Kind eines Dämons

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Johann wischt Natalia mit einem feuchten Lappen den Schweiß von der Stirn und nimmt ihre Hand. Die Mohnsamen können ihre Schmerzen nur bedingt lindern. Hannah kommt herein und hat einen Berg an Handtüchern dabei. „Das Wasser ist gleich warm genug. Du hast es bald überstanden." Sie legt ihr noch ein Kissen in den Rücken und versucht ihr mit aller Kraft beizustehen. Vor ein paar Stunden, ist Natalia die Fruchtblase geplatzt und liegt seitdem in den Wehen. „Wasser...", presst sie erschöpft hervor. Ihr Opa reicht ihr einen Becher und hilft ihr beim trinken. „Du bist so tapfer...ich gehe schnell das warme Wasser für dein Baby holen." Obwohl die Farmerin seit Stunden unsagbare Schmerzen erleidet, kann sie an nichts anderes, außer an ihr Kind denken. Sie hat in den letzten Monaten alles erledigt, was sie für ihren Nachwuchs braucht. Johann hat sogar ein Bett aus Holt gebaut. Schließlich geht dann alles ziemlich schnell. Ihr Großvater hält ihre Hand, während Hannah geduldig mit einem kuscheligen Handtuch auf das noch ungeborene Kind wartet. „Noch ein kleines bisschen, Natalia. Du hast es fast geschafft." Aller Schmerz ist sofort vergessen, als sie ihr Kind zum ersten mal weinen hört. Das kleine Bündel schreit kräftig und ist kerngesund. Natalia schießen die Tränen in die Augen, nachdem sie das kleine Ding auf den Arm nimmt. „...Ein Junge", sagte sie. „Es ist ein Junge."

Johann wischt sich ein paar Freudentränen weg. Er bindet die Nabelschnur ab und schneidet sie durch, bevor der kleine Junge gebadet wird. Nun wird das Neugeborene in ein frisches, warmes Handtuch gewickelt. Natalia legt ihren Sohn sogleich an ihre Brust an und betrachtet ihn voller Liebe. „...Ein kleiner Halbdämon...", sagte Johann. „Sieh dir nur seine Merkmale an." Der Säugling hat auf der Stirn ein kleines, spiralförmiges Mal. Auf seinen Gliedmaßen sind dunkle, dämonische Streifen und auch die winzigen Hände haben jetzt schon die Eigenschaft, dass später einmal tödliche Klauen daraus werden. Leise jammert der Junge vor sich her und schläft schließlich unter dem trinken ein. Hannah legt ihrer Freundin eine Hand auf die Schulter. „Herzlichen Glückwunsch! Wie heißt er denn?" Die Farmerin hat sich für beide Optionen einen hübschen Namen überlegt, daher dauert ihre Antwort auch nicht lang. „Xander", antwortet sie. „Sein Name ist Xander." Natalia ist unglaublich müde und will sich erst einmal ausruhen. Daher nimmt ihr Opa seinen Urenkel auf den Arm und passt auf ihn auf, bis sich seine Mutter wieder etwas erholt hat. Am Abend steht nun ein wichtiges Ereignis bevor. „Bruno, komm her, mein Junge." Natalia geht langsam auf die Knie und zeigt ihrem Hund ihren Sohn. „Schau...das ist Xander. Er gehört von jetzt an zu unserer Familie." Der Bernhardiner schnüffelt sogleich an ihm und fängt an zu sabbern und zu jaulen. Am liebsten will er sofort mit seinem neuen Freund spielen. „Du bist so ein guter Junge", lobte sie ihn. Nun ist das Interesse von Molly auch geweckt, woraufhin sie den kleinen Halbdämon ebenfalls einmal anschauen geht. „Sei bitte lieb zu ihm, Molly." Sie weiß nämlich, wie kratzbürstig und eifersüchtig die blaugraue Kätzin sein kann.

Sie betrachtet ihn einmal ruhig, zuckt mit den Schnurrhaaren und zieht sich dann auf ihre Lieblingsdecke zurück. „Er scheint ihr egal zu sein", sagte Johann und lacht. Natürlich wäre Natalia ein freundlicher Umgang lieber gewesen. „Sie wird sich bestimmt noch an ihn gewöhnen." Immerhin hatte sich Molly immer wieder auf den Babybauch von Natalia gelegt und hat leise vor sich her geschnurrt. Die erste Nacht ist sehr unruhig. Die Farmerin findet kaum Schlaf, da ihr kleiner, wehrloser Sohn oft wegen Hunger anfängt zu weinen. Doch am frühen Morgen, erlebt sie eine Überraschung. Als sie Xander aus seinem Bettchen nehmen will, liegt eine blaugraue Kugel neben ihm. Molly hebt müde den Kopf, gähnt einmal herzhaft und fängt an das Kind zu putzen. Natalia ist überglücklich zu sehen, dass sie ihn doch noch akzeptiert hat. Xander wimmert leicht, als die raue Zunge seiner pelzigen Freundin über seinen Kopf streicht. Umso mehr. Kuschelt er sich dann an seine liebevolle Mutter heran. Hannah ist heute schon sehr früh auf den Beinen und hat das Frühstück gemacht. „Guten Morgen, du siehst wirklich müde aus." Natalia begrüßt sie mit einem breiten Lächeln und gähnt einmal herzlich. „Nun...schlaflose Nächte sind eben das Los einer liebenden Mutter."Eine Woche später, nimmt sie Xander das erste mal mit auf die Weide. Sie legt ihn in das Weidenkörbchen, das sie geflochten hat und deckt ihn mit einer weichen Decke zu. Der Junge strahlt seine Mutter mit seinen großen, blauen Augen an. „Mein kleiner Liebling..." Natalia kann auf diese Weise ihre Kühe melken und gleichzeitig ihren Sohn im Auge behalten.

Schon jetzt, erkundet der kleine Halbdämon seine Umgebung mit den Augen, lauscht den verschiedenen Geräuschen und nimmt unterschiedliche Gerüche Wahr. In wenigen Tagen wird der Mai anfangen. Sie werden immer wärmer und länger. Natalia blickt einmal zu den Pfirsichbäumen hoch und betrachtet sehnsüchtig die kleinen, unreifen Früchte. Aus einem der Kerne ist ein gesunder, kleiner Setzling gewachsen, der sich energisch dem Sonnenlicht entgegen streckt. Auf einmal legt sich ein Schatten über Xander. Der riesige Kopf von Lili erscheint, woraufhin Natalia erschrocken aufspringt und dabei fast den Milcheimer umgestoßen hätte. Ihr Sohn bekommt riesengroße Augen, wie die brave Tinkerstute ihn abschnüffelt und ihm dabei den warmen Atem ins Gesicht bläst. Da fängt Xander an zu lachen und legt seine winzigen Hände auf die samtweiche Pferdeschnauze. „Seit wann bist du so schreckhaft? Es ist doch ganz normal, dass deine Tiere neugierig auf ihn sind." Hannah setzt sich neben sie ins Gras und stellt den Korb voller Eier ab. „Tut mir Leid...seit er auf der Welt ist, habe ich ständig Angst, dass er verletzt werden könnte." Lili hat sich inzwischen abgewendet und grast in voller Zufriedenheit neben Philly. Kurze Zeit später, fängt das Kind an zu quengeln und verlangt nach seinem Mittagessen. „Oh...? Könntest du sie bitte fertig melken?" Ihre Freundin nickt einmal und setzt auf den Melkeimer. Die Farmerin zieht sich unter ihren Lieblingsbaum zurück, nimmt Xander aus dem Weidenkörbchen und legt ihn an. Während er trinkt, betrachtet sie ihn voller Liebe und Zuneigung. Sanft streichelt sie ihm über das kleine Köpfchen. „Mein kleiner, süßer Liebling...ich wünsche, dass er dich auch sehen könnte..."

Estarossa schlägt seine Klauen in den toten Baum und ist punktgenau gelandet. Er zieht seine Schwingen in den Körper zurück und richtet seinen Blick über Britannia. Der harte Winter hat ihn lange in Ishgalad festgehalten und Valia ist ein sehr großes Land. Vor einer Stunde, hat er die Grenze passiert und verschafft sich einen Überblick. „...Das ist unmöglich..." Die Spuren des Kriegs sind kaum noch zu sehen. Das Land blüht langsam wieder auf und findet zu seiner alten Stärke zurück. „...Solange kann ich gar nicht weg gewesen sein...was ist hier nur passiert?"Bevor er von Escanor ins Nichts befördert wurde, lag Britannia in Schutt und Asche. Kein Stein, stand mehr auf dem anderen. Verwirrt und verunsichert, breitet Estarossa seine dunklen Flügel wieder aus und fliegt weiter ins Landesinnere. Nach einer gefühlten Ewigkeit, taucht unter ihm eine kleine Siedlung auf. Die Menschen, die sie bewohnen, wirken glücklich und vor allem zufrieden. Kinder spielen zusammen oder jagen die Hühner. Bei diesem Anblick, bekommt der Dämon Hunger. Doch so schnell sein Interesse gekommen ist, geht es auch wieder. In solch einem kleinen Ort, wird er ohnehin keine Informationen bekommen. Also zieht er weiter, ohne einen weiteren Blick an die kleine Siedlung zu verschwenden.

