Estarossa wirft immer wieder einen Beutel voller Gold in die Luft und fängt ihn wieder auf. Hinter ihm zerfällt die Lieferkutsche, die er vor wenigen Momenten auseinandergenommen und geplündert hat. Die Insassen – ein erst vor kurzem verheiratetes Ehepaar, liegt mit unnatürlich verdrehten Köpfen am Waldrand. Er hat sich weder beim ersten, noch beim zweiten Überfall die Mühe gemacht, seine Opfer im Boden zu vergraben. Zu seinem Bedauern, war in dieser Kutsche hauptsächlich nutzloses Zeug gewesen. Das einzige, was für ihn nützlich war, sind Gold und Nahrung. Drei Tage liegen zwischen den beiden Überfällen. Und weder die eine, noch die andere Kutsche, wird je an ihr Ziel kommen. Estarossa fängt den Beutel ein letztes mal auf, dann bindet er ihn an dem Gürtel fest. Er holt ein Stück von dem eben erbeuteten Trockenfleisch hervor, um darauf herum zu kauen. „Hmm...", macht er es überrascht. Es ist geschmackvoll und zäh zugleich. „Da hätte ich auch den Gaul fressen können..."
Wenn der Dämon zurück nach Britannia will, dann muss er sich unbedingt Informationen beschaffen. Und das geht nirgendwo besser, als einem Ort, wo viele Menschen sind. Also greift Estarossa auf eine Methode der Menschen zurück, die er sich einmal vor langer Zeit abgeschaut hat. An der nächsten Weggabelung verlässt er den Wald, überquert eine Lichtung und findet dort einen Feldweg. Er setzt sich an den Wegesrand, und wartet geduldig auf einen Bauern oder einen Viehzüchter. Doch zuvor musste er sicherstellen, dass niemand ihn als Dämon erkennen konnte. In diesem Moment bleibt ihm nichts anderes übrig, als seinen Stolz zu überwinden. Das schwarze Mal auf seiner Stirn verschwindet. Und seine dunklen, fast schwarzen Augen klaren auf, und nehmen die helle Farbe, von einem wunderschönen Meerblau an. Entspannt lehnt sich Estarossa ins Gras zurück, verschränkt die Arme hinter dem Kopf und macht ein kleines Nickerchen. Er ist sich absolut sicher, dass früher oder später jemand vorbeikommen wird. Immerhin werden Feldwege gerne als Wanderwege benutzt.
Das Geräusch von Hufen und knarrendem Holz, dröhnt Estarossa wie ein kleines Beben in den Ohren. Er öffnet die Augen und setzt sich auf, als ein Holzwagen anhält, der von einem Esel gezogen wird. Ein älterer Mann blickt argwöhnisch auf ihn herab. „Verlaufen, Bursche?" Seine Stimme krächzte, wie altes, trockenes Holz, das von Feuer aufgefressen wird. „Könnte man so sagen", antwortet der Dämon nach einer Weile. Der Alte mustert ihn genau. Vermutlich, hält er ihn für einen Adeligen, da er die gute, gestohlene Kleidung trägt. „Wo willste den hin, Bursche?" Estarossa zuckte mit den Schultern. „Nach Kusa", sagte er. Da kratzt sich der alte Bauer am Kopf, als ob er über etwas nachdenken würde. „Nicht ganz mein Ziel, aber meine Richtung." Er rutscht ein Stück zur Seite. „Steig auf, Junge. Ich nehme dich bis nach Oberberg mit." Estarossa wendet nun seinen Blick auf das Zugtier. „Sicher? Dein Esel sieht aus, als ob er jeden Moment einen Herzanfall kriegt und tot umfällt." Da lacht der alte Bauer heiser auf. „Keine Sorge, Junge. Die alte Bessy schafft das schon. Sie mag zwar in die Jahre gekommen sein, doch für ein paar Karotten, würde sie ans Ende der Welt laufen."
Nachdem sich Estarossa neben den Bauern gesetzt hat, zieht der alte, aber brave Esel seinen Karren weiter. „Ich hatte schon lange keine Gesellschaft mehr, Fremder. Manchmal können meine Lieferungen ziemlich einsam sein. Wenn ich so gut aussehen würde wie du, würde ich mein Geld anders verdienen." Da schmunzelt der Dämon einmal, nachdem der Alte diesen Kommentar von sich gegeben hat. „Was bringst du denn nach Oberberg?", wollte er wissen. „Eier. Jede menge Eier." Da lächelt der alte Bauer einmal. „Du erinnerst mich daran, als ich noch jung war. Ich bin jetzt Zweiundsiebzig und bringe jede Woche, unzählige Eier von Galandel nach Oberberg." Dieser Anblick erinnert Estarossa daran, wie zerbrechlich und kurzlebig Menschen doch sind. Er hatte viele kommen und gehen sehen, immerhin ist er über dreitausend Jahre alt. Fast wie automatisch, greift er in seine Hosentasche und holt die Haarsträhne von Natalia hervor. Als der Bauer das sieht, musste er grinsen. „Eine Locke von deiner Geliebten?" Seine silberne Augenbraue zuckt einmal bedrohlich. Dennoch zwingt er sich, ruhig zu bleiben. „Sie ist nicht meine Geliebte. Nur jemand...den ich kenne", sagte er mit einem leicht bissigen Unterton und steckt die Haarsträhne wieder weg.
Das Grinsen weicht dem alten Mann nicht aus dem Gesicht. Dennoch bohrt er nicht weiter nach. Beide schweigen für eine längere Zeit, doch schließlich wird die Stille von Estarossa gebrochen. „Ist es noch weit bis nach Oberberg?" Der Bauer schüttelt den Kopf. „Vielleicht noch eine halbe Stunde." Der Dämon übt sich in Geduld. Bald erblickt er die ersten Gebäude, die schüchtern ihre Dächer zeigen. Estarossa schnauft einmal belustigt. „Jetzt verstehe ich, warum dieser Ort Oberberg genannt wird." Das kleine Städtchen wurde auf den Gipfel eines Berges erbaut. Daher musste die alte Bessy den Karren erst einmal einige Hügel hinauf ziehen, um an ihr Ziel zu gelangen. „Da wären wir, Fremder." Der Alte nimmt seinen Gehstock und steigt von seinem Holzwagen. Estarossa folgt ihm, während er den Schutz an seinem Wagen öffnet und somit den Blick auf die unzähligen Eier frei gibt. „Hör zu, Bursche. Wenn du nach Kusa willst, dann folge diesem Weg ins Marschland herunter. Nach vier oder fünf Kilometern, kommt eine Abzweigung, an der du nach links gehen musst. Nach einer Weile solltest du dann eine Bergkette sehen können. Kusa ist eine wunderschöne Stadt und wurde auf sieben Bergen erbaut. Ich empfehle dir, die große Windmühle einmal zu besuchen. Sie ist das Wahrzeichen der Stadt."
Estarossa prägt sich die Wegbeschreibung des alten Mannes ein. „Danke", meinte er nur monoton darauf. „Eine Sache noch, Jungchen", sagte er. Der Bauer geht zu seinen Holzwagen und holt eine Palette mit Eiern hervor. „Hier...die sind für dich. Falls du unterwegs Hunger bekommst." Der Dämon nimmt ihm die Palette ab, während der Alte ihn anlächelt. „Mehr kann ich nicht mehr für dich tun. Wenn du gut zu Fuß bist, solltest du Kusa spätestens morgen erreichen." Der Dämon nickt ihm nur einmal zu. Dann wendet er sich ab, krault dem alten Esel kurz die Ohren und geht. Neugierige und verstohlene Blicke huschen ihm hinterher. Doch lässt er sich nichts anmerken und lässt Oberberg schnell hinter sich. Eigentlich wollte er dem alten Bauern ebenfalls den Hals umdrehen, doch dann hat er es sich anders überlegt und lässt ihn am Leben. Seine Lebensspanne ist ohnehin nur noch sehr kurz. Estarossa schaut auf die Eier in seinen Händen. Lange werden sie ohnehin nicht überleben. Er folgt dem Weg, der ins Marschland abfällt. Langsam flacht das Land wieder ab und wird zunehmend sumpfiger. Das Sumpfgebiet streckt sich über mehrere Kilometer, bis die vom alten erwähnte Abzweigung kommt. Der Dämon biegt nach links ab und lässt seinen Blick durch den Horizont gleiten. Nach einem halben Tagesmarsch, erstreckt sich eine Bergkette vor ihm, also ist er richtig. „Und ich dachte, der Alte ist senil."
Die Sonne ist schlafen gegangen und der Mond hat ihren Platz eingenommen. Estarossa hat sich in einem kleinen Waldstück versteckt, um dort die Nacht zu verbringen. Erschöpft liegt er auf einem umgestürzten Baumstamm und verschlingt die Eier, die der alte Bauer ihm geschenkt hat. Er klopft die Eierschale mit einer Hand am Baum auf, klappt die Schale auseinander und lässt sich die glibbrige Masse auf die ausgestreckte Zunge fallen, um sie direkt zu schlucken. Die leeren Schalen wirft er achtlos in den Wald, wo sie eines Tages zersetzt und dann als Dünger dienen wird. Doch auf einmal, macht sich in Estarossa ein unangenehmes Gefühl breit. Ein drücken, welches er nur selten spürt. „...Verdammt nochmal..." Er steht vom Baumstamm auf, blickt sich aufmerksam um, und sucht sich dann eine Stelle, wo er sich in Ruhe erleichtern kann. Auch wenn sein Körper das meiste von seiner Nahrung verarbeiten kann. Ein oder zweimal im Monat, muss auch er ein stilles Örtchen besuchen. Aus dem frühen schlafen wird dann erst einmal nichts, denn nun geht der Dämon an einen See in der Nähe, wo er sich im Mondschein waschen will. Estarossa legt den Mantel, die Hose und die Stiefel ab, versteckt alles in einem Busch und springt nackt ins Wasser.
Eine Gänsehaut legt sich über ihn, während die Kälte durch seinen Körper kriecht. Der Dämon stöhnt einmal auf, klatscht sich Wasser ins Gesicht und lässt sich dann bis zum Hals im See versinken. „...Verdammt nochmal, tut das gut..." Das kalte Seewasser lässt seinen Körper langsam taub werden. Ein großartiges Gefühl, das ihm zeigt, dass er noch am Leben ist. Estarossa legt den Kopf in den Nacken und betrachtet den Mond, der nur noch als Halbkugel zu sehen ist. Die Sterne funkeln hell am Himmel und erinnern an unerreichbare Zuckerkristalle. Nach einem Moment der Ruhe, wäscht er sich dann Gesicht, Haut und Haare und verlässt den See wieder. Seine Kleidung findet er an der Stelle wieder, wo er sie zurückgelassen hat. Nachdem er ein bisschen abgetropft ist, zieht er sich wieder an und kehrt in das Waldstück zurück, wo er sich die letzten Eier für den Morgen aufheben will. Nach einem für ihn entspannten Bad in einem See, schließt er die Augen und findet endlich eine Mütze voll Schlaf.
Estarossa hat seinen Weg noch vor Sonnenaufgang fortgesetzt. Die restlichen Eier vom Vortag hatten ihm nicht gereicht, also hat er einem unvorsichtigen Kaninchen in einem Kornfeld aufgelauert und es gefressen. Warme Sonnenstrahlen streicheln seine Haut, während der Dämon einen langen Hügel hinauf geht und an dessen Ende vor einem gigantischen Torbogen steht. „...Der Alte hat nicht übertrieben..." Kusa ist eine große und wirklich schöne Stadt. Die Häuser stehen in regelmäßigen Abständen auf unebenen Bodenoberflächen. Dabei hatte man beim Bau der Gebäude, diese perfekt an die Hanglage angepasst. Doch am auffälligsten ist die große Windmühle die am höchsten Punkt der Stadt steht. Plötzlich dreht sich der Wind und versetzt die Flügel der großen Mühle in Bewegung. Der göttliche Wind bläst über die gesamte Stadt. Er fegt Estarossa ins Gesicht und weht sein silbernes Haar zurück. Solch erfrischender Wind muss einzigartig in der Welt sein. Es fühlt sich an, als ob etwas magisches dabei ist. Der Dämon schüttelt einmal den Kopf und streicht sich die Haarsträhnen aus dem Gesicht, die sich aus seiner wirren Mähne gelöst hat. Er lässt den Torbogen hinter sich und betritt die Stadt, die bereits am Eingang voller Leben steckt. Ein absolut perfekter Ort, um ein paar Menschen über Alondara und dem Weg nach Britannia auszuquetschen. Estarossa will so schnell wie möglich dorthin zurück. Estarossa ist kein Mann, der nur halbe Sachen macht. Und dabei interessiert es ihn nicht, woher die Informationen kommen, also beginnt er damit die Stadt zu erkunden und hofft auf ein paar Menschen, die ihm helfen können.
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Mein Freund, der Dämon
FanfictionDer Krieg gegen die Dämonen war gewonnen. Doch was macht alle so sicher, dass sie wirklich tot sind? Estarossa der Nächstenliebe hat den brutalen Angriff von Escanor wie durch ein Wunder überlebt. Halb tot wurde er von einer Farmerin gefunden und ge...