Eine Woche ist vergangen. Xander steht vor dem Grab von Johann und weint sich die Augen aus. Sein über alles geliebter Urgroßvater ist sieben Tage nach der Hochzeit seiner Eltern gestorben. „Mama..." Er hängt an dem Mantel seiner Mutter, die tröstend die Arme um ihn legt. „Ich bin auch sehr traurig, mein Schatz." Sie wischt sich eine Träne aus dem Augenwinkel und kann es nicht länger zurückhalten. Sie beginnt selbst zu weinen. Estarossa nimmt sie in den Arm und streichelt seinem Sohn über den Kopf. „Er war ein echter Teufelskerl. Es wirkt beinahe so, dass er erst loslassen konnte, nachdem wir geheiratet haben." Natalia erinnert sich daran, dass ihr Opa immer gesagt hat, dass es sein größter Wunsch ist, sie in einem Hochzeitskleid zu sehen. Zeldris hat Anunnaki auf dem Arm. Die kleine Halbdämonin versteht gar nicht richtig, warum ihr Uropa auf einmal nicht mehr da ist. Sie klammert sich an ihren Onkel und weint still vor sich hin. Tapfer wischt sich die Farmerin das Gesicht trocken, dann geht sie in die Hocke und sieht ihren Sohn an. „Hör mir zu, Xander. Uropa mag zwar nicht mehr sichtbar sein, doch er ist immer bei uns. Er wird für immer bei uns sein. Auch wenn du ihn nicht sehen kannst." Ihr Sohn schaut sie mit seinen traurigen Kinderaugen an. „...Wirklich...?" Sie nickt. „Versprochen. Es ist nur der Körper, der stirbt. Doch sein Herz und seine Seele sind noch immer hier. Bestimmt steht er gerade hinter dir und fragt sich, warum du so traurig bist." Instinktiv, dreht sich Xander einmal um. Doch da ist nichts zu sehen. „...Bist du sicher...?" Estarossa nimmt seinen Sohn auf den Arm. „Mama hat recht, Sohn. Uropa wird immer bei uns sein. Das ist immer so. Weißt du, mein eigener Papa ist auch gestorben. Und ich höre ihn heute noch quasseln. Manchmal wünsche ich mir, er würde endlich mal die Klappe halten."
Das treibt Xander doch ein kleines Lächeln ins Gesicht. „Lass uns wieder ins Haus zurückgehen. Johann hätte nicht gewollt, dass wir lange um ihn trauern." Er lässt seinen Sohn wieder runter und nimmt seine Hand. Anunnaki gibt er einen Kuss auf den Kopf. Der kleine Halbdämon folgt seinem Vater zurück ins Haus, doch plötzlich bleibt er stehen und schaut in den Horizont. „Papa? Denkst du, dass Onkel M irgendwann zurückkommt?" Zwei Tage nach der Hochzeit, ist Meliodas überraschend aufgebrochen. Alles was er hinterlassen hat, ist ein Zettel mit einer Nachricht darauf. Seitdem fehlt von Meliodas jede Spur. „Wer weiß? Mein großer Bruder hatte schon immer seinen eigenen Kopf. Er ist absolut unergründlich und hat ein unberechenbares Wesen." Estarossa drückt seine Hand einmal leicht. „Wenn du ganz fest an ihn denkst, kommt er dich vielleicht einmal in deinen Träumen besuchen." Als Xander seinen traumwandelten Onkel das erste mal getroffen hat, ist er sehr schüchtern gewesen. Doch schon bald, hat er eine tiefe Zuneigung zu ihm aufgebaut. „Das werde ich machen, Papa." Vielleicht kann er zumindest in seinen Träumen noch mit Meliodas spielen. Natalia ist beim Abendessen sehr still. Kein Lächeln ist auf ihrem Gesicht zu sehen. Immer wieder, fällt ihr Blick schweigend auf den leeren Stuhl, auf dem immer ihr Großvater gesessen hat. Estarossa ist nicht dumm. Ihm fällt auf, dass sie darunter leidet. Daher legt der Dämon seine Hand auf ihre und streichelt ihren Handrücken. Normal hat sie ihn bei dieser Geste immer sanft angelächelt, doch ihre Mimik verändert sich nicht. Sie versucht stark zu sein, für ihre Kinder und für sich selbst.
Xander schaut seine Mutter an und erinnert sich, was sie ihm beigebracht hat. Also geht er zu ihr und zieht an ihrem Kleid. „Schau mal da, Mama." Er zeigt auf den leeren Stuhl. „Uropa sitzt gerade da und fragt sich, warum du so traurig bist." Überrascht schaut sie ihren Sohn an. Das sind genau dieselben Worte, die sie ihm heute gesagt hat. Auf einmal kehrt ihr Lächeln auf ihr sanftes Gesicht zurück und sie nimmt ihn auf ihren Schoß. „Ja, du hast recht, mein Schatz." Sie knuddelt ihn und verteilt Küsse auf seinen Wangen. Estarossa wirkt deutlich entspannter. Doch auf einmal fängt Anunnaki an zu quengeln. Sie schaut ihren Papa wehleidig an und will von ihm auf den Arm genommen werden. „Was hast du denn, meine Süße?" Normal ist sie auf ihren Bruder nie eifersüchtig, daher wundert ihn das Verhalten seiner Tochter doch sehr. Plötzlich steigen ihr die Tränen in die Augen und sein kleines Mädchen fängt an zu weinen. „Papa...ich hab Zahnaua", jammert sie. Da schaut der Dämon ein bisschen hilflos zu seiner Frau herüber. Natalia lässt ihren Sohn wieder herunter und steht nun auf. „Lass mich mal sehen, Anunnaki." Sie schaut ihre Mama an und öffnet dann den Mund. „Dann schauen wir mal..." Die Farmerin schaut sich die Mundhöhle ihrer Tochter an und macht dann große Augen. „Oh...? Schau mal da, Estarossa. Da kommt ein Reißzahn." Und tatsächlich schaut aus ihrem Oberkiefer ein durchaus spitzer Eckzahn heraus. „Immer noch Zahnaua", wimmert sie leise. Ihre Mutter gibt ihr einen Kuss auf den Kopf, während ihr großer Bruder mit ihr schmusen will. Er hat das in ihrem Alter auch durchmachen müssen. „Das haben wir gleich, meine Süße." Natalia verschwindet kurz in ihre Vorratskammer und kommt mit einem kleinen Säckchen wieder. „So, nochmal weit aufmachen, Anunnaki." Nun streicht sie ihrer Tochter die schmerzende Stelle mit Teebaumöl ein und lässt sie auf einer Nelke herumkauen. Sie schmeckt nicht besonders gut, doch es hilft. Langsam entspannt sie sich wieder und kuschelt sich nun müde an ihren Papa heran.
Estarossa steht auf und bringt seine Tochter nach oben. Er hilft ihr beim Zähne putzen und bringt sie dann ins Bett. Normal liest ihre Mutter ihr immer eine Geschichte vor, doch heute übernimmt der Dämon diese Aufgabe. Noch bevor er überhaupt das Ende der Geschichte erreicht hat, ist Anunnaki schon eingeschlafen. Er beugt sich zu ihr und haucht ihr einen Kuss auf die Schläfe. „Gute Nacht, meine Kleine. Mal sehen, wann du wieder bei Zel auftauchst." In der Zwischenzeit haben Natalia und Hannah den Tisch abgeräumt und die Küche sauber gemacht. Sie schaut ihre Kindheitsfreundin besorgt an. Hannah kann sich nicht vorstellen, wie es in Natalia gerade aussieht. Immerhin hat sie ihren Opa erst eben verloren. Plötzlich springt Molly auf den Tresen und schmiegt sich einmal an ihr Frauchen heran. „Es hat dich ganz schön hart getroffen. Tut mir sehr Leid, dass er so schnell verstorben ist", miaut sie. Die Farmerin lächelt einmal traurig und muss sich erneut die Tränen verbeißen, daher nimmt sie die blaugraue Kätzin auf den Arm und streichelt sie. „Ist schon gut, Molly. Du kannst schließlich nichts dafür." Es ist für sie noch ein wenig befremdlich, sich mit einem Tier zu unterhalten. Doch sicher wird sich Natalia auch an diese bizarre Situation gewöhnen können. Sanft setzt sie ihre Kätzin wieder ab und spielt noch eine halbe Stunde mit ihrem Sohn. Doch dann muss auch er sich die Zähne putzen und ins Bett. „Sei schön brav und schlaf jetzt. Wenn du etwas brauchst, Papa und ich sind im Schlafzimmer." Sie gibt Xander noch einen Kuss und geht dann wieder. Kaum hat sie das Kinderzimmer verlassen, verschwindet ihr Lächeln wieder und sie kommt zu Estarossa ins Schlafzimmer.
Er braucht kein einziges Wort zu sagen, sondern breitet nur seine Arme aus, sodass sie sich an seine Brust schmiegen kann. Sie weiß, dass sie bei ihm nicht stark sein muss. Da kann sie sich fallen lassen. Und die Farmerin hält sich kein bisschen zurück, sondern heult sich laut schluchzend bei ihm aus. Irgendwann hat sich der Dämon mit ihr hingesetzt, damit sie sich an seiner Schulter ausweinen kann. In dieser äußerst schweren Zeit, kann er sie nur trösten und in seinen Armen halten. „Natalia..." Er streicht ihr durch die Haare und drückt sie schützend an sich. Es klopft. „Was willst du, Goldfasan?" Er hat sie schon gerochen, als sie erst die Treppe hochgekommen ist. Leise öffnet sie die Tür und kommt mit einer Teetasse herein. Hannah stellt sie auf dem Nachtkasten ab und schenkt ihrer Freundin ein aufmunterndes Lächeln. „Ich danke dir, Hannah." Sie nimmt sogleich die Tasse und trinkt etwas von dem wohltuenden Beruhigungstee. Sie schmeckt das bittere Aroma von Baldrian, Johanniskraut und Orangenschalen heraus. Eine sehr gute Mischung, um Angst und Stress zu reduzieren. Hannah hat im laufe der Jahre viel von der Farmerin gelernt. „Ich lass dich dann wieder in Ruhe. Ich hoffe, dass du dennoch etwas schlafen kannst." Natalia schaut ihr hinterher und seufzt dann einmal. Sie wischt sich mit einem weichen Tuch über das tränennasse Gesicht und trinkt ihren Tee, den man extra für sie gekocht hat. Irgendwann hat sie sich einigermaßen beruhigen können. Die Farmerin hat sich ins Bett gekuschelt und an ihren Mann geschmiegt. Beide haben ihre Finger miteinander gekreuzt und betrachten jeweils den Ehering des anderen. „...Hast du eigentlich Angst zu sterben, Estarossa?" Er scheint von dieser Frage ein wenig überrascht zu sein. „Ich weiß es nicht. Da ich unsterblich bin, habe ich ehrlich gesagt nie darüber nachgedacht." Der Dämon sieht sie an. „Wieso fragst du mich das?" Sie schüttelt den Kopf. „Wolltest du Xander vorhin bloß trösten, oder ist dein Vater wirklich tot?"
Estarossa schaut an die Decke. „Er ist wirklich tot. Zwar kann uns die Zeit und das Alter nichts anhaben, doch durch schwerste Verletzungen, von denen sich selbst Dämonen nicht mehr erholen können, können auch wir sterben." Er schmiegt sich wieder enger an sie heran und vergräbt seine Nase in ihrem Haar. „Versuch ein bisschen zu schlafen. Du denkst zu viel über belanglose Kleinigkeiten nach." Sie nickt und rollt sich richtig warm ein. Sie muss den Tod von Johann erst einmal verarbeiten. Doch sie weiß auch, dass alles lebendige eines Tages stirbt. Der Dämon hält sie einfach nur im Arm und wartet. Er wartet, bis sie eingeschlafen ist. Erst dann, wird er die Augen selbst zumachen und schlafen. Nach einer Stunde hat sich ihr Atem verändert. Er ist ruhiger und gleichmäßiger. Sie ist eingeschlafen und er wird die ganze Nacht lang auf sie aufpassen, wenn es sein muss. Estarossa nimmt ihre Hand und drückt sie einmal zärtlich. Langsam aber sicher, fallen auch ihm die Augen zu, doch plötzlich spürt er einen kalten Hauch um sich wehen, als sich eine schneeweiße, kaum sichtbare Hand auf seine legt. Der Dämon erschrickt im ersten Moment, nur um dann in das warmherzige Gesicht von Johann zu blicken. Sein sonst so faltiges Gesicht weist nun sehr feine Züge auf und er ist von schillernden Sternenstaub umgeben. „Ich sehe es dir an der Nasenspitze an, mein Junge." Er schaut den Dämon mit großer Güte und Warmherzigkeit an. „...Du als übernatürliches Wesen kannst mich sehen. Doch bevor ich komplett loslassen kann, muss ich mir sicher sein, dass es ihr gut geht." Nun richtet sich Estarossa etwas auf, ohne dabei Natalia zu wecken. „Ich habe es ihr doch versprochen, alter Zausel. Ich habe geschworen, dass ich sie mit meinem Leben beschützen werde. Selbst eine geisterhafte, körperlose Gestalt wie du sollte wissen, dass ich mein Wort niemals brechen würde." Johann lächelt und nickt ihm einmal zu. Dann legt er seine ausgemergelten Hände an das Gesicht des Dämons. „...Achte gut auf sie, mein Junge. Sie braucht dich jetzt mehr, als jemals zuvor. Ich weiß, dass du einen unbeugsamen Willen hast." Estarossa grinst, sodass man seine Fänge sehen kann. „Überlass einfach alles mir, alter Johann." Ihr verstorbener Großvater weiß nun, dass sie wirklich in guten Händen ist. Langsam löst er sich auf und ist bereit endgültig loszulassen. „...Wir werden uns eines Tages wieder sehen...mein Sohn..." Dann wird es still. Der Dämon legt sich wieder bequem hin und betrachtet seine Natalia, wie sie noch immer vor sich her schläft. „...Wenn du wüsstest...", sagt er leise. „...Ich habe eine wohl sehr verrückte Nacht noch vor mir." Doch er kann nicht anders und lächelt. „...Ich werde es ihr morgen früh ausrichten, du alter Teufelskerl..."
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Mein Freund, der Dämon
FanficDer Krieg gegen die Dämonen war gewonnen. Doch was macht alle so sicher, dass sie wirklich tot sind? Estarossa der Nächstenliebe hat den brutalen Angriff von Escanor wie durch ein Wunder überlebt. Halb tot wurde er von einer Farmerin gefunden und ge...