Die Sonne geht unter, weshalb sich Estarossa einen Schlafplatz suchen geht. Unterwegs hat er sich noch ein Kaninchen geschnappt und frisst es in aller Seelenruhe auf. Da fällt sein Blick auf die kleine Glasflasche um seinen Hals. Er nimmt sie in die Hand und betrachtet ihren Inhalt. Die braune Locke hat sich nicht verändert. Noch immer liegt sie so drin, wie er sie damals abgeschnitten hat. Und genauso duftet sie noch immer. Estarossa entfernt den winzigen Korken und lässt sich diesen süßen Geruch in die Nase treiben. Da überkommt ihn plötzlich nostalgisches Fernweh und denkt an die vergangenen Monate. „...Natalia..." Estarossa seufzt einmal und schließt die Flasche wieder. Nicht wissend, was für ein wichtiges Ereignis er doch verpasst hat. Bereits am frühen Morgen ist er schon wieder losgezogen. Sein Ziel ist das Königreich Liones, wo er seinen Bruder auf dem Thron vermutet. Doch als er dort ankommt, traut Estarossa seinen Augen nicht. Das Reich ist wieder aufgebaut. Die Menschen sehen alle sehr zufrieden und glücklich aus, genau wie in der kleinen Siedlung. Doch das ändert sich sehr schnell, als er mitten auf dem Marktplatz landet. Auf einmal wird es zuerst still und danach bricht Panik aus. „Hilfe, ein Dämon!" Das Volk fängt an zu schreien , wirr umher zu rennen und so schnell wie möglich wegzukommen. „Ich verstehe das nicht...wo kommt der auf einmal her? Es wurden doch alle Dämonen ausgelöscht." Die Ohren von Estarossa zucken. Er dreht sich in die Richtung, aus der die Stimme kommt und schnellt nach vorne. Seine Klaue schlingt sich um den Hals eines älteren Mannes. „...Rede...", knurrt er. „Was ist hier passiert?" Der Mann kann einen erschrockenen Aufschrei nicht unterdrücken.

„Ich weiß von nichts...ich schwöre es." Der Dämon drückt ihm die Kehle zusammen und schnürt ihm langsam die Luft ab. Das scheint seinem Erinnerungsvermögen auf einmal sehr auf die Sprünge zu helfen, denn der Alte zwitschert auf einmal wie eine Nachtigall. „...Es war Escanor...", röchelt er auf einmal. „Er hat sich im Kampf gegen den Dämonenkönig geopfert. Nachdem er gefallen ist, hatten die Dämonen keinen Anführer mehr und wurden schließlich alle ausgerottet." „...Was? Escanor ist tot?" Estarossa lässt ihn wieder los und betrachtet die Menschen hinter sich, die ihn voller Angst anstarren. In ihm bildet sich eine aufkommende, unbändige Wut. Der Mann, an dem er sich unbedingt rächen will, soll tot sein? In dieser Sekunde, will Estarossa seiner Wut freien Lauf lassen und die Stadt dem Erdboden gleich machen. Doch da zuckt seine Nase einmal und hindert ihn daran. „...Dieser Geruch..." Er streckt den Kopf etwas höher, um die Spur besser wahrnehmen zu können. „...Kein Zweifel...er ist es..." Auf einmal völlig desinteressiert, wendet sich der Dämon ab, um der Spur zu folgen. „Bruder...du lebst also noch." Zwei smaragdgrüne Augen funkeln ihn zwischen zwei Bäumen an. „...Estarossa..." Zeldris taucht nun aus den Schatten hervor. „Ich habe dich sterben sehen...wie kommt es, dass du noch lebst?" Da schüttelt er den Kopf. „Eine lange Geschichte", sagte er. „Nun...ich habe Zeit."

Estarossa glaubt noch immer, dass er am träumen ist. Und dennoch, steht sein jüngerer Bruder lebendig vor ihm. Der Dämon überlegt, ob er ihm wirklich die Wahrheit erzählen soll. „Ich bin in eine heiße Quelle gefallen und hatte einfach unverschämtes Glück", lügt er ohne rot zu werden. „Was ist mit unserem älteren Bruder?" Nun ist es Zeldris, der den Kopf schüttelt. „Nachdem unser Vater getötet wurde, ist er verschwunden. Seitdem hat ihn nie wieder jemand gesehen." Estarossa schluckt einmal bitter. „Also hat der Alte die Wahrheit gesagt. Lass mich dir die gleiche Frage stellen, Bruder. Wie kommt es, dass du noch lebst? Der Mensch sagte mir, dass alle Dämonen ausgelöscht wurden." Nun grinst Zeldris ihn an. „Ich bin zwar stur, aber nicht dumm. Irgendwann wurde ich des Kämpfens müde und habe meinen Tod vorgetäuscht. Die Menschen sind ohnehin so kurzlebig und schwach." Er lacht einmal höhnisch. „Ich bin froh, dass du noch lebst, Estarossa. Hast du vor, hierzubleiben?" Er nickt darauf. „Sehr gut...dann lass uns an einen Ort verschwinden, wo keiner lebt. Dann bauen wir unser eigenes Königreich auf." Zeldris streicht sich einmal durch sein schwarzes Haar. „Was ist das da um deinen Hals?" Er deutet auf die kleine Glasflasche. „Nichts besonderes, einfach nur ein Schmuckstück, das ich einem Toten abgenommen habe." Wieder lügt er ohne rot zu werden. „...Bruder...? Ist es wahr, dass Escanor tot ist?" Alleine der Blick seines Bruders reicht aus, um diese Frage zu beantworten. „Sieh es als Rache an, dass er bei seinem Tod gelitten hat." Doch das ist kein besonders guter Trost. Dennoch spannt er zusammen mit Zeldris seine dunklen Flügel auf und fliegt zusammen mit seinem Bruder einer neuen, gemeinsamen Zukunft entgegen.


Mein Freund, der DämonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt