Mit einem Gesichtsausdruck voller Zufriedenheit, sitzt Natalia neben Estarossa und isst einen Teller voll Gemüse und Kartoffeln leer. Sie hat ihn solange weichgekocht, bis er schließlich nachgegeben hat und mit ihr Essen gegangen ist. Sein Teller ist schon leer und er wirkt angespannt. Er hat Bedenken, Natalia könnte ausplaudern, dass er ein Dämon ist. Doch die Farmerin macht keinerlei Anstalten sein Geheimnis zu verraten. „Glaubst du es war Schicksal, dass du meinen Großvater getroffen hast?" Estarossa schüttelt den Kopf. „Reiner Zufall. Ich glaube nicht an Schicksalsschläge." Das sieht sie allerdings ganz anders. Sie glaubt, dass es Schicksal sein muss. Nicht nur, dass er ihren Großvater getroffen hat, sondern auch, dass sie sich in dieser großen Stadt wiedergefunden haben. „Ich verstehe." Natalia nimmt eine kleine Kartoffel auf die Gabel und hält sie ihm hin. Obwohl sie weiß, dass er mit dieser Art von Nahrung nicht viel anfangen kann, drückt sie auf diese Weise ihre Zuneigung aus. Widerwillig nimmt er die Kartoffel an. Alleine schon, weil er den Blick vom Koch im Nacken brennen spürt. Dieser kommt aus dem grinsen gar nicht mehr heraus.
„Ich bin überrascht, dass ihr beide euch kennt", sagte der Koch. Natalia lächelt einmal verlegen, während Estarossa genervt die Augen verdreht. Ihr Blick fällt nun auf seine Halskette, an der die kleine Glasflasche befestigt ist. „Dein Anhänger..." Sie will danach greifen, um ihn sich anzusehen. Doch bevor sie überhaupt mit ihrer Hand in die Nähe davon kommt, umfasst er das Handgelenk von ihr. „...Finger weg...", gibt Estarossa gereizt von sich. Erschrocken zieht sie ihre Hand zurück und legt sie zu ihrer anderen in den Schoß. „Entschuldige, bitte...ich wollte dich nicht verärgern", sagte sie und schenkt ihm ein sanftes Lächeln. Estarossa ballt die Hand zur Faust und beißt die Zähne zusammen. Er muss in diesem Moment sehr stark gegen seine dämonischen Instinkte ankämpfen. Sie befehlen ihm, sie anzuspringen und in Stücke zu zerfleischen. Um diesem Drang zu entkommen, holt er einige seiner letzten Silbermünzen hervor und schiebt sie dem Koch hin. Der Wert reicht aus um beide Essen zu bezahlen. „...Vielen Dank", sagte Natalia überrascht. Doch Estarossa wendet sich nur ab und verlässt die kleine Taverne. „Estarossa, wo gehst du hin?" Die Farmerin steht auf, um ihm zu folgen. „Haben Sie vielen Dank", sagte sie und folgt ihm schließlich.
Ihr fällt es schwer, mit dem langbeinigen Dämon mitzuhalten, weshalb sie ihre Schritte schneller gestalten muss. „Jetzt warte doch bitte..." Nachdem sie ihn eingeholt hat, legt sie ihre Hand auf seinen Unterarm. „Möchtest du vielleicht mit in meine Unterkunft kommen? Du kannst dort ein Bad nehmen und Molly freut sich bestimmt, dich wiederzusehen." Auf eine direkte Antwort muss sie nicht sehr lange warten. Estarossa packt sie auf einmal am Handgelenk und zerrt sie eilig in eine leere Seitengasse. Dort schleudert er sie unsanft gegen die Wand und schlingt seine todbringende Klaue um ihren dünnen Hals. „...Das ist die letzte Warnung, Mensch." Seine Hand schlingt sich enger und drückt ihr langsam die Luft ab. Natalia fängt an nach Luft zu schnappen und mit beiden Händen auf sein Handgelenk einzuschlagen. „...Du willst das nicht tun...", röchelt sie und schnappt schwer nach Atem. „Sei dir da nicht so sicher, Mensch. Ich bin ein Dämon und kenne das Wort Gnade eigentlich nicht." Seine Hand schlingt sich noch fester um ihren Hals und die Tränen treten ihr in die Augen. „...Du scheinst absolut größenwahnsinnig zu sein, dass du mich bis nach Kusa verfolgt hast." Er fühlt sich von ihr kontrolliert und das gefällt ihm überhaupt nicht. „Ich habe dir bereits schon zweimal gesagt, dass du von mir keine Dankbarkeit erwarten kannst. Und du bedeutest mir ebenfalls nichts."
Endlich lässt er sie los, woraufhin sie auf die Knie sinkt und heftig husten muss. „...Verschwinde endlich...und komm nie wieder zurück. Bei unserer nächsten Begegnung werde ich dich töten." Somit wendet er sich wieder ab und will gerade gehen und die Seitenstraße verlassen. „...Estarossa?" Er bleibt stehen und dreht sich nochmal zu ihr um. „...Was?" Natalia steht wieder auf und torkelt langsam auf ihn zu. Sie stellt sich auf die Zehenspitzen, holt aus und verpasst ihm eine heftige Ohrfeige. Sein Kopf wird zur Seite gerissen und sein Blick nimmt einen perplexen Ausdruck an. „Du bist ein großer, dummer, böser, undankbarer, unsensibler und egoistischer Eisklotz! Vielleicht wäre es besser gewesen, dich einfach im Wald liegen zu lassen", wirft sie ihm weinend an den Kopf. „Ich dachte wirklich, du bist mein Freund. Aber du bist nichts weiter, als ein rachsüchtiges Monster." Danach schiebt sie sich eilig an ihm vorbei und rennt unter Tränen davon. Noch immer völlig überrascht, hält er sich die brennende Wange und verarbeitet die Worte, welche die sonst so sanftmütige Natalia ihm an den Kopf gedonnert hat. Estarossa muss zugeben, dass er wirklich beeindruckt ist. Denn noch nie hat es ein Mensch gewagt, die Hand gegen ihn zu erheben.
Natalia hat sich vor Kummer in den Stall zu ihren Pferden gerettet. Sie sitzt weinend auf einem Heuballen und wischt sich immer wieder die Tränen weg. Lili trottet zu ihrer Besitzerin und stupst sie tröstend mit der Schnauze an. Sie fühlt, dass es ihr nicht gut geht. „Lili..." Sie legt ihre Wange an die samtweichen Nüstern und drückt sich schutzsuchend an den großen Pferdekopf. Nun kommt auch noch Philly zu ihr, der liebevoll an ihren Haaren knabbert. „Nein, Philly...du kannst meine Haare nicht fressen", sagte sie und lacht dann wieder. Die Farmerin wischt die letzten Tränen weg und lässt es nicht zu, dass neue nachkommen. „Was würde ich nur ohne euch machen?" Sie nimmt ein Hufmesser zur Hand und kratzt beiden Pferden die Hufe sorgfältig aus und striegelt sie ein paar Minuten. „Es ist schon sehr spät und die Sonne ist untergegangen. Gute Nacht, ihr zwei."
Natalia verlässt den Stall und benutzt den Schlüssel, den man ihr gegeben hat. Leise geht sie auf ihr Zimmer und lässt Molly herein, die schon eine halbe Stunde vor dem Fenster sitzt und geduldig wartet. Die blaugraue Kätzin streckt sich einmal und rollt sich dann auf dem weichen Tierfell zusammen. Natalia zieht ihre Nachtwäsche an und schließt den Vorhang zur Hälfte, bevor sie sich ins Bett legt. Sie kuschelt sich erschöpft in das bequeme Bett und schläft relativ schnell ein. So bekommt sie gar nicht mit, wie eine große Gestalt vor das Fenster tritt und sie verstohlen beim schlafen beobachtet. Das Licht des vollen Mondes lässt sein silbernes Haar noch heller wirken. Molly zuckt mit einem Ohr und hat ihn bemerkt. Die Kätzin springt auf das Fensterbrett und starrt ihn eindringlich an. Estarossa presst nun sein Gesicht an die Fensterscheibe und starrt zurück. „...Sieh mich nicht so an...Molly.."
Philly bläst die Nüstern auf und lässt sich sein Zuggeschirr anlegen. Um seine Flanke wird der letzte Riemen geschlossen und hinterher das Gespann angebracht. „Es ist sehr schade, dass Sie uns schon verlassen." Die alte Dame gibt Lili und Philly einen Apfel. Natalia hat von ihr ein Stück Käse und Brot geschenkt bekommen. „Ich werde euch vermissen. Doch ich muss wieder nach Hause." Hannah wartet dort auf sie und bis zu ihrer Farm wird sie noch zwei Tage brauchen. Ihr nächstes Ziel wird Galandel sein, damit sie eine Nacht bei Johann bleiben kann. Natalia wird Oberberg wieder auf dem Trampelpfad umfahren. „Passt auf euch auf." Die Farmerin winkt den beiden nochmal, die sie so herzlich aufgenommen haben. Molly hat es sich auf dem Rücken von Lili gemütlich gemacht und lässt sich von den gleichmäßigen Bewegungen nicht stören. Natalia hält noch einmal kurz vor der kleinen Taverne an, um sich von dem netten Koch zu verabschieden. Schließlich macht sie sich auf direkten Weg nach Galandel.
Estarossa ist extrem angespannt, während die Schneidermeisterin den letzten Knopf an sein Hemd näht. „Beeil dich gefälligst...ich habe es eilig." Kaum hat sie den letzten Stich gemacht, reißt er ihr das Hemd aus der Hand und drückt ihr seine letzte Goldmünze in die Hand. Noch in der gleichen Sekunde, dreht er sich um und verlässt hektisch die Nähstube. Er will so schnell wie möglich raus aus dieser Stadt. Doch da sieht er Natalia aus der Taverne kommen. Sie hat sich auf dem Weg nach Hause gemacht. Der Dämon schaut ihr länger hinterher als nötig. Auf einmal schießen ihm die Worte von ihr durch den Kopf. Rachsüchtiges Monster. Estarossa fletscht die Zähne. In seinem ganzen Leben, war sie der einzige Mensch der es gewagt hat, ihn zu ohrfeigen. Eigentlich wollte er nur diese Stadt verlassen und die nächste aufsuchen. Doch in dieser Sekunde, hat er seinen Plan geändert und folgt ihr mit genügend Abstand. Als er Kusa ein großes Stück hinter sich gelassen hat, setzt er seine dämonische Aura wieder frei. Das schwarze Mal auf seiner Stirn erscheint und seine blauen Augen färben sich wieder schwarz. Es ist eine große Wohltat, sich nicht länger als Mensch tarnen zu müssen. Natalia führt ihre Pferde auf den Trampelpfad. Obwohl sie hier alleine unterwegs ist, wird sie das Gefühl nicht los, einen brennenden Blick im Nacken zu spüren.
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Mein Freund, der Dämon
FanficDer Krieg gegen die Dämonen war gewonnen. Doch was macht alle so sicher, dass sie wirklich tot sind? Estarossa der Nächstenliebe hat den brutalen Angriff von Escanor wie durch ein Wunder überlebt. Halb tot wurde er von einer Farmerin gefunden und ge...