie. „Sogar der Höllenbello weiß, dass etwas nicht stimmt. Er weicht deinen Kindern nicht mehr von der Seite." Jeder trauert auf seine ganz eigene Art und Weise. Xander war gestern einmal hier gewesen, doch Anunnaki schafft es einfach nicht, das Grab ihrer Mutter zu besuchen. „...Ich bin ein schlechter Vater, oder?" Molly zuckt einmal mit den Ohren. „Ich habe schon schlechtere als dich gesehen." Damit kann sie ihn nur wenig trösten. Die blaugraue Kätzin sieht einmal zu ihm auf. „...Willst du mir endlich verraten, was du in dem kleinen Baukasten versteckt hast, den du seit Jahren in deiner rechten Manteltasche aufbewahrst?" Estarossa schweigt. Dann greift er hinein und holt den kleinen Holzkasten heraus. Er öffnet ihn ohne etwas zu sagen, dann dreht er ihn um. Und heraus fällt...nichts. Molly wirkt sehr überrascht. „...Er ist leer", miaut sie. „Aber warum...?" Der Dämon sieht seinen leeren Baukasten an. „...Ich will nichts verlieren. Also versteckte ich die Bauklötze vor ihr." Estarossa schließt den Baukasten und legt ihn wieder in seine rechte Manteltasche zurück. „Lass uns gehen...Molly..." Es bringt einfach nichts, ewig an ihrem Grab zu stehen. Der Schmerz sitzt unendlich tief, doch nun muss er lernen, ohne sie zu leben.

„Du weißt, dass du dich wieder verlieben kannst, oder?" Doch darauf schüttelt der Dämon den Kopf. „Nein. Für mich gibt es keine andere mehr." Estarossa hat eigentlich mit seinem Leben abgeschlossen und er will einfach nur noch in Ruhe sterben. Ohne Natalia hat alles keinen Sinn mehr. „...Sie ist immer bei uns. Auch wenn du sie nicht sehen kannst", miaut sie. Estarossa tröstet das nicht, daher wendet er sich ab und will den Ruhegarten wieder verlassen. Doch plötzlich hört er einen Busch in seiner unmittelbaren Nähe rascheln. „...Hast du das gehört?" Es raschelt wieder, nur ein bisschen lauter. Estarossa spannt sich an, doch ist er sichtlich überrascht, als ein kleines, junges Kätzchen aus ihrem Versteckt kommt. Sie ist so jung, dass sie beinahe nicht laufen kann. „...Wo kommst du denn auf einmal her?" Er geht in die Hocke und streckt seine Hand nach ihr aus. Sie miaut einmal leise und tappst dann ungeschickt auf ihn zu. Estarossa nimmt das kleine Tier in die Hände und betrachtet es. Erst jetzt fällt ihm auf, dass das Kätzchen langweiliges braunes Fell und große, blaue Augen hat. Sie knabbert einmal leicht an seinem Finger und scheint ihm in die Seele zu schauen. „Wieso...schaust du mich so an...?" Irgendwie hat dieses Kätzchen etwas Vertrautes an sich. Sie schnurrt laut und maunzt ihm aufmerksam entgegen. Und dann muss Molly plötzlich grinsen. „...Estarossa...", miaut sie. „Erinnerst du dich noch daran, was mein Frauchen dir an eurer Hochzeit versprochen hat?" Er kann seine Augen von diesem seltsamen Tier nicht lösen. „...Wie könnte ich das nur vergessen...", antwortet er. „...Nun...ich bin eine Dämonenkatze und verstehe ihre Sprache. Weißt du, was sie gesagt hat?" Er schüttelt den Kopf. „...Was denn...?" Die Blicke der beiden Dämonen treffen sich. Molly sieht ihn mit großen und warmen Augen an. „Sie sagte: Ich habe es dir doch versprochen. Ich werde für immer an deiner Seite sein..."

Ende...

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In liebevoller Erinnerung an meinen Großvater Johann, der 2013 an Altersschwäche gestorben ist.


Mein Freund, der DämonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt