Auf gleichen Pfaden wandelnd

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Natalia legt Lili ihr Zuggeschirr an und schließt nach wenigen Minuten den letzten Zugriemen. Die brave Tinkerstute steht gemütlich neben Philly, der auch schon sein Gespann trägt. „Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie dankbar ich dir bin, Hannah. Ich kann mich immer auf dich verlassen, wenn ich dich brauche." Ihre beste und einzige Freundin ist wertvoller als ein Diamant. „Genau dafür sind Freunde da, wenn man sie braucht. Ich passe wirklich gerne auf deine Farm auf, während du deine Milch ausliefern gehst." Die beiden Freundinnen kennen sich schon, seit sie Kinder sind. Schon damals, war Hannah ein bildhübsches Mädchen gewesen, mit ihren langen, goldenen Locken und den freundlichen, braunen Rehaugen. „Bitte pass gut auf dich auf, Natalia. Du weißt nicht, was für Verrückte da draußen lauern können." Sie lacht einmal herzlich auf. „Du machst dir zu viele Sorgen. Außerdem bin ich nicht alleine. Lili und Philly sind bei mir." Natalia streichelt Bruno einmal über den Kopf. „Und du bist schön brav und hörst auf Hannah, verstanden?" Als Hannah am Vorabend angekommen ist, wäre der treue Vierbeiner fast ohnmächtig geworden, so sehr hatte er sich gefreut. Der schlaue Hund hat ziemlich schnell herausbekommen, dass sie ihn immer mit vielen Streicheleinheiten und Leckerlis verwöhnt.

Die Farmerin steigt auf ihren Zugwagen, auf dem verschlossene Kannen stehen, die mit Milch gefüllt sind. „Ich hoffe, dass ich nicht länger als drei Tage weg sein werde." Hannah schüttelt den Kopf. „Wenn du ein paar Tage länger brauchst, dann ist es eben so. Mach dich nicht verrückt, Natalia." Sie schenkt ihrer Freundin ein breites, ehrliches Lächeln. „Irgendwann mache ich es wieder gut, dass du mir immerzu aus der Klemme hilfst, Hannah." Sie nimmt die Zügel in die Hand und gibt ihren Pferden das Kommando, dass sie loslaufen sollen. Das Zuggespann setzt sich in Bewegung und im letzten Moment ehrt Molly alle nochmal mit ihr Anwesenheit, die ihrer Besitzerin unglücklich hinterher starrt. Sie miaut einmal lautstark, woraufhin Hannah sie auf den Arm nimmt. „Sei nicht traurig, Süße. Dein Frauchen wird in ein paar Tagen wieder hier sein." Das sieht Molly allerdings ein wenig anders. Die blaugraue Kätzin zwickt Hannah in den Arm, sodass diese sie loslassen muss. „Aua!" Die Kätzin hat keine Lust, alleine hierzubleiben. Also rennt sie im vollem Galopp dem Zugwagen hinterher. „Molly! Komm sofort zurück, du sture Katze", kreischt Hannah ihr hinterher. Doch sie wird gekonnt ignoriert. Als sie den Wagen erreicht hat, springt sie geschickt auf die Ladefläche und huscht zu ihrem Frauchen vor.

„Wo kommst du denn auf einmal her?" Natalia zieht überrascht die Zügel an, sodass ihre beiden Pferde stehen bleiben und das Gespann zum Stillstand kommt. „Hannah?" Da kommt ihre Freundin auch schon angerannt. „Ich glaube, sie ist nicht gerade glücklich, dass du wegfährst." Molly hat den Schwanz um sich gerollt und putzt sich zufrieden das Ohr, während sie glücklich vor sich her schnurrt. „Sieht so aus, als will sie mich begleiten. Das wäre nicht das erste mal." Sie streichelt ihre schöne und sture Katze einmal. „Kannst du bitte schnell etwas Futter holen?" Ihre Freundin kommt ihrer Bitte nach und bringt Futter und eine Schale mit. „Der zweite Versuch", lacht Natalia und treibt ihre braven Pferde erneut an. „Pass auf dich auf, Natalia", ruft Hannah ihr nochmal hinterher. Dann hat sie ihre Farm verlassen und macht sich auf den Weg, um ihre wertvolle Milch auszuliefern. „Und was machen wir zwei jetzt, Bruno?" Da hat der Hund auch schon eine großartige Idee. Er dreht sich auf den Rücken und will den Bauch gestreichelt haben. Hannah lacht und streichelt ihm sogleich den Bauch. Und danach bekommt er eines seiner heißgeliebten Leckerlis. „Du schlauer Hund", lobt sie den treuen Vierbeiner. „Ich hoffe nur, dass dein Frauchen nicht in irgendwelche Schwierigkeiten gerät."

Molly liegt tiefenentspannt neben Natalia und beobachtet die Umgebung aufmerksam. Die Kätzin war schon immer neugierig und abenteuerlustig. Daher hat sie ihre Besitzerin auch nicht alleine weggelassen. Sie fahren an ein paar Bäumen vorbei. Einer hat einen tiefliegenden Ast, der Molly sogleich provoziert. Sie stellt sich auf die Hinterbeine und schlägt mit den Vorderpfoten nach ein paar Blättern, die am Ast hängen. Als sich eines löst und wirbelnd auf den Boden schwebt, miaut sie einmal triumphierend auf. „Du bist wirklich die geborene Jägerin", lobt Natalia sie lachend. Nach zwei Stunden, legt die Farmerin eine kleine Rast ein. Ihre Pferde stehen am Wegesrand und grasen zufrieden. Molly schleicht bis nach vorne und springt Philly dann geschickt auf den Rücken. Den fuchsfarbenen Wallach stört das kaum bis gar nicht. Seine katzenartige Freundin macht es sich auf seinem Rücken bequem und lässt sich die Sonne auf ihren blaugrauen Pelz scheinen. Natalia gönnt sich etwas Brot und ein Stück Käse. Ihr wird bei diesem Anblick wieder klar, wie sehr sie ihre Tiere doch liebt. „Molly, komm her. Wir müssen weiter." Ihre Katze hebt den Kopf, steht auf und springt auf den Wagen zurück. „Du bist wirklich eine kluge Katze", sagte sie und streichelt sie einmal. „Wir liegen gut in der Zeit. Wenn kein umgestürzter Baum auf unserem Weg liegt, sollten wir heute Abend Galandel erreichen."

Im Schatten des Waldes kommt eine hauchzarte Brise auf und scheucht ein paar Blätter über den Waldboden. Durch das stetige Schaukeln, dem gleichmäßigen Klang trampelnder Hufe und der frischen Luft, ist Molly schläfrig geworden. Sie döst neben ihrem Frauchen und auch Natalia kann ein Gähnen nicht unterdrücken. Doch ihre Müdigkeit ist wie weggeflogen, als sie plötzlich auf dem Weg ein paar Männer entdeckt. Sie sind dabei den Weg aufzuräumen und am Wegrand liegt etwas abgedecktes. Ein ungutes Gefühl beschleicht sie und ihr geht eine Gänsehaut auf. „Fräulein, warten Sie." Erschrocken zieht Natalia die Zügel an. „Ich nehme an, dass Sie auf dem Weg nach Galandel sind?" Sie nickt einmal unsicher. „Diese Straße ist gesperrt. Es gab zwei Überfälle auf Kutschen, daher ist es zu gefährlich diesen Weg zu benutzen. Der Täter könnte noch in der Nähe sein. Bitte fahren Sie bei der nächsten Abzweigung ab und nehmen den Feldweg in Richtung Oberberg." Natalia hält sich geschockt die Hand vor den Mund. „Oh mein Gott..." Da muss sie auch nicht lange darüber nachdenken, was unter dem weißen Tuch verborgen liegt. „...Bitte richten Sie den Familien mein herzliches Beileid aus", sagte sie leise. Danach setzt sie ihren Weg fort. Dieser Umweg in Richtung Oberberg, wird ihr mehr als eine Stunde Zeit kosten. Doch sie nimmt die Warnung des Mannes durchaus ernst und fährt daher bei der nächsten Abzweigung ab und benutzt den Feldweg. „Wie schrecklich, Molly..."

Die Sonne steht schon sehr tief und ist nur noch als roter Feuerball am Horizont zu sehen. In der Ferne erstreckt sich Galandel, weswegen sich ein freudiges Lächeln auf ihr Gesicht legt. „Schau, Molly! Wir sind fast da." Nach fast zehn Stunden, hat sie ihr Ziel erreicht. Auf einem kleinen Feld, arbeitet ein alter Mann. Der Garten sieht sehr gepflegt und ordentlich aus. „Großvater!" Der Greis hebt den Kopf und traut seinen Augen kaum. „...Natalia?" Er lässt seine Spitzhacke fallen und geht zum Zaun. „Natalia...mein Kind, was für eine Überraschung dich zu sehen." Sie bringt das Gespann zum stehen und steigt vom Wagen. „Großvater, es ist so schön, dich zu sehen." Sie nimmt den alten Mann in die Arme. „Das ist eine wirklich gelungene Überraschung, meine Kleine. Und Molly hast du auch mitgebracht." Die Kätzin funkelt ihn mit freundlichen Augen an. „Ja...Hannah passt auf meine Farm auf und Molly war nicht damit einverstanden, dass ich ohne sie fahre." Da lacht der Alte einmal herzlich. „Das ist so typisch für dieses starrköpfige Tier", sagte er. „Ich muss meine Milch noch ausliefern, danach komme ich zu dir." Ihr Großvater nickt. „In Ordnung, Kindchen. Ich mach den Stall für deine beiden da fertig."

Eine Stunde später sitzt Natalia mit ihrem Großvater am Tisch und trinkt eine heiße Schokolade. „Im Wald hat es anscheinend ein paar Überfälle auf Kutschen gegeben. Zumindest hat mir das ein Arbeiter erzählt." Sie blickt einmal zu Molly, die lautstark schmatzt, während sie ihre Futterschale leer frisst. „Ein Überfall? Das ist ja schrecklich. Ein Glück, dass dir nichts passiert ist." Der Name ihres Großvaters ist Johann. Er liebt seine Enkelin sehr, doch als seine Frau vor vier Jahren verstorben ist, war er eine lange Zeit sehr still. „Ich bin erst heute wieder aus Oberberg zurückgekommen. Unterwegs habe ich einen jungen Mann aufgesammelt. Diesen Burschen werde ich wohl nicht mehr vergessen. Er war ziemlich groß, beinahe riesig. Seine Haare waren silbern und seine Augen blau. Er hat sich über Bessy lustig gemacht, doch mein altes Mädchen hat ihm gezeigt, dass in ihr sehr wohl noch Lebensgeister stecken." Im ersten Moment lacht Natalia über Johann's Geschichten, doch im zweiten, bleibt es ihr im Hals stecken. „Moment...seine Haare waren silbern?" Irritiert über diese Frage, nickt er einmal. „Kennst du ihn etwa?" Auf einmal fällt Natalia in eine nachdenkliche Stimmung. „...Könnte gut möglich sein...", sagte sie.

Die Nacht ist finster und Natalia hat es schwer um einzuschlafen. Ihre Gedanken kreisen um die Geschichte, die ihr Großvater ihr erzählt hat. Sie fragt sich, ob ER es wirklich war. Schließlich schiebt sie diesen Gedanken zur Seite und kann endlich einschlafen. Umso glücklicher ist sie am nächsten Morgen, denn Johann hat Frühstück gemacht. Der köstliche Geruch von gebratenen Speck und Eiern liegt in der Luft. Frisch gebackenes Brot und der zarte Duft von Pfirsichtee. „Es ist schön, dass du heute so fröhlich bist, Natalia. Gestern Abend hast du einen ziemlich durchweichten Eindruck auf mich gemacht." Sie lächelt einmal verlegen und nimmt einen Schluck Tee. „Ich wollte dir keine Sorgen bereiten, Großvater." Sie blickt ihn einmal an. „Dieser...silberhaarige Mann...hat er dir gesagt, wo er hin will?" Johann schaut sie warmherzig an. „Er hat gesagt, dass er nach Kusa will. Hab ihn mit nach Oberberg genommen und ihm einige Eier geschenkt." Jetzt ist sich Natalia sicher. Er muss es gewesen sein. „Kann ich deine Feder und Tinte benutzen?" Johann lächelt sie an und nickt. Natalia holt die Schreibfeder, ein Pergament und ein kleines Tintenfass, um Hannah eine Nachricht zu schreiben. „Darf ich ihn lesen?" Sie reicht ihm das Pergament, sodass Johann ihre Nachricht lesen kann. Auf einmal fängt ihr Großvater an zu grinsen. „Wusste ich doch, dass er gelogen hat", sagte er. „Würdest du meine Nachricht zur Postkutsche bringen?" Johann faltet das Pergament zusammen und nickt. „Danke, Großvater. Ich bin dir etwas schuldig." Ob das Aufeinandertreffen von Estarossa und Johann Zufall oder Schicksal war, wird auf ewig ein Geheimnis bleiben.


Mein Freund, der DämonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt