Tiefsinnige Gespräche

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Sanft weht der Wind durch das offene Fenster und streichelt behutsam über die verbrannte Haut von Estarossa. Das fahle Licht des Mondes, wirft lange Schatten in das Zimmer. Langsam kommt er wieder zu sich und lauscht den Insekten bei ihren nächtlichen Liedern. Sein Körper schmerzt und fühlt sich brennend taub an. Und schließlich bemerkt er ein leichtes Gewicht, das auf seinem Bauch liegt. Estarossa öffnet erschöpft die Augen, während er seinen Blick nach unten gleiten lässt. Molly hat sich zu einer Kugel zusammengerollt und schläft auf ihm. Die Aggressionen und die Feindseligkeit der Kätzin, sind ihm gegenüber verschwunden. Höchstwahrscheinlich weil sie spürt, dass er Schmerzen hat und sich nicht gut fühlt. Der Dämon streckt den rechten Arm aus und will Molly streicheln, doch da hält er inne und bemerkt die Verbandsmulden an seinem Körper. Erst jetzt realisiert er, dass sein erneut verbrannter Körper gewaschen, mit einer Heilpaste bedeckt und mit Mullbinden bandagiert war. Dieser Anblick weckt ein Déjà-vu in ihm. Es ist nicht einmal einen Monat her, als er zum ersten mal, auf diesem Futon gelegen hat. Anstatt in die nächste Stadt zu kommen, ist er nun wieder ganz am Anfang. Auf der kleinen Farm, wo seine Reise begonnen hat. „...Na großartig...", brummt er alles andere als glücklich.

Da zuckt Molly mit einem Ohr und hebt müde den Kopf. Die blaugraue Kätzin geht von ihm runter, streckt sich einmal kräftig und gähnt dabei herzhaft. Leise maunzt sie auf und stolziert dann elegant aus dem Zimmer. Die Stelle wo sie geschlafen hat, fühlt sich auf einmal kalt und unangenehm an. Estarossa will nun aufstehen, doch beim Versuch sich aufzusetzen, stöhnt er auf und sinkt wieder in sich zusammen. Zwei oder drei Stellen tun mehr weh als die anderen, also schiebt er an diesen pochenden Wunden den Verband und die Paste zur Seite, um es sich anzusehen. Auf seiner Brust und seitlich am Bauch sind deutliche Vertiefungen zu sehen. An diesen Körperstellen, hat sich die brennende Kleidung in seine Haut gefressen, die fein säuberlich entfernt worden ist und die Stellen genäht wurden. „...Verdammt nochmal...ich bring diesen Scheißkerl um...", sagte er. „Warte...das habe ich ja schon..."Eine gewisse Enttäuschung liegt in seiner Stimme, dass er ihn nicht zweimal umbringen kann. Antonio wird nie wieder jemanden belästigen. Dafür hat Estarossa gesorgt. Nun startet der Dämon einen zweiten Versuch. Er beißt die Zähne fest zusammen und setzt sich unter enormer Anstrengung auf. Die genähten Wunden pochen und brennen wie loderndes Feuer. In diesem Augenblick, ignoriert Estarossa alle seine Instinkte und steht nach einem Moment des Innehaltens auf. Er schwankt und stützt sich an der Wand und der kleinen Kommode ab.

Für einen Moment, droht er wieder in sich zusammenzusinken, doch dann geht er die ersten Schritte und findet sogleich eine kurze Notiz an der Tür hängen: Essen steht für dich im Kühlschrank. Lange wird er danach nicht suchen müssen, immerhin hat er sich bei seinem ersten Besuch schon gründlich in diesem Haus umgeschaut. Doch bevor er in die Küche geht und sich seinen wohlverdienten Snack holt, schlägt er die entgegengesetzte Richtung ein und geht in das Schlafzimmer der Hausherrin. Natalia liegt auf der Seite und schläft tief und fest. Bei ihr riecht es nach Lavendel und Rosen. Lautlos schleicht er näher an sie heran und entdeckt auf ihrem Nachtkasten eine kleine Wasserschale, in der Rosenblätter und Fliederzweige sind. Es muss wirklich eine Ironie des Schicksals sein, dass er zweimal auf unterschiedliche Weise verbrannt, aber zweimal von der gleichen Person gepflegt wurde. Nun senkt er den Kopf und schnuppert einmal dezent an ihr. Sie riecht nach Körner, Wind und Heu. Ein ganz klares Zeichen, dass sie schon wieder hart auf der Weide arbeitet. Estarossa fragt sich, wie lange er geschlafen hat. Obwohl er diese Verbrennungen besser wegsteckt als die ersten, fühlt er sich dennoch wie von einer Dampfwalze überrollt. Schließlich wendet er sich wieder ab und schließt die Tür leise hinter sich.

Verstohlen wandert er nun in die Küche und muss dabei am Wohnzimmer vorbei. Auf dem Sofa liegt Hannah, die ihre goldenen Locken zu einem Dutt geknotet hat. Sie hat sich penetrant geweigert, ihre Freundin in solch einem Zustand alleine zu lassen. Tatsächlich hat der Schlag von Estarossa die sanftmütige Farmerin einen ganzen Tag lang außer Gefecht gesetzt. Da wendet er seinen Blick wieder ab und geht den Kühlschrank öffnen. Auf der oberen Ebene, steht ein Teller, der mit Hühnerfleisch, Fisch und gepellten Eiern bestückt ist. Der Dämon nimmt ihn sich heraus, setzt sich an den Tisch und beginnt zu essen. Bis auf die gekochten Eier, ist alles roh und unbehandelt, so wie er es am liebsten mag. Da bemerkt er auf einmal eine Pfote an seinem Bein. Estarossa lenkt seine Aufmerksamkeit auf Bruno, der ihn mit angelegten Ohren und wedelten Schwanz unterwürfig ansieht. „Ach...dich gibt es ja auch noch..." Er opfert einen Brocken Fleisch, um den Bernhardiner zu bestechen, damit er wieder Leine zieht. Da kommt auch schon die Katze um die Ecke, um ebenfalls ihren Anteil einzufordern. Nachdem er gegessen hat, stellt er den leeren Teller in die Spüle und geht zurück auf sein Gästezimmer. Die Uhr an der Wand verrät ihm, dass es kurz vor vier Uhr morgens ist. Da entdeckt er auch das kleine Glasfläschchen mitsamt der Halskette auf dem kleinen Beistelltisch. Er nimmt es in die Hand und betrachtet es für einen Moment. „...Vielleicht hat sie recht und es war doch Schicksal..."

Estarossa hat sich noch einmal hingelegt und ein paar Stunden geschlafen. Über das offene Fenster, kann er die Hühner gackern hören, die fröhlich in ihrem Gehege herum wuseln. Der Vormittag ist fast vorbei, als Natalia und Hannah in sein Zimmer kommen. Sie haben eine Wanne voll warmes Wasser dabei, sowie neue Heilpaste und frische Verbände. Die Farmerin nickt ihrer Freundin einmal zu und diese lässt die beiden alleine. Natalia sagt kein einziges Wort, sondern beginnt einfach damit, seine Verbände zu entfernen und die alte Paste herunterzunehmen. Estarossa, der sich die Zeit mit einem Buch vertrieben hat, legt es zur Seite und lässt es kommentarlos über sich ergehen. Erst als sie damit beginnt seine Wunden zu reinigen und vorsichtig mit einem Waschlappen eine der genähten Stellen säubert, bricht er das Schweigen. „...Wieso tust du das?" Natalia muss nicht überlegen, in welchem Zusammenhang er diese Frage gestellt hat. Sie weiß es. Immerhin hat sie nicht vergessen, dass er ihr gedroht hat, sie bei der nächsten Begegnung zu töten. „Mitleid zu zeigen, ist eine Tugend, die einen guten Menschen ausmacht. Sie verlangt Mäßigung im Umgang mit anderen", sagte sie sanft. Estarossa öffnet den Mund und will etwas sagen, doch sie schneidet ihm das Wort ab. „Es spielt keine Rolle, dass du ein Dämon bist. Du bist ein lebendiges Wesen und hast ebenso wie andere das Recht auf Mitgefühl und Unversehrtheit."

Nun schließt er einfach die Augen und genießt das Gefühl umhegt zu werden. „Glaubst du, dass es Zufall oder Schicksal war?" Natalia ist überrascht, dass er genau die selbe Frage stellt, die sie ihm vor kurzen gestellt hat. „Glauben, entsteht aus einem offenen Herzen. Ob unser Leben von Zufall oder Schicksal geprägt ist, muss jeder für sich selbst entscheiden." Nun öffnet er seine Augen wieder und blickt sie an. „Dann denke ich, dass es Schicksal ist", sagte er. Daraufhin lächelt Natalia einmal. „Das sagt ausgerechnet der, wo nicht an Schicksalsschläge glaubt", erwidert sie und fängt an zu lachen. Estarossa brummt einmal darauf, sagt aber nichts. Die Farmerin hat seine Verbände gewechselt und packt die alten, verbrauchten Sachen zusammen. „...Weiß sie es?" Das trifft sie völlig unvorbereitet, dennoch weiß Natalia, was er meint. „Ja...", sagt sie leise. „Hannah weiß, dass du ein Dämon bist." Auch sie will etwas von ihm wissen, braucht aber noch einen Moment, bis sie ihn fragen kann. „Was ist...mit Antonio?" Estarossa hat gewusst, dass sie früher oder später diese Frage stellt. Und er hat nicht vor sie zu belügen, sondern sagt ihr die Wahrheit. „Ich hab ihn getötet." Eine Gänsehaut und ein Schauer kriecht ihr kalt über den Rücken. „Musste er sehr leiden?" Da schüttelt er den Kopf und sie legt ihre Hände in den Schoß. „Antonio war kein guter Mensch. Dennoch hat er den Tod nicht verdient." Natalia streicht sich eine Haarsträhne hinter das Ohr, die sich aus ihrem Haargummi gelöst hat. „Ich habe bei einem Bekannten Fleisch bestellt. Ich werde dir etwas bringen, sobald es geliefert wurde."

Der Abend ist hereingebrochen und Natalia winkt dem Fleischlieferanten hinterher. Da sie absolut nichts mehr im Haus hatte, musste Estarossa ohne Mittagessen auskommen. Dementsprechend ist er auch schlecht gelaunt. Der Hunger nagt in seinem Bauch und er ist am überlegen, ob er nicht einfach eines ihrer Hühner fressen soll. „Du musst wirklich verrückt sein, einen Dämon bei dir zu beherbergen", kommentiert Hannah, während sie ihrer Freundin hilft das Abendessen zuzubereiten. Natalia lächelt einmal verlegen, während sie einen Teller mit Rinderleber, Rinderherz und einer großen Beinscheibe bestückt. Der intensive Geruch der Innereien, lockt Estarossa sogleich aus dem Gästezimmer und an den Küchentisch. Er sieht die Hausherrin wortlos und dennoch vielsagend an. „Tut mir Leid, dass du hungern musstest. Fühlst du dich wirklich kräftig genug, um herumzulaufen?" Er nickt und nimmt ihr den Teller ab. Da läuft ihm sofort das Wasser im Mund zusammen. Es ist selten, dass er solch schmackhaften Organe von einem Rindvieh zwischen die Zähne bekommt. Anstatt das Fleisch gierig herunterzuschlingen, kaut er tatsächlich langsam darauf herum, um mehr von diesem Leckerbissen zu haben. Natalia und Hannah setzen sich ebenfalls an den Tisch, um Brotzeit zu machen. Hannah riskiert einen Blick und schaut zu Estarossa herüber, der völlig schmerzbefreit auf der rohen Rinderleber herumkaut.

Da wendet sie den Blick wieder ab und beißt genussvoll in ihr Käsebrot. Doch nur wenige Minuten später, geht beiden Freundinnen ein Schauer durch Mark und Bein. Der Dämon hat das Fleisch von der Beinscheibe gefressen und nun knackt der Knochen mit ekelhaften Geräuschen unter dem Druck seines Kiefers. Eigentlich hat sich Natalia daran gewöhnt, dass er rohes Fleisch isst, doch dieser Anblick, ist selbst für sie sehr befremdlich. Dennoch sagt sie nichts dazu, denn ihrer Meinung nach, wird er schon wissen, was er tut. Eigentlich ist Estarossa erstaunt, dass weder Molly noch Bruno zum betteln gekommen sind. Natalia antwortet auf seine unausgesprochene Frage, indem sie auf zwei Futternäpfe deutet, die noch vor kurzem mit Fleisch gefüllt waren. Sie wollte nicht, dass ihre Haustiere ihn belästigen. Sein Teller ist leer und sein Magen halbwegs zufriedenstellend gefüllt. „Hast Glück gehabt. Eigentlich hatte ich vor, eines deiner Hühner zu fressen." Die Hausherrin lacht und beginnt damit, den Abwasch zu machen. „Du sollst meine Tiere doch nicht essen. Ich brauche sie, um meinen Lebensunterhalt zu verdienen", sagt sie sanft. „Und du weißt, dass ich nie das tue, was man mir sagt."

Drei weitere Tage sind vergangen. Die Sonne ist gerade dabei unterzugehen und nimmt ein orangerotes Glänzen an. Hannah und Natalia drücken sich einmal, als sich die Freundin verabschiedet. „Und du bist sicher, dass ich dich mit diesem durchgeknallten Kerl alleine lassen kann?" Die Augenbraue des Dämons zuckt einmal darauf. „Der durchgeknallte Kerl reißt dir gleich den Bauch auf und saugt deinen Darm aus wie eine Nudel", faucht er. „Da will ich auch dabei sein, Silberlöckchen", erwidert Hannah frech. „Oh, glaube mir...du wirst dabei sein...", knurrt Estarossa gereizt. Natalia muss über die Sticheleien der beiden amüsiert lachen. „Pass gut auf dich auf und komm gut nach Hause, Hannah." Ihre Freundin ist ungezügelt und verwegen. Natalia wusste, dass Hannah niemals zögern würde, um sie zu beschützen. Als Antonio sie das erste mal belästigt hat, hatte Hannah ihm so hart eine verpasst, dass er hinterher eine gebrochene Nase hatte. „Du kennst mich doch, also mach dir keine Sorgen." Sie zwinkert ihrer besten Freundin einmal zu. „Wir sehen uns", sagt sie und geht dann. Natalia winkt ihr noch hinterher. „Nochmal danke, dass du auf meine Tiere und auf meine Farm aufgepasst hast." Da schließt sie lautlos die Tür und fühlt sich schon ein Stück einsamer. Die Farmerin schaut Estarossa an und dieser erwidert ihren Blick. „...Ich nehme an, dass du auch bald gehen wirst." Sie faltet die Hände vor ihrem Bauch und lächelt berührt. „...Ich habe mich noch gar nicht bei dir bedankt, dass du mich vor Antonio und der Öllampe gerettet hast. Gibt es etwas, damit ich meine Dankbarkeit dir gegenüber ausdrücken kann?" Der Dämon sieht sie mit einem neutralen Blick an, doch da schmunzelt er auf einmal. „...Ja...da gibt es etwas..." Estarossa legt ihr eine Hand auf die Schulter, beugt sich zu ihr herunter und flüstert ihr etwas ins Ohr. Da weiten sich auf einmal ihre Augen. Sie hat den Mund perplex geöffnet und eine immense, intensive Röte schimmert auf ihren Wangen.


Mein Freund, der DämonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt